Leserbrief eines betroffenen Pfarrers zur Instruktion „Die pastorale Umkehr der Pfarrgemeinde“ der Kleruskongregation. Erfahrungen und Kritik.
In zeitlicher Nähe zur ablehnenden Haltung zur Pfarreienreform im Bistum Trier hat die Kleruskongregation eine Instruktion herausgegeben mit dem sperrigen Titel: „Die pastorale Umkehr der Pfarrgemeinde im Dienst an der missionarischen Sendung der Kirche“. Man darf vermuten, dass die Instruktion im Blick auf Veränderungsprozesse der gesamten deutschen katholischen Kirche geschrieben ist. Daher lohnt sich auch eine Auseinandersetzung damit aus deutscher Sicht.
Ich erlebte meine letzten 10 Berufsjahre, in denen ich gemeinsam mit vielen anderen eine dezentral orientierte Großpfarrei aufbauen und entwickeln durfte, als die sinnerfülltesten und geistlich fruchtbarsten meines Priesterlebens.
In den 31 Jahren meiner Tätigkeit als Priester habe ich in unterschiedlichen Rollen als Kaplan, Pfarrer und Bezirksdekan die angesprochenen Veränderungsprozesse hin zu einer verstärkt missionarischen Gemeindepastoral mitgestaltet und immer wieder reflektiert. Ich habe Erfahrungen gesammelt als Pfarrer einer Pfarrgemeinde wie als Pfarrer mehrerer Gemeinden – sowohl nach Can. 526 §1 wie nach Can. 517 §1. Ich habe in Pfarreiverbünden gearbeitet und Fusionen von Pfarrgemeinden zu einer Pfarrei neuen Typs mitentwickelt und immer wieder reflektiert. Diese Erfahrungen sollten meiner Auffassung nach für eine sachgerechte Behandlung des Themas nicht unberücksichtigt bleiben, zumal ich meine letzten 10 Berufsjahre, in denen ich gemeinsam mit vielen anderen eine dezentral orientierte Großpfarrei aufbauen und entwickeln durfte, als die sinnerfülltesten und geistlich fruchtbarsten meines Priesterlebens empfinde.
Kleriker und Laien tragen gemeinsam (und treu ihrer jeweiligen Rolle und Berufung) Verantwortung für den Weg der Kirche.
Vielleicht sollte ich damit beginnen, dass es aus meiner pastoralen Perspektive auffällt, dass sich für die Beurteilung der Entwicklung und ggf. Fortentwicklung der Pfarrei die Kleruskongregation zuständig weiß. Ein Dikasterium (keine Kongregation (!)) für die Laien existiert denn in Rom überhaupt auch erst seit 2016 und hat in seinem Statut keine erkennbare Zuständigkeit für pfarrliche Pastoral. Dies entspricht aber nicht der kirchlichen Wirklichkeit in unserem Land – erst recht nicht in unserer Diözese, die in konsequenter Konkretion des Kirchenbilds des Zweiten Vatikanums synodal strukturiert ist. Mit der Erfahrung eines halben Jahrhunderts Bistumsgeschichte in der synodalen Struktur können wir im Bistum Limburg verlässlich bekennen, dass darunter weder das Priesterbild noch die Ehrfurcht vor den Sakramenten gelitten hat und andererseits wesentliche Entwicklungen hin zu einer missionarischen Sendung der Kirche (und eben der Pfarrei) genau dadurch befördert worden sind, dass Kleriker und Laien gemeinsam (und treu ihrer jeweiligen Rolle und Berufung) Verantwortung tragen für den Weg der Kirche.
Es wird nicht überraschen, dass Kleriker in einer Kleruskongregation des Vatikans, wenn sie die pastorale Situation der Pfarrei in den Blick nehmen, eine klerikale Wahrnehmung an den Tag legen. (Dass dies durchaus eine wertvolle Perspektive ist, dazu später). Es kann aber nicht zugestanden werden, dass mit dieser einseitigen Sichtweise die Wirklichkeit der Pfarrei zureichend umschrieben werden kann.
Die Zitate des Papstes bleiben für die Argumentation der Instruktion folgenlos.
Es bleibt zweifelhaft, aus welchen Gründen sich Papst Franziskus diese Instruktion mit seiner Unterschrift zu Eigen gemacht hat. Sie ist zwar gespickt mit Zitaten des Papstes. Diese bleiben jedoch für die Argumentation der Instruktion folgenlos. Wird gleich zu Anfang der Papst zitiert, dass „Kirche und Kodex des kanonischen Rechts uns sehr viele Möglichkeiten und große Freiheiten bieten“ um neue Wege zu suchen, so sucht man den Beleg dafür in den 123 Artikeln des Schreibens anschließend vergeblich. Eröffnet der Papst in Artikel 29 die Perspektive, die Pfarrei könne „ganz verschiedene Gestalten annehmen, die die Beweglichkeit und missionarische Kreativität des Pfarrers und der Gemeinde erfordern“, finden sich im Kapitel 7 dagegen detaillierte Vorschriften wie (und nur wie) Pfarreien, Dekanate und pastorale „Zonen“ (Bezirke) zu untergliedern seien. Meinem – zugegeben nicht fortgebildeten – Studienwissen nach greift dies in die Autonomie des Ortsordinarius (Bischofs) ein und stellt im Rahmen einer Instruktion (also der Auslegung geltenden Rechts) eine unzulässige Übergrifflichkeit dar. Can. 515 §2 CIC beschreibt es als alleinige Sache des Diözesanbischofs, Pfarreien „zu errichten, aufzuheben oder sie zu verändern“, dem als einzige Einschränkung beigefügt ist, dass der Priesterrat der Diözese dabei zu hören ist.
Wenn in Art. 57 im Fall eines Zusammenschlusses von Pfarreien „auf keinen Fall (…) eventuell andere vorhandene Pfarrer, die noch im Amt sind (…) faktisch ihres Amtes enthoben werden“, so steht dies in deutlicher Spannung zu Can. 526 §2, der genau dies einfordert. Man darf fragen, ob die kirchenrechtliche Expertise der Instruktion wirklich in allen Punkten verlässlich ist.
Jenseits der Detail-Kritik: Warum schreibt die Kleruskongregation so? Sie versucht ein Rechtsgut (oder mehrere) zu schützen, das sie bedroht sieht. Worum kann es sich dabei handeln?
Die in den Kapiteln 1-5 teilweise hellsichtigen und sympathisch formulierten Einsichten vom nötigen Miteinander für eine missionarische Pastoral werden damit komplett entwertet
Offenkundig steht die Rechtsstellung des Pfarrers (und darüber hinaus die Rechtsstellung der Kleriker allgemein) im Mittelpunkt. Die Instruktion sieht hier in jeder Form der Einbindung des Priesters in ein „Team“, eine „Equipe“, ja sogar in seiner Mitgliedschaft im „Pastoralrat“ der Pfarrei oder auch in derem „Vermögensverwaltungsrat“ eine Bedrohung seiner alleinigen Entscheidungskompetenz. Das kann man so formulieren, muss sich aber im Klaren sein, dass man Klerikalismus nicht eindeutiger ausdrücken kann. Die in den Kapiteln 1-5 teilweise hellsichtigen und sympathisch formulierten Einsichten vom nötigen Miteinander für eine missionarische Pastoral werden damit komplett entwertet und leisten einer Interpretation Vorschub, die diesen Formulierungen zynische Doppelzüngigkeit unterstellt.
Durch die Identifizierung des Priestertums mit der schieren Entscheidungsmacht wird das Eigentliche des Besonderen Priestertums (in Unterscheidung zum Gemeinsamen Priestertum) eher verdunkelt als erhellt.
Wenn die Kleruskongregation die Achtung vor den Priestern im Gottesvolk unterstützen wollte, dann hat sie uns Priestern damit einen schlechten Dienst erwiesen. Denn durch die Identifizierung des Priestertums mit der schieren Entscheidungsmacht, wird das Eigentliche des Besonderen Priestertums (in Unterscheidung zum Gemeinsamen Priestertum) eher verdunkelt als erhellt. Priester bin ich im Dienst an der Einheit des Volkes Gottes in seiner legitimen Vielfalt und im Dienst an der Freude aller am Glauben. Mein Priestersein leitet sich nicht her von Privilegien, die die Kirche mir einräumt. Das Besondere Priestertum unterscheidet sich eben im Wesen und nicht dem Grade nach vom Gemeinsamen Priestertum aller Christgläubigen. Die Hierarchie der Kirche ist auch nicht einem absolutistischen Herrscher vergleichbar, sondern hat sich im Dienst an der Einheit aller in legitimer Vielfalt der Glaubensstile zu beweisen (vgl 2 Kor 1,24: Wir sind nicht Herren über euren Glauben, sondern wir sind Mitarbeiter eurer Freude).
Die faktische Tabuisierung der Frage, wie Leitung in der katholischen Kirche geschieht, lähmt die Fortentwicklung missionarischer Impulse.
Darum ist die Verengung des Verständnisses von Leitung auf Befehlsgewalt weder schlüssig noch sachgemäß. Die faktische Tabuisierung der Frage, wie Leitung in der katholischen Kirche geschieht, lähmt die Fortentwicklung missionarischer Impulse und erzwingt inoffizielle, pragmatische Lösungen contra legem, die dem Ansehen der kirchlichen Institution am Ende ähnlichen Schaden zufügen werden, wie die welt- und lebensfremde kirchliche Lehrmeinung zur Sexualmoral. Ganz zu schweigen davon, dass Klerikalismus in der kirchlichen Institution ein wesentliches Motiv für steigende Zahlen bei den Kirchenaustritten darstellt.
Umkehr der Strukturen setzt eine Umkehr der Personen voraus
Anders wird man vielleicht urteilen über die Gedanken in Kapitel 6, dass die Umkehr der Strukturen eine Umkehr der Personen voraussetzt. Vieles, was dort beschrieben wird, kann ich aus meiner praktischen Erfahrung mit strukturverändernden Prozessen aus 31 Jahren Pfarrseelsorge bestätigen: „Man darf nichts `überstürzen´ und Reformen nicht zu eilig und mit `am grünen Tisch´ erarbeiteten allgemeinen Kriterien durchführen wollen und dabei die konkreten Bewohner eines Gebietes vergessen“ (Art. 36). „In diesem Sinn bewirkt der Klerus nicht allein die vom Heiligen Geist angeregte Veränderung. Er ist vielmehr involviert in die Umkehr, die das ganze Volk Gottes betrifft. Daher muss man `bewusst und erleuchtet Räume der Gemeinschaft und der Teilnahme suchen, damit die Salbung des ganzen Volkes Gottes ihre konkrete Vermittlung findet, um sich zu manifestieren“ (Art. 37). – Ich wünschte, ich hätte es einmal so schön und klar ausdrücken können.
Wenn die Kleruskongregation hier eine Lanze brechen möchte für die, die nicht mitkommen in den Reformprozessen, dann bin ich ganz auf ihrer Seite. Allerdings weiß ich auch um den feinen Unterschied zwischen denen, die nicht mitkommen, und denen, die partout nicht mitkommen wollen. Im Wissen darum, dass im Bistum Trier den Reformprozessen eine ausgewachsene Diözesansynode vorangegangen ist, frage ich zumindest leise an, ob die Kritiker des dann anschließend eingeschlagenen Weges nicht in diesem Prozess bereits ausreichend Gelegenheit hatten, ihre Bedenken vorzutragen (und ob sie daher wirklich der Schützenhilfe aus Rom bedürfen). Oder soll am Ende ein im gemeinsamen Gespräch vieler gefundener Lösungsansatz durch geschickten Einsatz von Beziehungen nachträglich gekippt werden? Kann sich aber die Universalkirche eine solche Klientelpolitik und Günstlingswirtschaft leisten, ohne ihre moralische Autorität aufs Spiel zu setzen?
Manche der gegenwärtigen Veränderungsprozesse in deutschen Diözesen scheinen eher von Mangelverwaltung getrieben zus sein als von dialogischer Suche nach den besten Antworten.
In der Tat fürchte ich allerdings schon, dass manche der gegenwärtigen Veränderungsprozesse in deutschen Diözesen tatsächlich eher von Mangelverwaltung getrieben sind als von dialogischer Suche nach den besten Antworten. Mancherorts hat man Anpassungsprozesse womöglich über Jahre und Jahrzehnte verschlafen und versucht nun in großen Schritten einzuholen, was andernorts bereits intensiv diskutiert und erprobt worden ist. Es nützt aber nichts, Lösungen von anderswo zu importieren. Antworten für die gemeinsame Zukunft müssen von den Beteiligten jeweils gemeinsam erarbeitet werden, damit sie dann auch gemeinsam getragen werden können. Fraglos gibt es auch in der deutschen katholischen Kirche Dialogdefizite und misslingende Kommunikation. Gerade, wenn man denkt, man habe schon zu viel Zeit verloren, liegt die Versuchung nahe, Lösungswege abzukürzen. Ich kann nur eindringlich davor warnen!
Artikel 38 thematisiert ausdrücklich die Verantwortung des gesamten Volk Gottes (also auch der Laien) für die Evangelisierung: „Da die Kirche nicht nur Hierarchie, sondern Volk Gottes ist, ist die gesamte Gemeinschaft für ihre Sendung verantwortlich“ (Art. 38). In Artikel 39 wird der Priester ausdrücklich „Glied und Diener des Volkes Gottes“ genannt. Er kann nicht an dessen Stelle treten (wie das Volk Gottes auch nicht an seine Stelle – eine dogmatische Klarheit, wie man sie sich im ganzen Dokument wünschen möchte).
Die Instruktion thematisiert allzu verräterisch die Position der Wahrer des Status Quo.
Dass in Kapitel 10, das den „Organen der Mitverantwortung in der Pfarrei“ gewidmet ist, zunächst und am ausführlichsten über den Vermögensverwaltungsrat gehandelt wird, hat – mit Verlaub – ein „Geschmäckle“ – zumal dort einseitig die Machtinteressen des Pfarrers abgebildet sind. Mir ist aus vielen Gesprächen und Verhandlungen bewusst, dass es beim Zusammenschluss mehrerer bislang autonomer Einheiten zu einer Großpfarrei natürlich auch um gerechte Lösungen für die materiellen Güter und transparente Entscheidungsprozesse auch für die zu erwartende Zukunft gehen muss. Die Instruktion thematisiert hier aber allzu verräterisch die Position der Wahrer des Status Quo ohne auch nur Hinweise zu geben, in welcher Richtung die Lösung zu suchen wäre.
Dass im Blick auf Gemeindefusionen zu einer Großpfarrei oder anderer Modelle der verbindlichen pastoralen Kooperation überhaupt auf die materiellen und geistlichen Rechte der betroffenen Christgläubigen hingewiesen wird, ist dagegen ein durchaus sachgerechter Impuls. Aus meiner praktischen Erfahrung kann ich nur bestätigen, dass Zusammenschlüsse von ehemals selbständigen Gemeinden nur dann wirklich lebensfähig sind, wenn sie von den Betroffenen selber als gerecht und fair beurteilt werden. Gerecht und fair wird empfunden, was man gemeinsam als Lösung erarbeitet hat. Zu einem transparenten, partizipativen Vorgehen gibt es hier keine Alternative.
Wo wir Kirche zu einem Ort des echten Miteinanders auf Augenhöhe entwickeln, werden Potentiale für die Sendung der Kirche freigesetzt .
Zusammenfassend möchte ich folgendes anmerken: Ich habe mein Priestersein niemals abgrenzend von anderen Rollenträgern in der Kirche definiert, sondern immer inhaltlich als Dienst an der Einheit, Vielfalt und Fortentwicklung der mir anvertrauten Christgläubigen ausgerichtet am Maßstab des Evangeliums. In dieser Hinsicht sind mir Ängste fremd, der Priester könnte seine Stellung, seine Achtung oder was immer verlieren, wenn andere auch „dürfen“, was traditionell als Kompetenz des Pfarrers angesehen wird. Ich habe auch keine Furcht davor, dass davon, dass ich Leitungsverantwortung mit anderen teile, meine Autorität leiden könnte. Ich erlebe das Gegenteil davon, dass da, wo wir Kirche zu einem Ort des echten Miteinanders auf Augenhöhe entwickeln, Potentiale für die Sendung der Kirche freigesetzt werden.
Anliegen der Kirchenentwicklung, wie sie im Wort der deutschen Bischöfe „Gemeinsam Kirche sein“ grundgelegt ist, ist der Aufbau partizipativer, transparenter, gechlechtergerechter und auf den missionarischen Anruf des Evangeliums bezogener Beratungs- und Entscheidungswege im geschwisterlichen Miteinander von Laien und Priestern. Die vorliegende Instruktion ist dafür nicht hilfreich. Sie reißt Gräben auf, wo es dringend geboten ist, Gemeinsamkeiten zu suchen.
Pfarrer Andreas Unfried
Zum Beitrag von Johann Pock vom 21.7.2020 zur Instruktion: