Zwischen Moderne und Tradition bewegt sich die Offene Kirche St. Klara in Nürnberg. Pastoralreferent Jürgen Kaufmann erzählt von seinem Arbeitsplatz.
„Kann ich an dieser Trauerandacht auch teilnehmen, wenn ich von meinem Mann sitzen gelassen wurde?“ Die Frau macht mich sprachlos. Dann antworte ich, dass sie herzlich eingeladen sei, obwohl der Schwerpunkt schon auf „Trauer aufgrund eines Todesfalls“ liege. Trauer aufgrund eines Todesfalls … Was stellt eine zerbrochene Beziehung für viele Betroffenen so groß anderes dar? Vor allem: Wo findet das Thema in der Kirche überhaupt seinen Platz?
Trauerhilfe ist eine der Säulen der Offenen Kirche St. Klara in Nürnberg: von einmal im Monat stattfindenden offenen Trauerandachten („Raum für Trauer“) über Andachten für verwaiste Eltern („Herzenskinder“) jeden ersten Donnerstag eines geraden Monats bis zu Andachten für Menschen nach Suizid („Du bist gegangen …“). Hinzu kommt eine „Nacht der Trauer“ im November gemeinsam mit dem Nürnberger Hospiz-Trauerinstitut sowie eine Gedenkfeier für Drogenopfer im Juli, mitgestaltet von der Drogenhilfe „Mudra“. Nicht zu vergessen: die „Andacht für Vergessene“ im Februar; da ist dann das Sozialmagazin „Straßenkreuzer“ mit an Bord.
Ganz bewusst sollen sich Menschen angesprochen fühlen, denen Rosenkranz, Requiem und Jahresmessen fremd (geworden) sind.
Eine Trauerwand, seit dem Umbau von Klara fester Bestandteil der Kirche, steht im Zentrum dieser Feiern: Mit Zettel und Kerzen können Trauernde dort ihre Anliegen los werden. Womit ich wieder bei der Frau mit der zerbrochenen Beziehung angelangt bin. Für die haben wir unsere „Scherbenandacht“ entwickelt, Mitarbeiter der diözesanen Ehe-, Familien- und Lebensberatung in Nürnberg mischen da mit. Titel: „Wenn gemeinsame Träume zerbrechen …“ – zweimal pro Jahr und höchst „niederschwellig“. Ähnlich wie bei den Trauerandachten: Ganz bewusst sollen sich Menschen angesprochen fühlen, denen Rosenkranz, Requiem und Jahresmessen fremd (geworden) sind.
Texte. Impulse. Musik. Stille. Segen. Offener Raum. Das ist das schlichte Konzept.
Aber wir trauern nicht nur. Wir feiern auch – dass Menschen zusammengehören; dass es weitergehen darf im Leben: Zur Valentinsfeier im Februar kommen Menschen, die man sonst kaum in einer katholischen Kirche sieht. Okay: Das liegt mit an den famosen Musikern Madsius, Brandl, Tobolla. Echte Stars der Blues- und Rock-Szene, weit über das Lokale hinaus.
Aber auch an der sehr offenen Form. Die mündet – fast klassisch wieder – in einen Segen. Das Erstaunliche: Da kommen dann ebenfalls viele, von denen wir’s erst nicht gedacht hätten. So wie bei der „Nacht des Heilens“, mittlerweile zweimal pro Jahr, weil die Resonanz so groß ist: Gemeinsam mit der evangelischen Cityseelsorge zeigen wir, dass „Heil“ ein urbiblisches und absolut nicht esoterisches Anliegen ist: Texte. Impulse. Musik. Stille. Segen. Offener Raum. Das ist das schlichte Konzept dahinter.
Offene Räume zu schaffen – das war eine der Zielrichtungen, als im Jahr 1996 die Citypastoral an St. Klara geboren wurde. In Zeiten, in denen die Kirchenbindung nachlässt, erschien die Notwendigkeit immer größer, neue Orte der Spiritualität zu kreieren, an denen sich Menschen geborgen, von denen sie sich angesprochen fühlen. Diese Notwendigkeit hat sich eher noch verstärkt: Die Zahl der Menschen, die sich in der klassischen Gemeinde nicht mehr beheimatet fühlen, wächst.
Drastisch rückläufige Mitgliedszahlen belegen das. Die Ursachen sind unterschiedlich: Neben dem grundsätzlichen soziologischen Wandel, der eine generationenübergreifende Kirchenbindung schlichtweg aufgelöst hat, spielen auch persönlich negative Erfahrungen, Bruchsituationen im Leben und damit einhergehende Verletzungen durch die Kirche eine Rolle. Manchmal ist es auch einfach eine Entfremdung vom einstmals vermittelten Kinderglauben, sofern der heute überhaupt noch vorhanden ist. Oder (Glaubens)Zweifel an dem, was im Namen der Kirche in den Gemeinden vermittelt wird.
…kein Mittel zum Zweck der Missionierung
Das alles heißt ja nicht, dass kein Bedürfnis, keine Sehnsucht nach Spiritualität mehr vorhanden ist. Im Gegenteil: Viele Menschen, die nach St. Klara kommen, sind Suchende, Zweifler. Ihnen in ihren Fragen und Brüchen oder auch einfach nur in ihrer allgemeinen Suche zu helfen, wieder einen spirituellen Zugang, vielleicht sogar eine Heimat zu finden – das ist Ziel der Citypastoral hier. Die unterschiedlichen Angebote – Feierformen zu Lebenswende-Zeiten wie auch kulturell-spirituelle Abende – sind kein Mittel zum Zweck der Missionierung oder Vereinnahmung. Sie dürfen sehr wohl ohne Hintergedanken wahrgenommen werden.
Wohl aber versteht sich die Offene Kirche als Brücke, über die auch wieder ein Zugang zu einer Nürnberger Gemeinde gefunden werden kann, sofern dies erwünscht ist. Das geschieht bisweilen höchst unerwartet: Nach einem unserer Konzert-Klassiker mit Pop-Legenden aus Nürnberg und Fürth – „Blues-and-Soul-for-Bethlehem“, immer am vierten Adventssamstagabend – kam eine Frau auf mich zu und sagte ganz gerührt: „Jetzt trete ich wieder in die Kirche ein.“ Na also.
Text: Jürgen Kaufmann; Bild: Christos Bertsos/Klara Blues and Soul for Bethlehem – Blues-Rock in St. Klara kurz vor Heiligabend