Ein paar Vikarinnen und Vikare haben sich zusammengetan, um Kirche dort aufpoppen zu lassen, wo man sie sonst nicht vermutet. Emilia Handke ist eine von ihnen.
Man könnte meinen, Kirche begegnete einem jeden Tag und steht potentiell überall bereit: mit ihren Denk- und Mahnmälern in der Mitte der Städte und Dörfer, im Radio bei der Morgenandacht oder in den Nachrichten, mit einem breiten, mäandergleichen Netz an Kirchengemeinden und übergemeindlich agierenden Pastorinnen und Pastoren im Krankenhaus, im Gefängnis, in der Bundeswehr, im Religionsunterricht in der Schule. Jeden Sonntag gibt es irgendwo in der Nähe ein offenes Gotteshaus, dessen Glocken eine andere Zeit einläuten – und wer nicht kommen kann, der kann auf andere Weise teilnehmen. Denn auch im Radio und im Fernsehen ist die Kirche gottesdienstlich präsent. So ist es und so ist es zugleich nicht.
Kaum eine(r) spricht öffentlich einfach so über Religion und Kirche.
Persönlich begegnet die Kirche einem fast nie. Eigentlich nur, wenn man die Arbeit ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter selbst regelmäßig aufsucht oder einer Gruppe angehört, zu der kirchliche (Mitarbeiter)innen auch gehören. Zufällig kann eine lebendige Begegnung mit Kirche eigentlich nur über ein berufliches Outing z.B. auf einer Party, in der Nachbarschaft, auf einer Zugfahrt oder im Friseursalon geschehen. Gespräche über Religion und Kirche finden – wenn überhaupt – ausschließlich im intimsten Nahbereich statt: unter Familienangehörigen oder engen Freunden. Kaum eine(r) spricht öffentlich einfach so darüber. Die Gesichter der Kirche sind im Alltag weitgehend unsichtbar. Das Christentum ist diskret unterwegs – es wartet mit seinem Zeichen an vielen Ecken und zugleich darauf, dass man es bewusst aufsucht.
Es geht darum, (an)greifbar zu sein, Rede und Antwort zu stehen.
Aufgrund dieser Erfahrungen haben sich ein paar Vikarinnen und Vikare der Nordkirche zusammengetan, um Kirche an Orten aufpoppen zu lassen, wo man sie sonst nicht vermutet: in Form einer Andacht im Stadtpark oder im Café, in einer lebendigen Jukebox auf dem Weihnachtsmarkt an der Krippe, mit kleinen Plakaten auf dem Jahrmarkt zwischen Zuckerwatte und Riesenrädern …
Es geht darum, mit Menschen in Kontakt zu kommen, die nicht die traditionellen kirchlichen Veranstaltungsformate aufsuchen, weil sie da niemanden kennen und niemanden haben, der sie dorthin mitnimmt. Es geht darum, religiöse Erinnerungen und Fragen zu wecken, die den Alltag im Modus des Schlummerzustands begleiten. Es geht darum, (an)greifbar zu sein, Rede und Antwort zu stehen.
Das Anliegen: Menschen mit Kirche in Berührung zu bringen.
Im Moment ist es noch ein kleines Projekt, das die üblichen Formate der Kommunikation des Evangeliums um andere, überraschende ergänzen will: als eine Kirche der spontanen persönlichen Begegnung. Zugleich steht es in einem größeren Kontext. Es gibt einzelne ähnliche Initiativen im US-amerikanischen Phoenix sowie in Sydney und auch die sog. Fresh Expressions of Church-Bewegung startet in England, Deutschland und der Schweiz zahlreiche Projekte im Kontext von Schule, Pub oder Café, die dasselbe Anliegen teilen: Menschen mit Kirche in Berührung zu bringen.
Stellen wir die Uhr ein paar Monate zurück. Wir suchen die Krippe auf dem Hamburger Weihnachtsmarkt. Dort wollen wir uns hinstellen, um die uralte Geschichte von Geburt, Magie und Mordversuch in den verschiedenen Versionen der Evangelisten zum Klingen zu bringen und zwischendurch miteinander zu singen. Niemand weiß so recht, wo diese Krippe stehen soll. Oft werden wir stattdessen an den Crêpes-Stand verwiesen oder an eine Apotheke, die Grippe-Mittel bereithält. Kaum jemand versteht, was wir eigentlich suchen.
Alle haben Talare an und einer von uns trägt ein Schild um den Hals »popupchurch: Weihnachtsjukebox«.
Als wir sie dann endlich gefunden haben, bringen wir kleine Lichtschalter am Gatterzaun der Krippe an, darunter kleine Schilder mit verschiedenen Hashtags. „#Tatort“ steht dabei für die kriminologisch aufbereitete Version nach Matthäus mit dem mordlustigen Herodes und den Weisen aus dem Morgenland, „#brain“ für Johannes’ philosophische Brocken „Im Anfang war das Wort“, „#Krippe“ für die bekannte lukanische Erzählung mit dem Stall, den Hirten und den Engeln und „#wtf“ für einen Markus, der überhaupt nicht weiß, was er erzählen soll, weil sein Evangelium erst mit der Taufe von Jesus beginnt.
Alle haben Talare an und einer von uns trägt ein Schild um den Hals „popupchurch: Weihnachtsjukebox“ und lädt die Leute ein, die Schalter umzulegen und zu gucken, was dann erzählt wird. Viele kleine Grüppchen bleiben stehen, schalten an und wieder aus und an und wieder aus, singen mit, erstaunlich textsicher –„O du fröhliche“ und „Hört der Engel helle Lieder“. Manche bleiben über eine halbe Stunde. Kaum einer wusste, dass die Weihnachtsgeschichte dreimal auf unterschiedliche Weise erzählt wird. Niemand hätte die Kirche dort vermutet: auf dem Weihnachtsmarkt an der Krippe. Warum eigentlich?
Die Leute kommen vorbei – erzählen aus ihrem Leben, über Leben und Tod. Wo geschieht das sonst mitten auf der Straße?
Ein paar Monate später geht es am Anfang der Karwoche auf den DOM – das Hamburger Volksfest. Am Karfreitag wird dort verordnete Betriebsruhe herrschen. Zuvor stehen hier plötzlich vier Vikarinnen und Vikare mit kleinen Schildern in der Hand, auf denen vier provokante Fragen stehen: „Willst du Karfreitag feiern?“, „Schon mal auferstanden?“, „Hatte Jesus Eier?“ und „Schon mal über den Tod gelacht?“. Die Leute kommen vorbei und beantworten die Fragen direkt – erzählen aus ihrem Leben, über Leben und Tod. Wo geschieht das sonst mitten auf der Straße?
Langfristig wird es darum gehen, das Projekt in der Nordkirche zu verankern und mit anderen Initiativen zu verbinden, in denen Kirche ebenso an ungewöhnlichen Orten aufpoppt: z.B. im Strandkorb bei der Urlauberseelsorge oder bei einem gemeinsamen Abendmahl an öffentlichen Plätzen der Stadt zum Gründonnerstag. Die Kirche gewinnt dadurch an Öffentlichkeit und an Gesichtern, die in ihr eine lebendige Herberge gefunden haben.
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Mehr Infos: http://popupchurch.de/
Emilia Handke, Dr. theol., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Praktischen Theologie der Philipps-Universität Marburg und zugleich Vikarin der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland in Hamburg.
Bild: Popupchurch
Von Emilia Handke bereits auf feinschwarz.net erschienen:
Zeit, dass sich was dreht. Überlegungen zu einer Kasualpraxis der Zukunft
Konfessionslosigkeit gestalten! Ein Plädoyer dafür, genau(er) hinzuschauen