Mit großer Betroffenheit hat Bernd Mönkebüscher (Hamm) den seines Erachtens «starken und berechtigten» Leser*-brief von Kater vom 13.05.2024 gelesen und sich als bei #OutInChurch engagierter Pfarrer dazu Gedanken gemacht.
Jens Ehebrecht-Zumsande und ich haben vor mehr als drei Jahren Zoom-Konferenzen organisiert, aus der dann die Initiative #OutInChurch wurde, später dann der gleichnamige Verein. Auch darum fühle ich mich vom Leserbrief von „Kater“ vom 13.05.2024 angesprochen. Und ich möchte darauf reagieren, antworten wäre vielleicht zu viel.
Tatsächlich finde ich die Frage nach der eigenen Rolle und Verantwortlichkeit im System sehr berechtigt. Ich stelle sie mir als Priester jeden Tag, etwa im Bezug auf den Ausschluss von Frauen von den Weiheämtern nur weil sie Frauen sind. Trage ich nicht, auch wenn ich diese vatikanische Entscheidung kritisiere, sie dennoch mit, in dem ich mich habe weihen lassen oder „dabei bleibe“? Lebt nicht „das System“ genau davon? Damals, 1992, als ich geweiht wurde, war mir vieles nicht bewusst. Kritische Fragen hatten in der Theologie kaum Platz, die Frage nach der Frauenweihe etwa oder nach queeren Menschen.
Als Jugendlicher, als junger Erwachsener hatte ich keine Sprache für meine Gefühle, darum kann ich noch nicht mal sagen, wann mir klar wurde, schwul zu sein. Seit der Studienzeit ist es mir bewusst. Doch gesprochen wurde darüber nicht. Es war kein Raum dafür. Mitstudenten wurden deshalb vor die Tür gesetzt. Ja, mir war da das eigene Hemd näher. Darum verneinte ich im Scrutinium die übliche Frage des Bischofs: „Sind Sie schwul?“ Dass die Frage gestellt würde, darüber unterhielt man sich im Konvikt, aber man lachte sie weg. Lachen, laut lachen, sich nicht verraten, Sicherheit vortäuschen, Heterosexualität suggerieren. Wie hoch die Anzahl schwuler Männer unter den Priestern oder in der Kirche generell war, war mir damals nicht bewusst. Der Berufswunsch war da, ich wollte mit Menschen den Glauben leben und feiern und hatte die Hoffnung, es würde mit der Kirche wieder aufwärts gehen. „Neue Besen“…
Heute muss ich sagen, mein Schweigen aus Angst, wenn queere Menschen entlassen wurden, war falsch. Aber mitunter bekam ich es gar nicht mit, oder es wurden andere Gründe kommuniziert. Das ist ja heute noch so. Im Mühen um die Aufarbeitung der Schuldgeschichte wurde uns vom AK queersensible Pastoral im Gespräch mit der Bistumsleitung noch im letzten Jahr mitgeteilt, aufgrund ihrer sexuellen Orientierung seien zwei Menschen nur gekündigt worden. Ansonsten seien es andere Gründe gewesen und aufgrund von Personenschutz könne man nicht mehr dazu sagen.
Wo fängt Beförderung von Diskriminierung queerer Menschen an?
Dass queere Menschen ihre eigene Identität, ihre Partnerschaften oder Menschen, mit denen sie eine sexuelle Beziehung hatten oder haben, verleugnen, kann ich bestätigen. Da spielt das Zölibatsthema hinein, das größte Tabuthema in der Kirche. Dem Zölibat wird ja nicht nur die Eucharistie geopfert sondern auch Menschen. „Schattenfrauen“ bei heterosexuellen Priestern, „Schattenmänner“ bei homosexuellen Priestern.
Und ich merke an mir selbst die Versuchung, das System höher einzustufen als offen zu sich zu stehen. Ein Outen erschien mir erst 2019 möglich, damals als einzelner. Ich bekam von Kollegen wenig Resonanz, wohl aber hintenherum signalisiert, ein Nestbeschmutzer zu sein. Man könne sich doch gut einrichten in der Kirche. Schließlich ginge das ja keinen was an. Das sagten und sagen die, die teilweise in meinen Augen beziehungsunfähig sind, aber dafür wechselnde Sexpartner haben. Von manchen werde ich gemieden, ich verunsichere sie. Ich merke, dass es ihnen nicht recht ist, dass ich von ihnen weiß. Das System bewirkt, dass eine offene Rede immer noch nicht geht.
Ob es bei #OutInChurch Menschen gibt, die Trans*Personen für einen Orden ablehnen, weiß ich nicht. In der Entstehungszeit der Initiative war uns wichtig, uns nicht auseinander dividieren zu lassen. So scheiterte die Doku „Wie Gott uns schuf“ fast daran, weil sie ursprünglich nur über schwule Priester berichten sollte. Wir waren dazu nicht bereit, weil das Thema so groß ist, Gemeinde- und Pastoralreferent*innen, Krankenschwestern und Pfleger, Professor*Innen, Diakone, Religionsleher*Innen und Trans*Menschen von der Diskriminierung in gleicher Weise betroffen sind.
Das Outen queerer evangelischer Geschwister vor Jahrzehnten habe ich zu meiner Schande nicht mitbekommen: Ich war in mir gefangen. Ja nicht auffallen, ja nicht als schwuler Mann erkannt werden. Also ständig die eigenen Bewegungen kontrollieren, darauf achten, dass meine Augen keinem Mann hinterherschauen, zumindest nicht auffällig.
Das Outen queerer Menschen hat natürlich #OutInChurch bestärkt, sogar initiiert, vor allem #Actout der 185 Schauspieler*Innen vom 05.02.2021. Es war der Anlass, das Jens Eherecht-Zumdsande und ich chatteten und uns einig waren: das hilft uns, das brauchen wir in der katholischen Kirche auch. Und es sind Kontakte und Verknüpfungen entstanden, auch ökumenisch.
Die Frage von Menschen außerhalb des kirchlichen Systems, weshalb wir uns in einem System engagieren, dass immer noch queerfeindlich ist und zur Queerfeindlichkeit beiträgt, stelle ich mir auch – und ich glaube die meisten, wenn nicht alle in der Initiative. Es hat etwas Masochistisches. Du stößt als queerer Katholik in der Szene auf Unverständnis, und du bist in einem System sozialisiert, dass mit Unverständnis und Ablehnung auf die Szene reagiert. Wie massiv war und ist die Ablehnung weltweit etwa von Fiducia supplicans.
Ich kann für mich sagen, dass die selbstkritischen Fragen, die ich an mich selber richte, massiv sind, gebe aber zu, dass sie in den Zoom-Konferenzen in der Form, wie im Leserbrief zurecht angefragt, kaum vorkamen. Für nicht wenige war es im Jahr 2021 in Raum Kirche endlich eine Möglichkeit, auf Gleichgesinnte zu treffen und das immer noch von einer Angst begleitet, dass ein Drittel der Teilnehmenden nicht mit Klarnamen und verpixelt teilnahmen.
Ich bin echt dankbar für den Leserbrief und wünsche mir eine direkte Kommunikation, ein Podium, es wird immer noch zu wenig und zu wenig offen geredet.
Bernd Mönkebüscher, Hamm