Mit der Gründung der St. Hildegard Akademie Berlin, einer generalistischen Pflegeschule, bündeln die Gemeinschaft der Katharinenschwestern, Caritas und Erzbistum Berlin ihre Ressourcen. Sr. Christina Clemens erinnert aus diesem Anlass an die Kirche in Nachfolge Jesu Christi als Dienst von Frauen an den Menschen von der Ordensgründung im 16. Jahrhundert bis in die Gegenwart – und die Zukunft.
Die Zusammenlegung von Pflegeschulen ist dem Wandel und der Spezialisierung in der Pflege, der Technologie und vielen anderen Faktoren geschuldet. Dieser Schritt ist in der heutigen Zeit notwendig und ich hoffe, dass der Zusammenschluss zur St. Hildegard Akademie Berlin den Auszubildenden zu Zufriedenheit, Kompetenz und Menschlichkeit verhilft. Auf der Homepage der Schule werden diese Werte schon mal an erster Stelle genannt.
Nicht nur Dinkelplätzchen!
Am Namenstag der Heiligen Hildegard von Bingen wurde die neue Akademie auf ihren Namen geweiht. Hildegard hat das Mittelalter durch ihr Wissen über Kräuter und Heilkräuter geprägt. Viele Bücher wurden darüber geschrieben, die auch und gerade in der heutigen Zeit wieder aktuell sind. Ich möchte ihren Glauben und ihren Mut in der damaligen Zeit hervorheben. Sie hat sich vor Priestern, Bischöfen und Kardinälen zu Christus und zur Kirche bekannt. Sie war eine ungewöhnlich starke und mutige Frau. Oft wird Hildegard reduziert auf Kräuter und Dinkelplätzchen, so geht Wesentliches verloren.
Die Gemeinschaft der Katharinenschwestern hat jahrelang das St. Gertrauden Krankenhaus und die dortige Krankenpflegeschule geleitet und geprägt. Das Krankenhaus wurde 1930 gebaut – vor mehr als 90 Jahren – und fast sofort haben die Schwestern mit der Ausbildung zur Krankenpflege im eigenen Haus begonnen. Durch all die Jahre wurden junge Menschen, zunächst nur Frauen, dort ausgebildet. An der Wiege des St. Gertrauden-Krankenhauses stehen also die Katharinenschwestern und somit ihre Gründerin Regina Protmann, die sicher weniger bekannt ist als Hildegard von Bingen. Aber auch sie war eine ganz besondere Frau. Sie hat den Grundstein gelegt für eine Krankenpflege, die zu den Menschen geht.
Krankenpflege, die zu den Menschen geht.
Regina Protmann hat die Not ihrer Mitmenschen mit offenem Herzen und offenen Augen wahrgenommen. 1571 gründete sie deshalb im Alter von 19 Jahren unsere Gemeinschaft – die Katharinenschwestern – in Braunsberg im Ermland. Heute heißt die Stadt Braniewo und liegt in Polen. Das war vor 450 Jahren! Die meisten anderen Ordensgemeinschaften sind im 18. Jahrhundert und später entstanden. Sie gründete eine für die damalige Zeit ungewöhnliche Ordensgemeinschaft – ohne strenge Klausur. Als unverheiratete Frauen nicht hinter Klostermauern zu bleiben, stieß im Umfeld der jungen Gemeinschaft auf Unverständnis und wurde von Zeitgenossen deutlich verurteilt. Regina und ihre Gemeinschaft ließen sich dadurch nicht beirren, sie lebten die Liebe, die Gott in ihnen entfacht hatte: sie liebten Gott und liebten die Mitmenschen. In ihrer Biografie lesen wir: „Damit aber diese ihre erwählte Gesellschaft einen besseren Fortgang und einen glückseligen Ausgang nehmen möchte, hat die gottselige Regina wohlbedächtig, die hl. Märtyrin und Jungfrau Katharina zur besonderen Beschützerin und Patronin der Genossenschaft erwählt.“1 Die Heilige Katharina ist die Patronin der Pfarrkirche in Braunsberg. Deshalb der Name Katharinenschwestern!
Mit einigen jungen Frauen hat sie begonnen. Sie wollte ganz bewusst nicht hinter Klostermauern bleiben, sondern bei den Menschen sein. Jeder Not in ihrer Umgebung hat sie sich angenommen, der seelischen und der körperlichen Nöte. So zählte dazu auch das Hingehen zu den Ärmsten, den Kranken, die oft vernachlässigt in ihren Häusern lagen. Sie ging mit ihren Schwestern in die Armen-Hospitäler, in denen die Pflege nicht sehr liebevoll war. Mit Kräutern, Tees, Suppen, einer liebevollen, man kann sagen ganzheitlichen Pflege, hat sie die Menschen betreut.
Regina gab ihren Schwestern zwölf Jahre nach dem Anfang eine Regel, weil sie wusste, dass keine Gemeinschaft ohne gute Ordnung wahre Gemeinschaft sein kann. Diese Regel wurde 1583 von Bischof Martin Cromer kirchlich bestätigt. Darin ist die Krankenpflege außerhalb des Klosters ausdrücklich erwähnt und geregelt. Aus der Biografie Reginas wissen wir, dass sie auch im Hospital gearbeitet hat. Es heißt dort: „Wie oft hat sie den Armen im Hospital die Füße gewaschen…! Wie oft da den Kranken und Patienten beigestanden, die Wunden ihres Körpers verbunden und ihnen die Füße gewaschen! … und hat sich nicht gescheut, ihre übelriechenden Wundtücher zu waschen! Wider das Fieber, Zahnweh, Geschwulst, Augenkrankheiten und andere Gebrechen und Schäden des Leibes bereitete sie selbst Arzneien, um sie in Zeiten der Noth Jedermann mitzutheilen. Wenn sie hörte, dass Jemand in der Stadt krank war, hat sie, …alsbald eine gute Suppe bereitet, schmackhafte Speisen gekocht oder gebraten und den Kranken, wenn sie elend und arm waren zugeschickt, auch sonst, was nothwendig war, besorgt, selbst Geld gegeben“.
Schulen für Mädchen!
Es gibt noch etwas, was die neue Gemeinschaft ungewöhnlich macht: „Auch ist es etwas Neues und fast Unerhörtes, aber etwas, was sehr weise und verständig von Regina erdacht ist. Sie ist nämlich darauf gekommen, in ihrem Conventhaus eine Kinderschule anzulegen, in die Herzen der jungen Mädchen die Furcht Gottes und Tugend einzupflanzen, und sie nebenbei auch im Lesen und Schreiben zu unterweisen.“ Es war etwas ganz Neues, Mädchen aus armen Verhältnissen, die sonst keinen Zugang zur Bildung hatten, zu unterrichten und für ihre Aufgaben vorzubereiten. Regina hatte dies in ihrem Elternhaus erfahren, sie wusste um ihr Privileg und wollte Bildung mit ihren Schwestern weitergeben. Zunächst unterrichteten die Schwestern im Konvent. Später heißt es in der Biografie, dass es im Ermland fast an allen Orten Mädchenschulen der Gemeinschaft gab.
Selbstkritisch betrachtete Regina Protmann ihr Tun. Es spricht für sich, dass sie nach einiger Zeit der Erprobung daran ging, ihre Regel zu überarbeiten. Diese zweite Regel wurde von Bischof Tilicki bestätigt und erhielt am 12. März 1602 am Königshof in Wilna auch die päpstliche Approbation durch den Nuntius Claudius Rangoni, die einer tätigen, nicht in Klausur lebenden Gemeinschaft damit zum ersten Mal von der Kirche erteilt wurde. Ihr Werk wuchs. Kriege – Pest – Kulturkampf – Vertreibung, alles hat ihr „Samenkorn“ überstanden. Es gab schwere Zeiten, doch Gottes Fügung und Führung ließ die Saat wachsen. Regina hatte guten Grund gelegt; die Orientierung am Evangelium, an der Regel und an ihrem geistigen Testament blieben oberstes Gebot für die Gemeinschaft.
Heute leben Schwestern nach ihrer Spiritualität in Deutschland, Litauen, Brasilien, Polen, Russland, Weißrussland, Afrika (Togo, Benin, Kamerun, Burkina Faso) auf den Philippinen, auf Haiti und im Generalat in Italien. In der deutschen Provinz leben 71 Katharinenschwestern in neun Niederlassungen. Viele Wege – auch Irrwege – wurden gegangen. Es gab Leid, Not, doch die Gemeinschaft fand immer wieder den Weg, den Regina Protmann eingeschlagen hatte. So folgen wir Katharinenschwestern auch heute noch ihren Spuren, 450 Jahre nach dem mutigen Beginn.
Die Antwort auf die Berufung Gottes ist kein einmaliger Kraftakt.
Als Regina Protmann 1613 im Alter von 61 Jahren starb, war sie Christus so ähnlich geworden in ihrem Leben, dass die Kirche sie als einen exemplarischen Menschen vorstellt und sie 1999 zur Seligen erklärt hat. „Da aber der Glanz der Gnaden Gottes im Herzen Reginas angefangen zu leuchten…ist sie mit dem Feuer der Liebe zu Gott, ihrem Herrn, entzündet worden…“, so sagt es ihr Biograf. Regina hat mit ihrem ganzen Leben – Herz, Verstand und allen Kräften auf den Ruf Gottes, ihre Berufung geantwortet. Diese Antwort war kein einmaliger Kraftakt, sondern ein tägliches Antworten – Schritt für Schritt, immer wieder horchend und betend: Was ist jetzt dran? Was soll ich tun? Wo ist meine Aufgabe? Wie kann ich für Gott leben, wie ihn lieben? In Stille, Zurückgezogenheit, im Hören auf das Evangelium, im Erkennen des Weges Jesu auf Erden, im Lieben und mit der Annahme der Gnade wurden ihre Augen weitsichtig und die Ohren hellhörig. Sie erkannte, was sie nach Gottes Willen tun sollte, wie sie sich den Menschen in ihrer Umgebung in ihrer jeweiligen Not schenken soll. Das konnte sie natürlich nicht, ohne sich zu ändern. Da war kein Platz mehr für Sorge um Selbstverwirklichung, für Jagd nach Anerkennung und Einfluss, für ängstliches Starren auf Gesundheit und die Frage: Was bringt das für mich?
Vielleicht ist es gerade diese Haltung von Regina Protmann, die uns heutige Menschen berühren und helfen kann, in dieser Beziehung mit Gott zu leben und zu den Menschen zu gehen, die uns auch heute noch brauchen. Aus dieser Beziehung zu Gott ist das Werk Reginas gewachsen, aus dem kleinen Anfang ging sie mit der geschenkten Gnade ihren Weg. Regina nahm die Freuden an, aber auch das Leid. In allem lebte sie ihren Wahlspruch: „Wie Gott will“. Ob in der Krankenpflege oder in der Mädchenbildung – in allem Christus und sein Wort sichtbar machend.
Das Liebevolle macht die Qualität der Pflege aus.
Mit dem Wissen der damaligen Zeit hat Regina Protmann die Kranken gepflegt und dies mit Hingabe und Liebe getan. Aus ihrem Glauben heraus hat sie Menschlichkeit gelebt und mit der ihr eigenen Kompetenz verbunden, so wie viele Menschen vor und nach ihr. Ich bin fest davon überzeugt, dass es neben der Professionalität, den technisch quantitativen Aspekten, die Persönlichkeit des Menschen ist, das Engagierte, das Zugewandte, das Liebevolle, was die Qualität in der Pflege ausmacht.
Text: Sr. Christina Clemens CSC, Provinzoberin der Kongregation der Katharinenschwestern, Münster.
Bild: https://www.katharinenschwestern.de/Regina-Protmann/
- Die Zitate sind alle der ersten Biografie von Regina Protmann entnommen: Die Congregation der h. Jungfrau und Märtyrin Katharina von Curatus Grunenberg – Braunsberg 1868 „Das Leben der Gottseligen Jungfawen Regin Brotmanns, Stiffterinnen der Löblichen Gesellschaft Sanct Catharinen, Jungfrawen und Martyrinnen durch einen glaubwürdigen Priester beschrieben.“ ↩