Die Kolumne für die kommenden Tage 5
„Gute Reise“, das steht groß in der Mitte des Spiels. Als Grundschüler verbrachte ich viel Zeit mit meiner Großmutter. Und das bedeutete, dass wir täglich nach der Schule und vor den Hausaufgaben Brettspiele spielten. Hoch im Kurs stand dabei das Spiel „Reise in die Ewigkeit“. Es ist ausgesprochen simpel, weil man nur würfeln muss, um einige Felder nach vorn zu gelangen – und damit dem „Himmel“ näher zu kommen. „Gute Reise“ eben.
Dazwischen gibt es allerdings immer wieder farbige Felder, die einen weit nach vorne katapultieren oder tragisch zurückwerfen. Wer auf diese besonderen Felder kommt, erlebt Turbulenzen. Die farbigen Felder waren für mich ein bisschen geheimnisvoll, weil ich viele von ihnen nicht verstand. Denn diese farbigen Felder sind Inbegriff eines offensichtlichen erzieherischen Interesses. Es gibt Felder mit Begriffen wie „Zorn“, „Lüge“ oder „Trägheit“. Die werfen einen weit zurück. Klar, das ist nicht gut. Und es gibt Felder mit den Begriffen „Ordnungsliebe“, „Bescheidenheit“ oder „Gehorsam“. Die bringen einen nach vorn. Es ist also ein sehr klarer und direkter Mechanismus von Belohnung und Bestrafung. Wer auf das „Fegefeuer“ kommt, muss mehrfach aussetzen. Und wer sogar auf die „Hölle“ gerät, ist raus aus dem Spiel.
Lernen, über das strenge von Moral und Religion zu lachen
Meine Großmutter hat sich prima amüsiert und damit auch einer allzu moralistischen und strengen Religiosität etwas entgegengesetzt. Vom Krieg ebenso geprägt wie von strenger katholischer Gebetspraxis sah ich sie an jedem Abend mit dem Rosenkranz kniend vor dem Bett. Wie wohltuend muss es für sie gewesen sein, über das strenge Moralgerüst wenigstens beim Spiel lachen zu können. Ich verstand viele Begriffe auf dem Spielfeld gar nicht erst. Was stellte ich mir als Grundschüler wohl unter „Abtötung“ vor? Sie soll gut sein, obwohl es anders klingt. Und was ist unter „Eigensinn“ zu verstehen, der einen zurückwirft?
Der Himmel mutiert zur „Krone der Vergeltung“
Das Spiel „Reise in die Ewigkeit“ entstand zu Beginn des 20. Jahrhunderts und wurde in Münster produziert. Es war gerade auch in der Nachkriegszeit ein großer Verkaufserfolg. Da gab es offenbar Bedarf an sehr klaren moralischen Ansagen. Vor wenigen Jahren wurde es vom Diözesanmuseum Freising neu aufgelegt und in historischer Erscheinung angeboten. Das fand ich erstaunlich. Mir schienen die allzu simplen Regeln und der moralistische Duktus wenig zeitgemäß. Doch das Spiel scheint für viele Menschen mit großen Emotionen und familiären Erinnerungen verbunden zu sein. Das Spiel ist für mich die großartige Erinnerung an die gemeinsame Zeit eines Enkels mit seiner Großmutter, bevor Hausaufgaben zu erledigen waren. Klar, es ist auch ein Instrument einer schwarzen Pädagogik, die mit der Hölle droht und den Himmel zu einer simplen Belohnung degradiert. Deshalb ist das Ziel auf dem Spielbrett auch nicht einfach als Himmel bezeichnet, sondern als „Krone der Vergeltung“. Religiöse Begriffe wurden hier in den Dienst einer gesellschaftlichen Moralisierung stellt. Erträglich wird all das nur durch einen subversiv wirksamen Humor. Er gehört zu den wichtigen Korrektiven der Religionen. Das Lachen meiner Großmutter demontierte alles Bedrohliche der großen, theologischen Begriffe.
Es heißt, dass Familien jetzt viel Zeit zum Spielen haben. Dass das nicht zwischen Enkeln und Großeltern geschehen soll, schmerzt sehr. Hoffentlich findet sich bei den langen Tagen zuhause dann wenigstens solch pädagogisch Fragwürdiges in der Spielesammlung. Denn da lässt sich lernen, wie effektiv das Lachen als subversiv dekonstruierende Kraft wirken kann.
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Autor: Wolfgang Beck, Mitglied der feinschwarz-Redaktion, Lehrstuhl für Pastoraltheologie und Homiletik an der PTH Sankt Georgen, Frankfurt/M.
Fotos: Wolfgang Beck