Im Brief von Papst Franziskus an das pilgernde Volk Gottes in Deutschland wird der synodale Weg als „Reisegesellschaft“ beschrieben – ein schönes Bild, um den gemeinsamen zweijährigen Prozess von Bischöfen, Klerikern und Lai*innen zu beschreiben. Inspiriert von diesem Bild fragt Simone Birkel nach den Reisebedingungen.
Eine Reisegesellschaft ist eine für bestimmte Dauer zusammengewürfelte Gesellschaft, die zu einem gemeinsamen Ziel unterwegs ist. Die Teilnahme an der Reise ist freiwillig und die Zusammensetzung der Gruppe dementsprechend bunt. Einer Karawane schließt sich jemand an, der/die Schutz beim Durchqueren von Wüsten sucht. Eine Pauschalreise hat andere Interessent*innen als eine Individualreise. Eine Pilger*innengruppe eint eine andere Motivation als die Musikkapelle auf Tournee. Bei der synodalen Reisegesellschaft sind, sieht man sich die Zusammensetzung an, Spannungen vorprogrammiert. Es kann nicht darum gehen, möglichst harmonisch miteinander auszukommen, sondern für viele akzeptable Reiserouten auszuloten. Ob es sich lohnt, diese Wege zu beschreiten, wird jede/r für sich selbst entscheiden. Folgende Fragen gebe ich den Mitreisenden zu bedenken:
Wer nimmt an dieser Reise teil?
Die Initiator*innen und die für die synodale Reise Auserwählten geben die Route vor. Sie haben es aber auch in der Hand, die Reise über ihre Reisegesellschaft für neue Mitreisende attraktiv zu machen. Von der Beantwortung der Frage „Wer nimmt teil?“ hängt vieles ab, z.B. ob andere ebenfalls mitfahren wollen und welche Reiseziele angesteuert werden. Werden bewährte Orte angefahren, ist eine Entdeckungstour geplant oder ist das Ziel gar nachrangig und steht die Gruppe im Vordergrund? Die Namen der Teilnehmer*innen der synodalen Reise sind veröffentlicht, aber welche Kriterien führten zu dieser Auswahl? In welcher Beziehung steht der/die Mitreisende zur Reiseveranstalterin? Wer vertritt bei dieser Reise welche Position und folgt welchen/wessen Interessen? Haben der eine oder die andere das Reiseangebot nicht angenommen, weil sie nicht mit Struktur, Ziel oder Art und Weise des Reisens einverstanden sind? In diesem Fall gibt es übrigens eine bemerkenswerte Übereinstimmung in den sonst völlig konträren Positionen zwischen der Minderheit der Bischöfe, die die Struktur des synodalen Weges ablehnen und protestierenden Bewegungen wie beispielsweise Maria 2.0. Damit wäre ich bei dem Punkt, zu welchem Zweck und mit welchem Ziel die Reise überhaupt angetreten wird.
Sinn, Zweck und Ziel der Reise?
Bevor ich aufbreche, sollte ich mir überlegen, warum ich die Reise überhaupt unternehmen will. Komme ich mit meiner bisherigen Weltsicht nicht mehr weiter und brauche ich neue Impulse? Will ich mich einfach ausruhen, weil ich durch den Alltag müde geworden bin? Oder breche ich gar auf, um vor Ausweglosigkeiten wegzulaufen? Bin ich mir überhaupt im Klaren, wohin die Reise gehen soll oder überlasse ich Richtung und Ziel anderen? Eine wesentliche Frage ist, wer bei der synodalen Reisegesellschaft eigentlich bestimmt, wo das Ziel genau liegt, wie man dahin kommt, und wer mitreden und vor allem mitentscheiden darf? Die Satzung des synodalen Weges sieht vor, dass es für Beschlüsse jeweils eine Zweidrittelmehrheit der anwesenden Mitglieder braucht. Darin enthalten muss jedoch eine Zweidrittelmehrheit der Mitglieder der Deutschen Bischofskonferenz sein. Echte Partizipation, also eine Begegnung auf Augenhöhe, sieht anders aus. Sie lässt (Mit-)Bestimmung zu, gibt Entscheidungskompetenzen ab und überträgt Entscheidungsmacht. Damit könnten neue, überraschende, vielleicht befremdliche und für manche gar gefährliche Weg- und Streckenergebnisse zustande kommen. Verwunderlich ist, dass manche der Geistkraft, die Kraft und Mut zum Aufbruch verleiht, wie es im Begleitgebet zum synodalen Weg formuliert ist, nicht ganz zu trauen scheinen.
Wie sieht die Art und Weise des Reisens aus?
Je nach Ziel und Zweck der Reise ergibt sich die Struktur. Will ich möglichst unaufwändig Erholung, Kultur und Einkaufserlebnisse in der Fremde, werde ich mich eher für eine Pauschalreise entscheiden. Dabei nehme ich in Kauf, standardisierte Erlebnisse und Eindrücke zu erhalten, aber ich kann mir sicher sein, die wichtigsten Sehenswürdigkeiten Im Laufe der Reise gesehen zu haben. Will ich hingegen einen neuen Weg zu einem noch unbekannten Terrain finden und Land und Leute einer Region kennenlernen, ist es mit einem punktuellen Stopp nicht getan. Ich muss mich fernab der eingefahrenen Pfade auf die Suche machen.
Neben dem Zweck der Reise muss auch das Verkehrsmittel gut überlegt sein. Steht hinter meiner Reise die Motivation, möglichst viele mitzunehmen, scheiden Kreuzfahrtdampfer, Privatjet, Reisebus oder eigener PKW aus. Allenfalls zu Fuß oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln kann eine breite Bewegung entstehen. Nicht verheimlicht werden darf, dass dieses Unterfangen anstrengend, nervenaufreibend und schweißtreibend sein kann. Die Geschwindigkeit der Reisegesellschaft ist gering. Weite Wege brauchen Zeit. Auch eine angemessene Kleidung ist für diese Art des Reisens erforderlich. Trekkingstiefel, Regen- und Sonnenschutz leisten gute Dienste, Soutane oder elegantes Schuhe sind hier fehl am Platz. Schmückendes Beiwerk ist vor allem Last. Nicht umsonst ist es bei Bergreisegesellschaften üblich, sich beim Vornamen zu nennen und Titel und Ehrenbezeichnungen hinter sich zu lassen.
Wer sind die Guides?
„Die Katholische Kirche in Deutschland macht sich auf einen Weg der Umkehr und der Erneuerung.“ So lautet der programmatische Satz der Präambel der Satzung. Wenn ich eine Reise in ferne und mir unbekannte Gefilde unternehme, brauche ich verlässliche Begleiter*innen und Ratgeber*innen. Sind diejenigen hilfreich, die permanent Reisewarnungen herausgeben? Unzweifelhaft sind kritische Anfragen wichtig, doch womöglich komme ich dann zu dem Schluss, die Reise erst gar nicht anzutreten. Im vorliegenden Fall des gemeinsamen synodalen Weges sind wohl eher fachkundige Menschen hilfreich, die mehrere Sprachen und Dialekte jenseits des „Theotops“ (Georg Langenhorst) sprechen, die zwischen den Einheimischen und der Reisegesellschaft vermitteln können, und die Schleichwege kennen, wenn die offiziellen Zufahrten blockiert sind.
All das sind Fragen, die in den Entwicklungen von Kirche mal mehr, mal weniger offen eine Rolle gespielt haben. Bekanntermaßen war Jesus einer, der zu Fuß auf und neben staubigen Straßen unterwegs war, der Außenseiter*innen und Ausgegrenzte dabei hatte und der sich von den Ermahnungen der Etablierten nicht sonderlich beeindrucken ließ. Auch das Ziel war klar: die lebensbejahende und befreiende Reich-Gottes-Botschaft nicht nur zu verkünden, sondern in Wort und vor allem in Tat erfahrbar werden zu lassen. Nicht selten kam es dabei zu Berufungen und tiefen menschlichen Begegnungen. Die Gemeinden waren eine bunte Mischung aus jungen Menschen, Frauen, Zöllnern, Schriftgelehrten, Etablierten und Benachteiligten. Die Zuversicht, dass ein erfülltes und gelingendes Leben trotz Ängsten, Ungerechtigkeiten, Missständen und Leid aller Art möglich ist, hat seit jeher Menschen in den Bann gezogen. Die Herausforderung, für die Reich-Gottes-Botschaft im frühen 21. Jahrhundert Wege zu ebnen und neue Formen von Siedlungen zu erschließen, ist keine leichte, deswegen hier der ehrlich gemeinte Wunsch:
bon voyage!
Text: Dr. Simone Birkel ist Lehrkraft für Jugend- und Schulpastoral an der Katholischen Universität Eichstätt und Mitglied des Bundesvorstandes von AGENDA – Forum katholischer Theologinnen e.V.
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