Schwester Hanna, Pfarrer Tabarius und Pfarrer Braun finden ein Millionenpublikum. Jenseits von Klischee und Klamotte fragt Arnd Bünker, welche Publikumserwartungen an Seelsorgeberufe zur Bewältigung der gegenwärtigen Krise kirchlicher Berufe beachtenswert wären.
Sie laufen über Jahre zur besten Sendezeit im öffentlichen Fernsehen: Serien mit Pfarrern, Priestern und Ordensschwestern finden ein Millionenpublikum. Die NachfolgerInnen von Don Camillo treffen den Nerv vieler Menschen. Egal ob Krimipfarrer Braun samt resoluter Haushälterin, ob allzuständige Schwester Hanna im Dauerclinch mit Bürgermeister Wöller (in der Grundstruktur ein Remake von ‚Don Camillo und Peppone‘) oder ob Pfarrer Tabarius, Vater von vier Söhnen und ‚Herzensbrecher‘: sie alle finden oder fanden ihr Publikum über viele Staffeln hinweg. Abgesehen von Pfarrer Braun, dessen Krimifälle episodenhaft daherkommen, finden sich bei Schwester Hanna und Pfarrer Tabarius auch übergreifende Geschichten, Themen und Herausforderungen; Lindenstrasse für Kirchennahe.
Pfarrer, Priester und Ordensschwestern finden ein Millionenpublikum.
Erstaunlich, wie hier Seelsorgeberufe – bei aller Offenheit des Begriffs – als Ausgangssettings für das TV-Abendprogramm funktionieren. Die real existierenden Seelsorgenden dürfen in der Regel mit weniger Interesse rechnen, und die entsprechenden Berufszweige in der Kirche finden in der echten Welt keineswegs so viel Zustimmung wie ihre popkulturellen Wiedergänger. Das dürfte nicht nur an den dargestellten Personen liegen, sondern auch an den klischeehaften Arbeitskontexten, in denen sie ihre Rollen spielen.
Die real existierenden Seelsorgenden dürfen mit weniger Interesse rechnen.
Dort gibt es einige übergreifende Merkmale: Überschaubarkeit, eher ländliche Rahmung mit ‚Landlust-Garantie‘, moralische Überlegenheit der Kirchenbasis gegenüber der Hierarchie, sei diese die Frau Mutter, sei sie die vorgesetzte Kirchenbehörde oder bei Pfarrer Braun ein karrierebesessener Bischof mit schleimig-intrigantem Generalvikar. Die Inszenierung der Rollen von Schwestern und Pfarrern kommt klassisch daher mit Schwesternhabit, Priesterkragen, Talar und Beffchen. Insbesondere die Rolleninszenierung der ‚Schwestern von Kaltenthal‘ überbietet sich bis hin zum Slapstick mit Griffen in die Mottenkiste: Uralt-Benz, Retro-Kloster und ungehemmt infantil agierende Schwesterngemeinschaft verstärken Klischees einer kirchlichen Parallelwelt.
Aber das ist nur die eine Seite, denn die konkreten Herausforderungen der Menschen, mit denen die Abendprogramm-Seelsorgenden konfrontiert werden, sind ganz und gar Themen heutiger Lebenswelten – und das in voller Breite und ohne Berührungsängste. Liebesleid in allen Variationen, Asyl, Migration, Erziehungsprobleme, soziale Notfälle, weltweites Elend, politische Ränkespiele, zerbrochene Lebensträume, Einsamkeit …; kein Thema in Sicht, das nicht schon von Gottes TV-Dienstpersonal gelöst werden konnte. Hier gilt: Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen werden garantiert von Schwestern und Pfarrern geteilt.
Klischeehaft und zeitgenössisch zugleich
Während die Rolle des evangelischen Pfarrers Tabarius relativ nah zu den realen Arbeitssettings des evangelischen Pfarrberufs gezeichnet wird, stellt Schwester Hanna einen Sonderfall dar. Ihre Rolle funktioniert ohne kirchlichen Seelsorgeauftrag. Sie gehört in kein Pastoralteam, in keine Seelsorgeeinheit, sie ist keine Pastoralreferentin und ob sie Theologie studiert hat, weiss man nicht. Sie wird „Nonne“ genannt, aber das dargestellte klösterliche Leben ist ein munterer Mix aus unterschiedlichen Kloster- und Ordenstraditionen, grosszügig angereichert mit Hippie-Touch.
Priester kommen kaum bis gar nicht vor. Wenn überhaupt, dann haben sie eine marginale Bedeutung. Selbst der Bischof, der regelmässig mitspielen darf, ist kaum mehr als eine schwache Erinnerung an die Strukturen realer Kirchenleitung.
Darstellung kirchlicher Berufe in grosser Distanz zur Realität
Die popkulturelle Darstellung kirchlicher Berufe ist also weit von den realen Verhältnissen entfernt, ganz besonders im Vergleich zur Realität der katholischen Kirche. Offenbar eignen sich die tatsächlichen katholischen Seelsorgeberufe, PastoralreferentInnen, PastoralassistentInnen, Pfarrer, Diakone, ReligionspädagogInnen, GemeindereferentInnen … (die schon binnenkirchlich und im deutschen Sprachraum kaum unterschieden werden können), ebenso wenig für eine popkulturelle Adaption wie ihre zunehmend komplexen Arbeitsstrukturen in der Pastoral. Gremiensitzungen, Seelsorgeeinheiten und Teamsitzungen – all dies spielt bei Schwester Hanna keine Rolle. Sie ist in allem Chaos frei zu tun und zu lassen, was sie will. Sitzungen und Sekretariat – das gehört zur Welt ihres Gegenspielers, dem ihr in Hassliebe verbundenen Bürgermeister Wöller.
Gremiensitzungen, Seelsorgeeinheiten, Teamsitzungen – all dies spielt bei Schwester Hanna keine Rolle.
Aus der Beobachtung, dass ein Millionenpublikum hier seine Erwartungen erfüllt sieht, lässt sich lernen – und zwar mit Blick auf die Merkmale, die Seelsorgende für zahlreiche Menschen sympathisch machen. Ein solches Lernen ist nicht zuletzt binnenkirchlich notwendig, da ein grösserer Teil der Kirchenmitglieder seine Kirchenwahrnehmung eher von den Schwestern von Kaltenthal übernimmt als aus der eigenen Pfarrei. Nicht zuletzt ist zu vermuten, dass etliche der heutigen Theologiestudierenden ihre Kirchen- und Rollenbilder eher aus popkulturellen Inszenierungen entlehnen denn aus Erfahrungsräumen realer Pastoral und Seelsorgetätigkeit.
Einige Merkmale der „Publikumserwartungen“ an Seelsorgende lassen sich beschreiben und für heutige Seelsorgeberufe übersetzen.
Seelsorgende sind sichtbar, erkennbar und adressierbar.
Eindeutige Dienstkleidung und Erkennbarkeit in der Rolle als SeelsorgerIn, eine öffentlich bekannte Adresse, ein Kloster oder ein Pfarrhaus, schaffen Sichtbarkeit, Erkennbarkeit und Ansprechbarkeit. Die Erkennbarkeit und die ausgesprochene wie unausgesprochene Botschaft „Hier dürfen Sie klingeln, hier wird Ihnen zugehört“ sind Voraussetzungen einer funktionierenden Seelsorgendenrolle. Diese Erkennbarkeit muss real nicht in textile Klerikalisierung münden, aber sie muss gewährleistet werden. „Anonyme Seelsorgende“ sind nicht adressierbar. Nicht zuletzt heisst dies auch, endlich die Funktionsbezeichnungen in den Seelsorgeberufen zu überdenken. Was ein Pfarrer ist, können sich noch immer viele Menschen vorstellen. Was aber ein/e Pastoralreferent/in oder ein/e Seelsorgemitarbeiter/in ist, das erschliesst sich nur Insidern. Die Gestaltung der öffentlichen Rolle von Seelsorgenden verdient heute eine erneute Reflexion. Anpassungen sind nötig – jenseits von falscher Reklerikalisierung und mutloser Anonymisierung.
Seelsorgende sind für alle Menschen ansprechbar – eigentlich immer.
Auch wenn es Schwester Hanna schwerfällt und ihre Mitschwestern sie immer wieder schmerzlich vermissen: die Nöte der Menschen, die von aussen zu ihr kommen, haben Vorrang. Gleiches gilt für Pfarrer Tabarius: das Familien- und Liebesleben muss immer wieder gegenüber den Ansprüchen der Umwelt an den Pfarrer zurückstecken. Zu den hervorstechenden Merkmalen der seelsorgerischen Publikumslieblinge gehört es, jederzeit für jede und jeden ansprechbar zu sein. Hier zeigt sich ein religiöser Überschuss in der Erwartung an Seelsorgende, an „Gottesmänner“ und „Gottesfrauen“. Wenn der professionelle Bezugskern von Seelsorgenden „Gott“ ist, dann färbt das Motiv von Gottes ständiger Ansprechbarkeit auch auf die Erwartungen an das „Bodenpersonal“ ab. Bei allem berechtigten und notwendigen Schutz der Seelsorgenden vor Überlastung und auch bei aller unbedingt erforderlichen Einsicht in die Differenz zwischen Allmacht und Endlichkeit ist bei der Ausprägung heutiger Seelsorgeberufe der Anspruch (relativ) unbedingter Verfügbarkeit ernst zu nehmen. Wo Seelsorgende wie Funktionäre und ohne grundlegenden Rollenunterschied zu anderen Berufen wahrgenommen werden, verraten sie eine ihnen von vielen Menschen offenbar zugeschriebene Rolle.
Seelsorgende geben den konkreten Nöten der Menschen den Vorrang.
Es sind bei den TV-Seelsorgenden nicht zuerst theologische oder liturgische Fragen, die zur Bearbeitung anstehen, sondern Nöte und Sorgen im Leben der Menschen, denen sie begegnen. Diese Nöte und manchmal Freuden haben Vorrang in der Seelsorge. Hier zeigt sich – vor aller Professionalisierung in sozialen Berufen – ein Primat des Diakonischen und Mitmenschlichen für die Seelsorge. Ohne Sensibilität und Bereitschaft, sich auf die konkreten Menschen mit ihren Anliegen einzulassen, funktionieren die Seelsorgerollen nicht. Pastorales Handeln wird für das Publikum dort begreifbar und glaubwürdig, wo es auf die Lebenslagen von Menschen Bezug nimmt und nicht abstrakt von theologischen oder ethischen Prinzipien abgeleitet wird.
Seelsorgende sind parteilich und schaffen doch Zusammenhalt.
Schliesslich gehen die Episoden immer gut aus. Bei aller Parteilichkeit zugunsten der Schwachen und Armen und bei aller Konfliktbereitschaft von Pfarrer und Schwester – am Ende sind alle versöhnt und die Konfliktlinien sind überwunden. Soviel Harmonie erwartet das Fernsehpublikum. Darin steckt aber auch die Erwartung an reale Seelsorgende, bei aller notwendigen und akzeptierten Parteilichkeit die Türen zur Versöhnung und die Perspektive eines guten Miteinanders aller nicht zu vergessen.
Seelsorgende gehen von den konkreten Nöten und Situationen aus und erschliessen diese religiös und lösungsorientiert.
Pfarrer Tabarius predigt fast in jeder Serie – und stets vor einem Millionenpublikum. Die Predigten sind theologisch-spirituelle Auseinandersetzungen mit den Problemen, mit denen er oder seine Gemeinde konfrontiert sind. Explizite religiöse Kommunikation ist also in den TV-Serien stark präsent, sei es als persönliche Zwiesprache mit dem Gekreuzigten (wie schon bei Don Camillo), sei es als Gebet im Kloster, beim Familienessen oder als Gottesdienst einer Gemeinde. Das Millionenpublikum schaltet dabei offenbar nicht ab, sondern erwartet genau diese religiöse Deutungsarbeit im Kontext von Herausforderungen, Freuden und Problemen der Menschen. Auch wenn vor allem der diakonische Primat Seelsorgende ansprechbar macht, so schliesst dies die Möglichkeit oder Erwartung religiöser und theologischer Deutungsarbeit keineswegs aus.
Von Publikumserwartungen lernen
Insbesondere die katholische Kirche erlebt gegenwärtig eine Krise ihrer Seelsorgeberufe. Hier könnte sie, bei aller notwendigen Unterscheidung (auch von kirchlich-selbstgemachten und selbstvermarkteten Klischees), von den Publikumserwartungen angesichts popkultureller Rollenvorbilder lernen.
—
Arnd Bünker ist Leiter des Schweizerischen Pastoralsoziologischen Instituts (SPI) in St. Gallen und Mitglied der Redaktion von feinschwarz.net.
Bild: © ARD/Barbara Bauriedl