Frieden im umfassenden Sinn: Das will ein Reisesegen zusagen. Basilius J. Groen zu einem ebenso alten wie aktuellen Ritual.
In den Sommermonaten verreisen viele gerne. Im Idealfall geht es mit spannenden Entdeckungen und Freude über neue Horizonte einher, andererseits birgt Reisen auch Risiken. Vor allem in früheren Zeiten waren Fernreisen eine mühsame und gefährliche Angelegenheit; und für die Flüchtlinge aus dem Mittleren Osten, Afghanistan und Subsahara-Afrika gilt das in dramatischer Weise auch heute.
Das Bedürfnis nach Schutz
Es war daher zahllosen Reisenden wie den Daheimgebliebenen ein Bedürfnis, um Schutz zu beten. Es gab Sonderfürbitten für die Reisenden, es wurden Votivmessen für sie gefeiert und es gab Reise- und Ausfahrtssegensgebete; auch kam es vor, dass man ihnen die Kommunion für unterwegs, ein Viatikum, mitgab. Im Westen galten insbesondere die Hl. Drei Könige lange Zeit als Reisepatrone. Auch wenn es für uns in Europa heutzutage viel bequemer als früher ist, eine Reise zu unternehmen, wünschen zahlreiche Menschen sich noch immer Schutz und beten darum, gesegnet und behütet zu werden.
Was haben die liturgischen Bücher zum Thema des Reisesegens zu sagen? Im deutschsprachigen katholischen Benediktionale finden wir einen ‚Reisesegen für Urlauber‘. Laut der Einführung dieses Kurzformulars kann der Reisesegen bewusst machen, dass der Urlaub eine Gabe Gottes ist, dass der Segen Gottes immer gebraucht wird und dass Gott in den Ruhezeiten besonders nah ist. Daher überrascht die Wahl des Evangeliums (Mk 6,30-32) nicht: die Einladung Jesu an die Apostel, nach ihrer regen Tätigkeit unter den Menschen einmal allein zu sein und auszuruhen.
Der ‚Reisesegen für Urlauber‘ des Benediktionale
Eine andere Möglichkeit für die Bibellesung kommt aus dem Buch Tobit (Tob 5,1-10.17b-e). In diesem Abschnitt sucht Tobias sich einen Weggefährten für die lange Reise, die er unternehmen muss; darauf bietet der Engel Rafael sich anonym an. Danach überprüft Tobit, Tobias’ Vater, diesen Mann, natürlich ohne zu wissen, dass es sich um einen Engel handelt; er gibt seine Zustimmung und sagt den Reisenden zu, dass Gott sie bewahren wird und Sein Engel sie begleiten möge.
Leider enthält der zu verlesende Abschnitt nicht das Weinen und die Klage der Mutter: Wird sie ihren Sohn je wiedersehen? Ihr Gatte tröstet sie und sie hört auf zu weinen. Unser Textabschnitt enthält ebenso wenig die Tatsache, dass auch der Hund mit Tobias und Rafael zusammen loszieht. Ich bedauere, dass weder die Mutter noch der Hund für würdig befunden worden sind, in diese rührende Bibellesung aufgenommen zu werden. Danach betont der auf die Schriftlesung folgende Antwortpsalm 91 die Zuflucht bei Gott, die Nähe und den Schutz Gottes: ‚Denn er befiehlt seinen Engeln, dich zu behüten auf all deinen Wegen‘ (V. 11).
Im Segensgebet dieser Feier wird Gott gebeten, die Urlauber die Schönheit der Schöpfung erfahren zu lassen, neue Kraft für den Alltag zu sammeln, durch ihre Erlebnisse und Begegnungen bereichert zu werden, sie zu behüten vor allen Gefahren und gesund und froh wieder heimkommen zu lassen. Auch die Fürbitten nehmen diese Anliegen auf. Die Kurzfeier wird mit dem Aaronitischen Segen (vgl. Num 6,24-26) abgeschlossen.
Reisen, die mit Urlaub nichts zu tun haben
Es gibt jedoch viele Reisen, die mit Urlaub nichts zu tun haben. Hier bietet der gerade besprochene Gottesdienst wenig Anknüpfungspunkte; wenn man sich eine Segensfeier für langwierige Dienstreisen oder eine ermüdende Auslandsreise wünscht, soll man anderswo suchen. Beispielsweise bietet die Reisesegensfeier des lateinischen römischen Rituale (Rituale Romanum) hier einen breiteren Ansatz. Die Feier mit dem Titel ‚Segensgottesdienst wenn man eine Reise unternimmt‘ richtet sich an Migrantinnen und Migranten, an diejenigen, die siedeln, Menschen, die eine Dienstreise unternehmen, Urlauber/innen und allerlei Art andere Reisende. Zudem kann die der Feier vorstehende Person – ein Priester, Diakon oder ein Nicht-Ordinierter (Frau oder Mann) – das Formular immer den Umständen der Reisenden und dem jeweiligen Ort anpassen und für den Fall, dass man es eilig hat, gibt es eine Kurzform.
Die Lesung aus dem Buch Tobit wird auch hier wieder angeboten (Tob 5,17-22), diesmal unter Einbezug der weinenden und dann von ihrem Mann getrösteten Mutter, aber ohne den Hund; auch im römischen Rituale darf der Hund also nicht mitkommen. Von den vielen Aspekten, die in den Fürbitten und im Gebet vorkommen, nenne ich hier noch die Bitte, dass die Reisenden Gottes Güte in der Gastfreundschaft anderer Menschen erfahren, diesen einen freundlichen Blick zeigen und die Notleidenden, denen die Reisenden unterwegs begegnen, unterstützen mögen.
Die byzantinische Tradition
In der byzantinischen Tradition, sei es der griechischen, slawischen, rumänischen oder arabischen, wird in jeder Eucharistie sowie im Stundengebet für die Reisenden gebetet. In der Friedenslitanei, d.h. in den Fürbitten gleich zu Beginn der Feier, wird der Reisenden zu Wasser, zu Lande (und in der Luft) in einem Atemzug gemeinsam mit den Kranken, Notleidenden und Gefangenen gedacht. Das geschieht so auch im römischen Ritus: Im Missale Romanum ist bei den Großen Fürbitten am Karfreitag die zehnte (und letzte) Fürbitte für die Gequälten bestimmt, nämlich für die Sich-Irrenden, die Kranken, Hungrigen, Gefangenen, Reisenden, Wallfahrenden und Sterbenden. Für die Reisenden und die Pilgernden wird um Schutz bzw. ihre Rückkehr gebetet. Diese Reihenfolge mag überraschen, aber man sollte wiederum bedenken, dass Reisen lange Zeit eine gefährliche Angelegenheit war und dass dies vielerorts auf dieser Welt noch immer so ist. Damit hängt auch die Bitte der Friedenslitanei um gedeihliche Witterung und friedliche Zeiten zusammen. Gelegentlich werden in einem Atemzug mit den Reisenden auch die Heimatlosen genannt.
Im eucharistischen Hochgebet des byzantinischen Ritus wird ebenfalls der Reisenden, Kranken, Notleidenden und Gefangenen explizit gedacht; in der Basilius-Liturgie wird Gott gebeten, mit den Schiffsfahrenden mitzufahren und mit denen, die auf dem Lande unterwegs sind, mitzuziehen. Sowohl im byzantinisch-arabischen als auch im byzantinisch-slawischen Ritus finden sich auch spezielle Segnungsrituale für diejenigen, die eine Reise antreten möchten. In einem Gebet wird zunächst an die Flucht der Hl. Familie nach Ägypten sowie an Jesu Begleitung der beiden Jünger auf ihrem Weg nach Emmaus erinnert. Dann wird Gott gebeten, der Wanderin bzw. dem Wanderer, wie einst dem Tobias, einen Schutzengel zu schicken, damit die Reise gelingt und alles friedvoll und erfolgreich abläuft. Am Ende der Kurzfeier reicht der Priester der Person, für die gebetet wurde, ein Kreuz zum Küssen und besprengt ihn oder sie mit Weihwasser.
Selbst zusammengestellte Reisesegensfeiern
Viele Menschen basteln heute selbst Reisesegensfeiern zusammen, in denen man Elemente unterschiedlicher Traditionen kombiniert, beispielsweise nicht nur Psalm 121, ein Lied aus dem Evangelischen Gesangbuch, das Vaterunser und den Aaronitischen Segen, sondern auch ein altes jüdisches Reisegebet und natürlich einen schönen irischen Segenswunsch. Für immer mehr Europäer/innen und Nordamerikaner/innen sind Kirchenzugehörigkeit und Religiosität zwei unterschiedliche Dinge. Sie erfahren die ‚göttliche Welt‘ und die Begegnung mit dem Transzendenten eher außerhalb der traditionellen Konfessionen; oder sie sind ‚spirituell und nicht religiös‘. Religiöse und andersartige spirituelle Rituale in diesem Bereich blühen. Die Kirche hat also das Monopol auf die Gestaltung religiöser Rituale, einschließlich des Reisesegens, verloren und muss mit starker Konkurrenz rechnen. Das bedeutet ebenfalls, dass ‚Kunden‘, die Orientierung am Ritualmarkt suchen, sich überlegen, welches ‚Produkt‘ für sie am besten passt.
In einem anderen Licht
Der Reisesegen kann die Identität einer Gruppe und eines Individuums stiften und stärken. Das Ritual deutet, was mit uns vor sich geht; es bietet gleichzeitig Orientierung und Geborgenheit. Zudem zeigen in einer globalisierten Welt Segensformen wie der Reisesegen regionale Verwurzelung; das ‚Brauchtum‘ blüht zurzeit. Zusätzliche Vorteile des Reisesegens sind: Er ist niederschwellig und dauert nicht lange; er ist gratis, abgesehen von einer freiwilligen Kollekte (aber er ist nicht wert- und wirkungslos!); und er ist oft sinnlich. In manch einem Reisesegenritual werden die menschlichen Sinne nämlich auf vielerlei Art und Weise angesprochen: Gebete, Lesungen, Predigt, Fürbitten, Gesänge, Instrumentalmusik für den Gehörsinn; Weihrauch oder andere Duftsubstanzen für das Geruchsorgan; farbenreiche Gewänder, Tücher und die Überreichung von Gegenständen (beispielsweise Wanderstab und Rucksack) für den Sehsinn; das Kreuzzeichen, das Besprengen mit Weihwasser, eventuell eine Handauflegung oder eine Salbung mit Öl für den Tastsinn.
Insbesondere Handauflegung und Salbung sind Zeichen der Zuwendung und Annahme. Es mag ja eine wunderbare Erfahrung sein, wenn eine Person, der ich vertraue, meinen Kopf in den Händen hält und mir alles Gute und Zuversicht wünscht. Segnen, berühren und erfahren, dass dies guttut, gehören zusammen. Das ‚bene‘ im lateinischen ‚benedicere‘ sollte leiblich erfahrbar sein; die Zuwendung und Menschenfreundlichkeit Gottes soll in konkreten Zeichen spürbar sein.
Den Reisesegen feiern bedeutet, einander zum Segen zu sein und sich um Unterkunft und Sicherheit zu kümmern; nicht nur für uns, sondern auch für die Fremden.
Aus der Glaubensperspektive betrachtet rückt die Segensfeier die Realität in ein anderes Licht, sie transfiguriert diese, gibt ihr einen neuen Sinn; sie stellt die Zusage der Gegenwart und Zuwendung Gottes in den Mittelpunkt. Die gute Welt wird transparent auf Gott hin, die Quelle allen Lebens. Obwohl wir vielleicht den Großteil unseres Lebens selbst gestalten können, brauchen wir einen erheblich weiteren Horizont als nur uns selbst, ja einen immer neuen und ständig zurückweichenden Horizont: eine heilvolle Kraft, die uns zum Leben freisetzt, und ein gutes Wort, das Gemeinschaft und Solidarität stiftet. Im Reisesegen wird den Teilnehmenden Frieden im umfassenden Sinn, Schalom, zugesagt. ‚Viel Glück und viel Segen auf all Deinen Wegen!‘
Liturgie mag eine Verbindungsbrücke zwischen Himmel und Erde sein, aber sie ist kein Meteorit, der im luftleeren Raum irgendwo im Universum herumrast. Sie ist nämlich immer auch Bestandteil eines bestimmten soziokulturellen und -politischen Kontextes; auch heute sind die Themen von Migration, Flucht und Vertreibung wiederum wichtig. Den Reisesegen feiern bedeutet auch, einander zum Segen zu sein und sich um adäquate Maßnahmen für Unterkunft und Sicherheit zu kümmern; nicht nur für uns selbst, sondern auch für die Fremden. ‚Filoxenia‘, die Liebe zu Fremden, ist biblisch begründet, wie bereits die von Abraham und Sara erwiesene Gastfreundschaft und die beim Jüngsten Gericht gestellten Fragen klarmachen (vgl. Gen 18,1-15; Mt 25,31-46).
____
Basilius J. Groen ist Prof. em. für Liturgiewissenschaft an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Graz.