Die Reisesaison ist voll im Gange. Und auch in der Bibel ist man viel unterwegs. Aus sehr unterschiedlichen Gründen. Einen Überblick gibt Elisabeth Birnbaum.
Die Fremde – kein Sehnsuchtsort
Auf Gottes Befehl die Heimat zu verlassen und in die Fremde zu ziehen, wird vielen biblischen Menschen aufgetragen: Für manche ist das eine Strafe Gottes. Das beginnt schon in der Urgeschichte: Der Mensch und seine Frau (bekannt als Adam und Eva) übertreten Gottes Gebot, essen von der verbotenen Frucht und müssen daher den Garten Eden, das Paradies, und damit die äußerste Gottesnähe verlassen (Gen 3,24).
Rastlos und ruhelos
wirst du auf der Erde sein.
(Gen 4,12)
Noch dramatischer ist Kains Schicksal: Als er seinen Bruder Abel erschlägt, darf er nicht mehr im Land Eden bleiben, sondern muss weit in den Osten, ins Land Nod ziehen (Gen 4,16). Das wird mit Ruhe- und Rastlosigkeit verbunden. Und der Turmbau zu Babel hat zur Folge, dass die Menschen auf der ganzen Erde zerstreut werden (Gen 11). So ist schon in der Urgeschichte deutlich, dass die Fremde kein Sehnsuchtsort biblischer Menschen ist.
Migration, aus Not geboren
Manchmal gibt es kaum Alternativen zum Verlassen der Heimat, etwa wenn dort Gefahr, Not oder Unterdrückung herrschen. Für Noach und seine Familie etwa ist das Besteigen der Arche die Rettung vor dem sicheren Tod durch die Sintflut (Gen 6–9). Abraham oder Isaak ziehen nach Ägypten bzw. nach Gerar, weil „daheim“ eine Hungersnot das Leben unmöglich macht (Gen 12,10–20; 20,1-18; 26,1-35). Auch das Buch Rut schildert, wie sich eine Familie aus Betlehem in Moab ansiedelt, um dem Hunger zu entgehen (Rut 1). Politische Verfolgung im eigenen Land zwingt z. B. Jerobeam dazu, nach Ägypten zu fliehen (1 Kön 11).
Geh fort aus deinem Land, aus deiner Verwandtschaft und aus deinem Vaterhaus in das Land, das ich dir zeigen werde!
(Gen 12,1)
Ein spezieller Fall sind die Israeliten in Ägypten (Ex 1). Im Grunde leben sie schon länger in Ägypten und hätten sich dort heimisch fühlen können. Doch das von Gott verheißene Land und damit die eigentliche Heimat Israels ist das Land Kanaan. Um dorthin zu gelangen, nimmt das Volk (wenn auch unter Murren) eine lange Reise durch die Wüste in Kauf. Ähnlich soll auch Abraham seine Heimat verlassen, um ins „Land, das ich dir zeigen werde“ zu gehen (Gen 12).
Gesellschaftliche und religiöse Verpflichtungen
Aus politischen Gründen reist man auch in der Bibel. Neben Feldzügen sind das vor allem Staatsbesuche, wie jener, den die Königin von Saba Salomo abstattet. Sie kommt jedoch mehr aus Neugier denn aus Staatsräson, weil sie von Salomos Pracht und Weisheit gehört hat (1 Kön 10 // 2 Chr 9). Politisch ist auch der Besuch der drei Sterndeuter aus dem Morgenland zu deuten, wollen sie doch den neugeborenen König anbeten, der in Betlehem geboren ist (Mt 2).
Manche biblische Menschen reisen auch aus privaten Gründen: Die Freunde Ijobs etwa kommen von fern her, um ihren Freund in seinem Leid zu trösten (vgl. Ijob 2). Und der junge Tobias geht – begleitet von einem Schutzengel – auf Reisen, um das verliehene Geld seines Vaters zurückzuholen (vgl. Tob 4).
Doch meist sind es religiöse Gründe, die zum Reisen bewegen: Menschen pilgern nach Jerusalem zur gebotenen Wallfahrt an hohen Festtagen. Viele Menschen folgen Jesus nach, um seine Botschaft vom Anbruch der Gottesherrschaft zu hören. Die Jünger ziehen nach Pfingsten in alle Lande, um von Christus zu sprechen (Apg 2ff.). Und auch der Apostel Paulus sieht es als seine wichtigste Aufgabe an, die Frohbotschaft zu verbreiten und Gemeinden zu gründen, und begibt sich deshalb auf vier ausgedehnte Missionsreisen.
Reisen? …
Gereist wird in der Bibel also viel. Zu Fuß oder (gefährlicher) per Schiff oder (bequemer) wie der Prophet Ezechiel per Geistkraft Gottes. Die Himmelfahrt des Elija per Feuerwagen oder die (nicht detailliert beschriebene) Aufnahme Jesu in den Himmel sind da noch gar nicht erwähnt.
Und ein jeder sitzt unter seinem Weinstock und unter seinem Feigenbaum und niemand schreckt ihn auf.
(Mi 4,4)
… am liebsten gar nicht!
Am liebsten jedoch reisen Menschen in der Bibel überhaupt nicht. Gerade wegen der vielen Reisen, die sie unternehmen müssen, bleiben sie, wenn irgend möglich, zu Hause. Das höchste Glück, geradezu das Paradies, ist es für sie, wenn Ruhe im Land herrscht und jeder „unter seinem Weinstock und seinem Feigenbaum“ sitzen darf (1 Kön 5,5; Mi 4,4; 1 Makk 14,12). Und auch das Ideal der jungen christlichen Urgemeinde ist es, Tag für Tag einmütig an demselben Ort (dem Tempel) zu verharren (Apg 2,44.46).
Andere mögen auf Reisen gehen,
du, glückliches Israel, bleib zu Hause!
Statt zu reisen, bleibt man in der Bibel also lieber vor Ort und lässt sich besuchen: Die schönsten Heilsvisionen sprechen davon, dass alle Völker nach Jerusalem zum Zion kommen werden, um dort den Gott Israels anzubeten (vgl. Jes 2; Mi 4 u.ö.). Frei nach einem österreichischen Motto könnte man also sagen: „Andere mögen auf Reisen gehen, du, glückliches Israel, bleib zu Hause!“
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Elisabeth Birnbaum ist Direktorin des Österreichischen Katholischen Bibelwerks und seit Juni 2018 Mitglied der Redaktion von feinschwarz.net
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