Gibt es Lösungen für eine religiös legitimierte Gewalt? Stefan Gärtner kommentiert einen satirischen Zugang zum Thema – ein Lesezeichen – und plädiert für Widerspruch, wenn Gott oder Religion instrumentalisiert werden.
Die Antwort auf den weltweiten Terrorismus ist ein Lesezeichen. Es ist in die heiligen Bücher der jeweiligen Religion einzulegen, auf die sich die Täter beziehen. Wenn diese das Lesezeichen während der Lektüre in die Hand nehmen, ist jede Inanspruchnahme eines Gottes für ihre Gewaltausübung entzaubert.
Es geht um Aufklärung mit den Mitteln der Satire.
Diese Lösung schlägt zumindest Arjen Lubach vor, der im niederländischen Fernsehen einen satirischen Wochenrückblick in der Linie eines John Oliver mit Last Week Tonight oder The Daily Show von Trevor Noah hat. In Zeiten der Fake News ist die Bedeutung dieser Sendungen nicht zu unterschätzen. Sie schaffen, was die eigentlich dafür zuständigen Medien kaum leisten, nämlich eine informierte und kritische Öffentlichkeit. Es geht um Aufklärung mit den Mitteln der Satire. Viele Zuschauer finden dies glaubwürdiger als die echten Nachrichten. Ein ganz anderes Kaliber als die brave ZDF-heuteshow.
Lubach ist weltweit mit seinem Werbefilm für die Niederlande bekannt geworden, nachdem Donald Trump die Doktrin des America First ausgerufen hatte. Dann also The Netherlands Second, so der Vorschlag von Lubach. Er zeigte dem amerikanischen Präsidenten alle Vorzüge und Klischees der Niederlande, die immerhin als zweitwichtigste Nation seine Aufmerksamkeit verdienten.[1] Das wiederum hat eine Reihe weiterer Satiriker auf den Plan gerufen, die diese Ehre für ihr Land fordern – so etwa Jan Böhmermann für Deutschland.
Satirisch wird Gläubigen die Stirn geboten.
Auch die neue Aktion von Lubach ist auf internationale Breitenwirkung angelegt. Das englischsprachige Lesezeichen kann für den Eigengebrauch von seiner Webseite heruntergeladen werden.[2] Es geht um drei Fragen, die sich jeder und jede stellen kann, wenn er oder sie ein religiöses Buch liest. ‚Ich möchte etwas im Namen meines Glaubens tun‘, so lautet die erste Aussage. ‚Betrifft dies auch andere Menschen?‘ und ‚Sind diese damit einverstanden?‘ lauten die weiteren Fragen. Wer nun die erste und zweite Aussage mit einem Nein und die dritte mit einem Ja beantwortet, besteht den Selbsttest und landet zur Belohnung auf dem Feld ‚In Ordnung‘. Wer jeweils die andere Antwort gegeben hat, erhält dagegen ein deutliches ‚Don’t do it Jackass!‘. So einfach kann es sein.
Satirisch wird Gläubigen die Stirn geboten: Kein Problem, wenn du dich für deine Überzeugungen einsetzt, nur darfst du dabei anderen nicht zur Last werden. Es wird als Minimalkonsens eine schwache Form der Toleranz eingefordert. Die Religionsfreiheit der einen endet da, wo die Freiheit des anderen beginnt. Was Lubach nicht erwähnt ist, dass diese Norm unter die Goldene Regel fällt, die in den heiligen Büchern vieler Religionen steht.
So sympathisch seine Idee klingt, sie ist nicht zielführend, um religiös motivierte Gewalt zu entlarven. Die Berufung auf Gott ist bei dieser Form der Gewalt nämlich nur vorgeschoben. Eigentlich geht es den Tätern um Macht, Anerkennung, Geld, Rechthaberei, Aufmerksamkeit oder Einfluss. Gott wird nur benötigt, um eine leckere Soße über die unappetitliche Mahlzeit aus menschlichem Eigenbelang zu gießen. Er soll verantworten, was nicht zu verantworten ist. Religion wird für gewalttätige Ziele missbraucht.
Um religiöse Gewalt wirksam zu verhindern, müssen die Religionsgemeinschaften mehr tun, als sich an Gesetze zu halten.
Es gibt aber noch einen weiteren Grund, warum der Minimalkonsens von Lubach nicht ausreicht. In der politischen Debatte ist eine Variante dieses Konsenses, dass Konfessionsgemeinschaften sich an die Verfassungsordnung und die geltenden Regeln zu halten hätten. Das ist aber eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Im Übrigen, so die öffentliche Meinung weiter, gehöre Religion ins eigene Wohnzimmer. Damit scheint das Problem religiöser Gewalt gelöst zu sein.
Um sie wirksam zu verhindern, müssen die Religionsgemeinschaften mehr tun, als sich an Gesetze zu halten. Die Friedfertigkeit eines Zusammenlebens besteht nicht so sehr auf dem Papier, sondern sie muss tagtäglich vor Ort erstritten werden. Dabei geht es um mehr als die Durchsetzung der staatlichen Ordnung. Es kommt darauf an, die Grundlagen dieser Ordnung gerecht zu gestalten und, wo dies nötig ist, sie auch zu verteidigen. Zusätzliche Polizisten und Überwachungskameras machen ein Land nicht sicherer. Sicherheit ist zuvörderst eine Aufgabe für die Zivilgesellschaft. ‚The only thing necessary for the triumph of evil is for good men to do nothing‘, so (mutmaßlich) der irische Politiker Edmund Burke (1729 – 1797).
Die internen Barrieren abbauen, die ein solches diakonisches Engagement verhindern.
Auch Religionsgemeinschaften können zu einer solchen Gewalteindämmung einen Beitrag leisten, zum Beispiel durch alltägliche Diakonie, die Anwaltschaft für Minderheiten, interkulturelle Begegnungen oder durch die Mitgestaltung des gemeinsamen Sozialraums. Zuvor sollten sie freilich die internen Barrieren abbauen, die ein solches Engagement verhindern: der Anspruch auf alleinigen Zugang zur Wahrheit etwa, die Unterscheidung von Menschen auf der Grundlage religiöser Urteile oder der Rückzug in eine heilige Sonderwelt getrennt vom Rest.
Vor allem aber gilt es immer da zu widersprechen, wo Gott für menschliche Angelegenheiten gleich welcher Art instrumentalisiert wird. So würden die Religionen zusammen mit anderen Akteuren die Kräfte stärken, die die unterschwellige Gewaltbereitschaft im Zusammenleben einfrieden. Das ist nicht unmittelbar, aber auf lange Sicht die einzige Lösung.
Anmerkungen:
[1] https://www.youtube.com/watch?v=ELD2AwFN9Nc.
[2] www.vpro.nl/zondag-met-lubach/specials/boekenlegger.html.
Siehe zum Thema auch:
Zwischen Wahrheit und Freiheit: Religiöse Gewalt und liberaler Rechtsstaat
Autor: Dr. habil. Stefan Gärtner ist Universitätsdozent für Praktische Theologie an der Universität von Tilburg/Niederlande
Beitragsbild: www.vpro.nl/zondag-met-lubach/specials/boekenlegger.html