Für Christiane Thiel droht die letzte leere Zeit von sinnstiftenden Angeboten überschwemmt zu werden.
Wenn der Hamburger Verein „Andere Zeiten“ eine Zeit im Jahr entdeckt und darüber schreibt, ist es augenfällig, dass diese der inhaltlichen Überschreibung anheimzufallen droht. Es darf offenbar keine leeren Zeiten geben. Es muss Kalender, Broschüren oder Bücher, tägliche Briefe, Anleitungen und Einmischungen gefühlvoller Art geben, sonst geht der Augenblick verloren. Was dann?
Es muss Kalender, Broschüren oder Bücher, tägliche Briefe, Anleitungen und Einmischungen gefühlvoller Art geben, sonst geht der Augenblick verloren.
Jetzt bleiben nur noch die Rauen Nächte. Der Kalender „Der andere Advent“ geht ja schon immer, seitdem es ihn gibt, bis zum 6. Januar des Folgejahres. Da ist diese kostbare Zeit schon mit gemeint und mit belegt, denn die Rauen Nächte sind die zwölf Nächte zwischen dem 26.12. und dem 6.1., „zwischen den Jahren“.
Ob wir nun, nachdem das „Magazin zum Kirchenjahr“ (03/24) einen typisch warmherzigen Text über die Rauen Nächte enthielt, einer neuen Impulsmaschine gewärtig sein müssen, bleibt abzuwarten. Eins kann ich schon mal sagen: Ich will es nicht. Mich nervt die Fülle der schönen Bilder, der lieben, harmlosen, wohlfühligen und beschaulich ernsten Texte. Ich will keine Impulse mehr.
Ich will keine Impulse mehr.
Zwischen den Jahren bleibt die Zeit stehen. Der Trubel des Weihnachtsfestes ist verklungen und das neue Jahr liegt auf der Lauer, darf aber noch nicht an mir zerren. Ich tauche in eine träge, leere, müde und schwebende Zwischenzeit ein. Die Alten, denen harte Arbeit das Leben sauer machte, lehrten: „Zwölf Tage machst Du nichts. Du darfst nicht, denn solltest Du arbeiten, machst Du die bösen Geister auf Dich aufmerksam. Dann wehe Dir. Also rühr Dich nicht.“ Es durfte weder gebacken, noch gewaschen werden, keine große Wäsche auf die Leine! In den Wäschestücken verfangen sich sonst die Dämonen und bleiben das ganze Jahr darin verheddert. Wer will das schon?
Es war erlaubt, es war erzwungen, ruhig herum zu sitzen und die Hände in den Schoss zu legen. Besonders die Frauen, die sonst jede Minute zu schuften hatten, wurden mit Regeln belegt, an denen man nun Gängelung oder Freiheit ablesen mag. Ich lese Freiheit. Wenn das Arbeiten verboten ist, ist Pause eine Pflicht. Und wie heilsam kann das sein!
Wenn das Arbeiten verboten ist, ist Pause eine Pflicht.
Im Stillesitzen und Resteessen, Nichtstun, Warten kommt der Geist zur Ruhe und greift nach den Fragen des Lebens. Jetzt ist die Zeit, um nach vorn zu schauen. Die zwölf Tage und Nächte verraten, was in den zwölf Monaten des kommenden Jahres zu erwarten ist. Das Wetter ist abzulesen, Unglück, Liebe, Zeugung, Geburt, Saat und Ernte, Glück. Wie das Leben spielt. Das Vorspiel findet zwischen den Jahren statt.
nichts ist heiliger als Langeweile
Ich gebe zu, ich habe in meiner Dienstzeit als Pfarrerin in verschiedenen Gemeinden und Bezügen aus diesen zwölf Nächten gern eine Gelegenheit zur Besinnung gemacht und zu Andachten eingeladen. Jetzt würde ich das nicht mehr tun, denn heute sind mir leere Zeiten heilig. Für mich selbst und für andere und nichts ist heiliger als Langeweile. Und die tritt unweigerlich zwischen den Jahren ein. Alle hängen rum und öden sich an. (Es mögen jetzt alle die großzügig über mich hinweglesen, die auch in diesen zwölf Tagen in die Schicht, zum Dienst oder an die Maschinen müssen.) Die Kinder verfangen sich im Internet und binden die Dämonen an sich, die das ganze folgende Jahr das Klima in der Familie vergiften werden. Die Älteren hocken vor der Glotze oder gehen selbst im Netz verloren. Da sei der Herr vor!
Machen Sie Winterschlaf!
Wenn diese zwölf Tage und Nächte etwas taugen sollen, denn fasten Sie Unterhaltung. Das wäre – in meinen Augen – ein zulässiger Impuls. Fasten Sie Impulse, Anregungen, Internet und Filme. Legen Sie sich auf die faule Haut, wenn Sie können. Machen Sie Spaziergänge. Die Tage sind extrem kurz, das Wetter meisten durchwachsen (wie auch nicht, es muss ja alle kommenden Jahreszeiten abbilden!). Die Wege werden also nicht endlos sein, aber ermüdend genug, um beizeiten ins Bett zu gehen. Machen Sie Winterschlaf. Mehr nicht.
Christiane Thiel, Pfarrerin an 7 Schulen mit 13 Schulklassen. Gern in Sachsen lebend und beschäftigt.
Beitragsbild: Christiane Thiel