Die Kolumne für die kommenden Tage 9
Eine großgewachsene Gestalt im eng anliegenden, rot-schwarzen Après-Ski Textil, dessen Logo, eine seltsam unnatürlich fluoreszierende Krone, manche Anwesende einer italienischen Designermarke, andere einem New-China-Rich Label zuordnen, betritt den weitläufigen und doch höhlenartigen Tempel der sich selbst und den Wintersport Feiernden. In der sekundenschnellen Abfolge von grellem Licht und nachflimmernder Dunkelheit ist das Gesicht des Neuankömmlings nicht zu erkennen, nur ein Schatten zwischen gegelten Locken und über Mund und Nase gezogenem Seidenschal.
Der neue Gast zieht geschmeidig seine Runden zwischen den verschwitzten Körpern der tanzenden und einander zuprostenden Jugend und jenen, die zumindest für diesen Abend zur Jugend gehören wollen: Die Kleinadeligen des Kapitalismus wiegen sich ekstatisch zu Alpen-Techno-Rhythmen, dicht gedrängt an Skilehrer aus dem hohen Norden Europas, die sich hier von den indigenen Südländerinnen bewundern lassen wollen und dabei mit Sportärzten in Konkurrenz treten. Letztere sind hier, um einander und ihren Vorgesetzten in den Flachlandspitälern im Osten mittels Handyvideo zu dokumentieren, wie wichtig der Wintersport in den westlichen Alpen Österreichs für die Volksgesundheit ist.
Und auch er ist hier, der Prinz von I. Er ist der reichste Mann weithin, seine Bettenburgen und Lustschlösser in neorustikaler Lederhosenarchitektur kennt man in der fernen Provinzhauptstadt. Der Prinz, der seinen Namen, den er heiligenkundigen katholischen Vorfahren verdankt, längst von Prospero auf das international dynamische Pro verkürzt hat, versteht es, den engen Tanz um den goldenen Schilift am Laufen zu halten, besorgte Anrufe aus der Provinzhauptstadt quittiert er mit lässigen Verweisen darauf, wer hier das Geld und das Sagen habe. Und außerdem: Krank werden und sterben sei etwas für Arme, bei ihm, im Zirbenschloss, werde gefeiert. Die großgewachsene Gestalt in Rot-Schwarz zieht die Blicke der Feiernden auf sich. Niemand hat ihn (oder sie?) hier zuvor gesehen. Sie passt so gut hierher, ihre samten leuchtenden Kleider, die fließenden, fast unmerklichen und doch unheimlich raschen Bewegungen durch die Räume des Schlosses lassen die Menschen zurückweichen.
Die gerade noch vom Zirbengeist Illuminierten befällt eine sekundenkurze Nüchternheit, die Sportärzte vermeinen sich an etwas zu erinnern, was sie einst gelernt haben über Gestalten wie diese, die nordischen Schilehrer frösteln, obwohl es doch heiß ist von all den Körpern und Alkoholika. Sie alle weichen zurück (doch nicht weit genug), als die fremde Gestalt an ihnen vorbei auf Prinz Pro zugeht. Dieser, nach Jahren in seiner Schneeglitzerwelt in angewandter Psychologie geschult, bemerkt die eigenartig veränderte Stimmung und tritt forsch an den Fremden heran, dessen kronenartiges Markenzeichen auf dem roten Skishirt immer intensiver zu glühen scheint.
Prinz Pro taumelt zurück, nur ein klein wenig. Nur eine Sinnestäuschung, zurückzuführen auf den intensiven Kontakt zum hell gleißenden Schnee im Separée vorhin – natürlich hat auch diese Gestalt ein Gesicht hinter dem teuren Schal. Aber eigentlich interessiert es ihn, den Prinz von I., genauso wenig wie die Gesichter aller anderen, die schon weiterfeiern, den eigenen Schweiß mit jenem der sie Umtanzenden mischen. Prinz Pro wischt diesen Schweiß genauso weg wie den Gedanken, dass irgendwann, demnächst, sehr bald sogar, sein letzter Einkehrschwung kommen könnte und unten, in der Talstation dieser Fremde in Rot- Schwarz auf ihn wartet, um auch ihm das schicke Markenzeichen mit der Krone auf den teuren Anorak zu zeichnen.
Nachbemerkung: Der Text verdankt sich Edgar Allan Poe, dessen unerreichte Novelle „The Masque of the Red Death“ unbedingt zur Literaturliste in pandemischen Zeiten hinzugefügt werden sollte und gleich hier gelesen werden kann….
Theresia Heimerl ist Professorin für Religionswissenschaft an der Universität Graz.
Photo: public domain (Illustration der Novelle von Poe aus dem Jahre 1919 von Harry Clarke)