Seit einer Weile geistert so eine Idee durchs Theologen-Twitter: Ob die nötigen kirchlichen Entwicklungs- und Veränderungsprozesse nicht lustvoller und besser nach dem Queer-Eye-Prinzip zu bewerkstelligen seien…? Anna Maria Baltes malt sich aus, wie das aussehen könnte.
Es ist ein Gedankenspiel mit klaren Grenzen. Die Verfassung der Kirche erlaubt es nicht, dass eine Kleingruppe einfach mal macht und die verfasste außen vor ist. Als Gedankenexperiment ist es aber sehr reizvoll.
Queer Eye ist eine Netflix-Serie, eine Art „vorher-nachher-Show“: Die Fabulous Five, fünf queere Männer mit Berufen aus den Bereichen Mode, Kosmetik, Wohnen, Ernährung und Lifestyle (Therapie?), werden gerufen, um einem Menschen zu helfen, mehr aus sich zu machen. Diese Kandidaten werden von wohlmeinenden Angehörigen oder Freunden „nominiert“. Sie tun gebührend überrascht, wenn die Fab Five vor der Tür stehen, und dann geht es los.
echt sooo stark, innerlich, und bewundernswert und toll
Die Fünf schauen sich auf liebevolle, manchmal auch spaßig-respektlose Weise den Ist-Zustand an. Da werden Tiefkühl-Schubladen voller Fastfood ebenso aufgedeckt wie unordentliche Ecken und der Inhalt des Kleiderschranks, der dann zum Beispiel manchmal nur aus lauter grauen Pullis besteht. Und dann wird viel geredet und gekreischt und geschnippt: Jeder kann das alles total nachvollziehen, findet den Kandidaten echt sooo stark, innerlich, und bewundernswert und toll. Und während sich diese Dusche wertschätzender Äußerungen ergießt wird neu frisiert, neu gekleidet, neu eingerichtet. Wird zusammen gekocht, weil es ja so einfach und schnell geht, sich Steak mit Rosenkohl und frischem Rosmarin zu braten, quasi genau wie Tiefkühlpizza. Und die Stunde, die es nun morgens länger dauert, alle beauty-Produkte anzuwenden und die Haare in die neue, coole Frisur zu stylen wirklich gut angelegte Self-care ist und wir nur für andere da sein können, wenn wir uns gut um uns selbst kümmern, und das bitte auf High Heels. Es gibt Aussprachen und Tränen und irgendwelche Erlebnispädagogik oder Symboltherapie, um den eigenen Wert zu erkennen, und dann viele Umarmungen und der Spuk ist vorüber. Letzte Szene: Die Fab Five schauen sich gemeinsam ein Video davon an, wie der erste Abend ohne ihre Präsenz verläuft, der erste Abend im neuen Outfit, Styling, Lebensgefühl.
Es ist leicht, darüber zu lästern und, wie ich jetzt beim Schreiben bemerkt habe, beinahe unmöglich schwer, sich Spitzen und sarkastische Untertöne zu verkneifen. Darüber, wie am Ende eben immer alle Frauen Absätze tragen müssen (wegen der Haltung und dem Selbstbewusstsein, das die Haltung bringt – aber, hier spreche ich aus Erfahrung, eben nur die zwanzig Minuten bevor die Füße in den High Heels vor Schmerzen schreien) und am Ende die Wohnungen alle gleichermaßen stylisch und eben auch ziemlich gleich aussehen: So wie es dem Geschmack des Einrichtungsteams, nicht dem Kandidaten entspricht. Und doch. Und doch ist es einfach anrührend, wie die Fünf versuchen zu helfen, wie sie aus vollem Herzen Komplimente verteilen und den Selbstwert bestärken. Und auch immer aufblitzen lassen, wie steinig ihr Weg dahin war, selbstbewusst und frei als queere Männer im Fernsehen zu agieren.
komplett verstaubte, überdimensionierte und auf Hoffnung aufbewahrte Räume, Dinge und Veranstaltungen
Wenn es Queer Eye für Kirchen gäbe – das wäre schon allein der Grimassen wegen wunderbar, die komplett verstaubte, überdimensionierte und auf Hoffnung aufbewahrte Räume, Dinge und Veranstaltungen gewiss hervorrufen würden. Das wäre wundervoll wegen der Komplimente gerade für diejenigen, die so selten welche bekommen, geschweige denn kreischend und enthusiastisch vorgetragen: „Queen, that´s amazing“, würde die schrullige Alte hören, die Sonntag für Sonntag vorm Gottesdienst beim Wohnhaus für Behinderte vorbeigeht und schaut, ob sie jemanden mitnehmen soll in die Kirche. Jede Woche ein Stück gelebte Inklusion. Besuchsdienstkreise und Seniorenkaffees und selbst organsierte Krabbeltreffs würden endlich mal gesehen und beklatscht, als unglaubliche, selbstorganisierte, glitzernde Mosiaksteinchen für ein lebendiges Gemeinwesen.
Es wäre einfach toll, zu sehen, wie die Fab Five dann fragen: „Aber warum trefft ihr euch in so einem ollen Kellerloch? Wollt ihr es beim Kaffeetrinken nicht schön haben? Habt ihr das nicht verdient, nach allem, was ihr im Leben schon erlebt habt? Na, dann macht es euch schön! You deserve this!“ Es wäre so wunderbar, wenn Menschen, die selbst Ausgrenzung, gerade aus Kirchen, kennen, dabei helfen könnten, einladende Kirche zu werden, Ausgrenzungen zu überwinden. Die ins Pfarramt kämen und die Augenbrauen hochrissen: „Das machst du als Pfarrerin alles alleine? Warum? Warum bittest du nicht um Hilfe?“ Und angewidert den uralten Kopierer auf den Sperrmüll schieben…
Und am Ende wären da angemessene Räume, klein, funktional, mit Liebe gefüllt. Oder Hallen. Oder nichts – nur die Erfahrung, wie schön Hauskirchen sein können? Was weiß ich? Jedenfalls Neues. Und lauter zufriedene, dankbare Herzen, die dieses Neue als Geschenk erleben und annehmen, und nicht als kirchliche Sparvorgabe und nervig und blöd. Queer Eye für Kirchen, das wäre schon was.
wenn Menschen, die selbst Ausgrenzung, gerade aus Kirchen, kennen, dabei helfen könnten, einladende Kirche zu werden
Und was ist mit Queer Eye in der Kirche? Als Ausdruck von Kirche? Diese Frage beschäftigt mich schon seit Supernanny in den Nullerjahren auf RTL zu sehen war. Über den eigenen Trash-TV-Konsum zu schweigen schien mir lange geboten. Erst durch twitternde Kolleginnen stehe ich dazu: Natürlich liebe ich Let`s Dance, aber auch GNTM habe ich phasenweise gewissenhaft verfolgt. Und ganz besonders alle Shows, in denen es mehr oder weniger darum geht, anderen zu helfen. Das geht bis runter aufs RTL2-Niveau von „Zuhause im Glück“ bei mir. Die Supernanny. Queer Eye. Ich finde es rührend und schön, wenn Menschen sich gegenseitig helfen.
Schon das Format der „Nominierung“ rührt mich – mutmaßlich ist es ja eine Fernseh-Legende und findet so nicht statt, die Familien könnten ebenso direkt von Produktionsfirmen ausgewählt werden und dann nachträglich eine Nominierung dazu entworfen und gefilmt. Was eben die besten Quoten verspricht. So läuft das Business, geschenkt. Hier geht es um Gedankenexperimente, und für die tun wir mal so, als würden wirklich Menschen ihre Nachbarn nominieren, weil sie das Gefühl haben: Die bräuchten Hilfe und hätten es auch verdient. Hilfe brauchen ist dann für einen Augenblick kein Tabu, und Gutes bekommen nicht direkt dem Neid der Nachbarn unterworfen. Für einen Augenblick wäre da Zusammenhalt und gemeinsame Freude über etwas, das besser wird. Für einen Augenblick Himmel.
Hilfe brauchen ist dann für einen Augenblick kein Tabu
Könnte es in der Gemeinde nicht auch so sein? Das eine Freundin die andere nominiert, weil es ihr nach der Trennung vom Ehemann so schlecht geht und sie die Energie nur noch in die Kids steckt. Oder ein Nachbar das alte Paar, von dem plötzlich so viel weniger zu sehen ist? Eine Frau ihren Mann, der wie besessen arbeitet um das behinderte Kind abzusichern? Kleine Hilfe-Teams würden zusammen überlegen, wie Teilhabe weiterhin gelingen könnte, wie Leben unter diesen Vorzeichen gelingt, ja, wie der neue Lebensabschnitt fab wird? Jeder Lebensabschnitt ist neu, jeder Tag ist neu! Das ist eine zutiefst christliche Lehre: Dass das Leben immer Veränderung ist, nie Stillstand, immer ein Weg, ein Werden – und darauf Segen liegt. Keiner muss den Augenblick festhalten oder nur zurück schauen in goldene Zeiten – Gott segnet auch die Zukunft! Die Lasten der Vergangenheit müssen den Weg nicht eng machen – Jesus ist auferstanden, es gibt Vergebung und Umkehr, neue Anfänge, selbst dort, wo alles tot scheint!
Wie schön wäre es, das ab und zu als Gemeinde zu erleben. Beispielhaft einer Person im Quartal einen Neuanfang zu schenken, weil wir eine Neuanfangs-Religion sind! Zu den vielen verschiedenen hochprofessionellen Beratungs- und Hilfeangeboten der Diakonie kann man die Leute ja immer noch schicken, wenn die Wohnung schön eingerichtet ist, die Seele ordentlich gestreichelt wurde und die Haare sitzen.
wir sind eine Neuanfangs-Religion
Ich glaube, Gemeinden würden gerne ab und zu auch ganz tatkräftig nachfolgen und sich bei Menschen einladen, wie Jesus bei Zachäus. Sicher wird nicht immer das Heil mitkommen, aber vielleicht manchmal zu Gast sein? Ja, Queer Eye in der Kirche, das könnte mir gefallen.
Die große Leerstelle für mich ist der Moment, wo die Nominierten von ihrem „Glück“ erfahren. Wie schaffen das die Angehörigen, den rechten Zeitpunkt abzupassen, wo eine solche Einmischung als gut und hilfreich erlebt wird? Ich trau mich das nie. Ich hätte so einige zu nominieren: Die Nachbarn, bei denen ich nie durchblicke, welche Eltern zu welchen Kindern gehören. Bei denen ich manchmal abends Schreie höre und langgezogen den Vornamen des einen Kindes. Meine Güte, muss die Kleine einstecken. Ich hatte etwas Angst, als der Name auf der Klassenliste für den Religionsunterricht auftauchte. Und dann so ein liebes Kind! Ich würde sie gerne nominieren, mitsamt der Familie, und den Eltern sagen: Ihr macht offensichtlich allerhand richtig, dieses Kind ist ein Goldschatz. Wie könnten wir euch helfen, euch miteinander noch wohler zu fühlen? Gerade traue ich mich nicht einmal, einfach so zu klingeln und hallo zu sagen und über das Kind zu sprechen. Denn ich weiß nicht recht mit wem und habe Angst, es falsch zu machen, der Kleinen Ärger einzubrocken.
Bei den Angehörigen der Verstorbenen sieht es nicht so aus, als könnten sie Entrümpelung und Umbau der Wohnung gut alleine schaffen. Sie sind offensichtlich übergewichtig, die Gesundheitsprobleme der Familie sind bei den Trauergesprächen auch zum Thema geworden. Drei Trauerfälle innerhalb des ersten Coronajahres, die Armen trifft es eben zuerst. Ich würde die Überlebenden gerne nominieren, zu ihnen kommen mit einem Team, in dem sowohl medizinische Expertise als auch Handwerker-Know-How vereint ist, und fragen: Was braucht ihr, als Überlebende, damit die Zukunft gut wird? Wie wollt ihr das Andenken der Verstorbenen ehren? Was wollt ihr in eurem Leben anders machen?
Ich kenne etliche, die ich gerne nominieren würde. Ich kenne etliche, die einen guten Job machen könnten in einem Fab-Five-Makeover-Team. Nicht alle queer, aber hey, nobody is perfect. Und ich kenne eine ganze Gemeinde, die gerne hilft.
Solche Leute sind in jeder Gemeinde am Start.
Bei Zuhause im Glück (ein vorher-nachher-Show Format für Häuer auf RTL 2) gibt es immer den Moment, wo das ganze Dorf mithilft, das alte Zuhause auszuräumen. Solche Leute sind in jeder Gemeinde am Start. Reichlich. Und die ganzen Sponsoren, welche die Möbel und Dekoartikel gegen freie Werbezeit im Fernsehen bereitstellen? In einer Kirchengemeinde gibt es ähnliche Währungen: Die Leute lieben ja kaum etwas so sehr, wie Sachspenden abzugeben. Wohlstandsmüll, der gutes Gewissen macht? Jackpot. Es würde wahrscheinlich gelingen, das ein oder andere Makeover als Gemeinde zu bewerkstelligen. Wenn sich das nächste Mal zufällig ein queerer Frisör, ein queerer Innenarchitekt und ein queerer Koch in den Kirchenvorstand wählen lassen, gehen wir das sofort an. Oder schon jetzt.
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Anna Maria Baltes ist Psychologin und Theologin. Sie lebt und arbeitet als Gemeindepfarrerin in Mannheim.
Bild: Annie Spratt / unsplash.com