Lebens- und Glaubensvertiefung, ausgehend von der persönlichen Biographie: Der Beitrag beleuchtet das Potential des LUV-Inspirationsworkshops, den drei Dresdner Theologinnen (Angelika Fischer, Elisa Vogginger, Ulrike Irrgang) zwischen Ostern und Pfingsten 2023 durchgeführt haben.
„Mir ist aufgegangen, was für ein atheistisches Leben ich eigentlich führe…“, meint Katharina im Anschluss an den letzten Abend des LUV-Kurses in Dresden. Dabei ist sie keineswegs jemand, den man als „typisch atheistischen Ossi“ bezeichnen würde, im Gegenteil: Sie ist katholisch sozialisiert durch Jugendarbeit, Studierendengemeinde und engagiert sich als Mitglied in einer katholischen Gemeinde in Dresden. Die LUV-Reise, die sie zusammen mit 15 anderen Menschen unternommen hat, eröffnete ihr eine neue Sichtweise auf ihr eigenes Leben und ermöglichte ihr, dieses als ihre persönliche Glaubensgeschichte zu erfahren.
Ein postmoderner Kurs für spirituell Interessierte
Was verbirgt sich hinter LUV? Und welches Potential hat dieses Format eines biographieorientierten Lebens- und Glaubenskurses? LUV ist ein Inspirationsworkshop für Sinnsuchende und spirituell Interessierte, der vom Haus kirchlicher Dienste der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers konzipiert wurde. Der Titel des Kurses, „LUV“, entstammt der Seemannssprache und heißt „dem Wind zugeneigt“. In sechs Etappen beleuchtet LUV die eigene Lebensreise, hebt verborgene, spirituelle Ressourcen und hilft, sich neu auszurichten. LUV richtet sich dabei besonders an Menschen, die mit der postmodernen Lebenswelt vertraut sind. Von daher erschließt sich die besondere Methodik des Kurses: Die grundlegende Haltung, die in LUV eingeübt wird, ist die einer achtsamen Wahrnehmung und Kommunikation, sowohl in Stille und Selbstreflexion als auch im empathischen und urteilsfreien Zuhören. Kurze Impulse begleiten und vertiefen den eigenen inneren Prozess, der durch sinnliche, haptische Elemente unterstützt wird. Die Kursleitung versteht sich dabei weder als ExpertIn noch als ModeratorIn, sondern vielmehr als spirituelle ProzessbegleiterIn und GastgeberIn. Die festen Gesprächskreise („Circles“) verzichten auf Diskussionen und Bewertungen, sondern eröffnen einen Raum für achtsames Mitteilen und Zuhören.
LUV fokussiert die persönliche Suchbewegung und geht von einem subjektorientierten Wahrheitsverständnis aus. Das Neue an LUV ist, dass hier das postmoderne Mindset (u.a. Pluralität, Individualisierung, Ästhetik, Digitalisierung) übersetzt wird in ein methodisch ausgefeiltes Format zur Lebens- und Glaubensvertiefung, das interessierte KursleiterInnen nach einem 2-stündigen kostenlosen Online-Workshop eigenständig durchführen können.
Biographiearbeit ermöglicht religiöse Sprachfähigkeit
Kernelement ist das Visualisieren, Betrachten und Wertschätzen der persönlichen Biographie in ihren Etappen, Prägungen, Brüchen und Ressourcen. LUV steht damit in einer langen, spirituellen Tradition christlicher Besinnung und Exerzitienarbeit und eröffnet den Reichtum christlicher Spiritualität als Angebot, ohne die Bindung an eine spezifische religiöse Tradition vorauszusetzen oder anzustreben. Die klare Kommunikations- und Zeitstruktur des Kurses stellt sicher, dass sich die Einzelnen in einem Vertrauensraum öffnen können. Gerade diese vertrauensvolle Atmosphäre, in der die Teilnehmenden ihre Erfahrungen teilen können, erleben viele als besonders wertvoll. Eine Teilnehmerin bemerkt: „Ich musste erstmal eine Sprache finden, denn über mein Leben als Glaubenserfahrung zu sprechen, habe ich nie gelernt.“ Das LUV-Setting und die darin eingeübten Haltungen ermöglichten ihr und den anderen Teilnehmenden das Erlebnis, religiös-existentiell sprachfähig zu sein. Diese bestärkende Erfahrung wurzelt vor allem darin, dass nicht über ein beliebiges Thema gesprochen wird, sondern über den Stoff der eigenen Lebensgeschichte. Kurzum: Die Biographieorientierung des LUV-Konzeptes fördert religiöse Sprachfähigkeit.
Spirituelle Autonomie des Einzelnen und der Gruppe
Die festen und gleichverteilten Redezeiten haben dabei einen demokratisierenden Effekt. Eine spirituelle Begleitung im klassischen Sinne wird durch den Circle ersetzt. Dies stärkt sowohl die spirituelle Autonomie und Kompetenz des Einzelnen als auch die der Gruppe.
Die Erfahrung des Kurses zeigt außerdem, dass die vorrangige Subjektorientierung nicht etwa eine Ich-Fixierung fördert, sondern sich im Gegenteil eine vertiefte Gemeinschaftserfahrung – auch über Generationen hinweg – ereignet. Tom beobachtet: „Ich habe den Eindruck, ich kann den Anderen viel wohlwollender begegnen, weil ich meine eigene Geschichte jetzt mehr wertschätzen kann.“ Die Circles bieten Räume, in denen die Sprechenden in ihrem Tasten nach Deutung und Sinn an-gesehen werden, während die Hörenden zu ZeugInnen einer inneren Suchbewegung werden.
Das Göttliche in meinem Leben
Die überwältigende Erkenntnis der LUV-Reisenden ist, dass das Göttliche und Heilige ihrer konkreten Lebensgeschichte innewohnt. Das Göttliche wird nicht mehr als fern erlebt, zu finden vorrangig in sakralen Riten, vielmehr als nah, im Profanen, im Alltag, in den intimsten Gipfelmomenten und den abgründigsten Krisenerfahrungen. Hierin liegt die Chance einer mystischen Erfahrung in einem postmodernen Setting: das Erleben einer innigen Beziehung zu einem alles umfassenden und alles durchdringenden göttlichen Du. Für Katharina bedeutet eben diese Erfahrung die überraschende Einsicht, dass sie bisher ein „a-theistisches“ Leben geführt hat, in dem Sinne, dass Gott für sie „abgetrennt“ bzw. „abgesondert“ war und für sie kaum Teil ihres Alltags war. Gott hatte mit ihrem konkreten Leben scheinbar wenig zu tun. LUV schärft die Wahrnehmung dafür, das Ereignis des Göttlichen im eigenen Leben zu entdecken. Obwohl LUV für nicht oder nur entfernt religiös sozialisierte Menschen konzipiert wurde, hat sich gezeigt, dass auch Menschen wie Katharina (katholisch, engagiert, usw.) auf der LUV-Reise einen tiefen spirituellen Prozess erleben können. In der Palette (post-)moderner Glaubenskursformate liegt das Potential des LUV-Kurses darin, dass es aufgrund seiner ausgeprägten Biographieorientierung religiös-existentielle Sprache freisetzt, die spirituelle Autonomie und Deutekompetenz des Individuums stärkt und Raum schafft für persönliche spirituelle Vertiefung.
Weitere Informationen zum LUV-Inspirationsworkshop: https://luv-workshop.de
Ansprechpartner und LUV-Entwickler: Rainer Koch, Referent für missionarische Dienste, Hannover
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Autorinnen:
Angelika Fischer, Theologin (kath.) und Ehe-, Familien- und Lebensberaterin
Elisa Vogginger, Theologin (kath.) und freie Autorin
Dr. Ulrike Irrgang, Theologin (kath.), Pädagogin und Referentin der Hauptabteilung Pastoral und Verkündigung im Bischöflichen Ordinariat Dresden
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