Bruder Thomas Quartier OSB zeigt, wie „religiös und radikal sein“ zusammen gehen kann. Eine Rezension von Jan Loffeld.
Thomas Quartier liebt den Grenzübertritt. An der Grenze zu den Niederlanden aufgewachsen, hat er seinen Weg als niederländischer Theologe gemacht und tritt als Theologieprofessor dort vor einigen Jahren in ein Benediktinerkloster ein. Als Mönch lässt er heute seine Jugendfaszination zu Bob Dylan wiederaufleben und hält Autorenlesungen beim Frühlingserwachen auf der Nordseeinsel Terschelling. In seinem neuen Buch „Heilige Wut“ deutet er dies alles letztlich als einen Prozess, seine „Wut zu heiligen“: die des jungen Schülers, der Dorf und Welt verändern wollte und heute in einem radikal monanistischen Lebensentwurf sein Potential dazu entdeckt.
Dieser Prozess transzendiert Klostermauern.
Der Band, stets in der Ich-Form geschrieben, ist wohl das, was man neudeutsch ein Testimonial nennt: ein durchweg sehr ehrliches Zeugnis über den eigenen Weg der Suche nach sich selbst in einer besseren Welt, die sich in der Gottsuche wiederfindet. Dieser Prozess transzendiert Klostermauern, nicht nur durch die sprichwörtlich benediktinische Gastfreundschaft, vor allem in den Herausforderungen unmittelbaren und globalen Zusammenlebens, die Bruder Thomas gerade ihren Tücken umschreibt – fundiert mit dem Wissen eines theologischen Akademikers, der sich jedoch bei wichtigen Entscheidungen und Hinweisen lieber auf die Tradition und Weisheit der Benediktsregel als auf Eitelkeiten oder Sachzwänge seines Akademikerdaseins verlässt.
Es gelingt Bruder Thomas, gerade weil sein Ringen mit allen Fragen nach modernem Leben und Mönchtum so aufrichtig und nachvollziehbar erscheint, die klassischen Konflikte und Anfragen überzeugend zu focussieren und narrativ – also alles andere als plattitüd oder oberflächlich – zu beantworten. Mithilfe des Erzählens von dem, was er vorsichtig und dann immer überzeugter seine Berufung nennt. Der Weg dahin war lang, turbulent, klärend – und ermutigend.
Nicht um das Verstehen, sondern um sein Suchen und Lieben geht es ihm
Diese Mischung aus durchlebter und durchbeteter Erfahrung, akademischer Metaebene und traditioneller Vergewisserung lässt seine „Heilige Wut“ zu einer nach-denkenswerten Fundgrube am Rande einer Kirche werden, deren gegenwärtige Selbstrettungstendenzen bisweilen unerträglich werden. Bei Bruder Thomas kommt das Kirchen- bzw. Religionsthema fast gar nicht vor. Dafür viel Realität, Welt, Solidarität mit dem Hier und Jetzt und vor allem: das, was er das Ziel seiner Suche nennt – Gott. Von ihm heißt es schon bei Augustinus: „Wenn Du es verstehst, ist es nicht Gott“. Nicht um das Verstehen, sondern um sein Suchen und Lieben geht es ihm, erahnend, dass darin für diejenigen, die möchten, das bislang Unerkannte liegen kann.
Wer will, kann in seinem Buch auch neue Zugänge zu gemeinhin verabschiedeten Begriffen finden: Gehorsam, Gastfreundschaft, Radikalität. Mit Blick in die politische Gegenwart zeigt sich allerdings, wie aktuell alle drei sind – gerade, wo sie religiös konnotiert und öffentlich (diskutiert) werden. Einige Kostproben:
Ich bin ungehorsam gegenüber jeder Fassade
Gehorsam: „Ich demaskiere den falschen Gehorsam, der das Selbstbild und das Bild der Mitmenschen beeinträchtigt. Ich bin ungehorsam gegenüber jeder Fassade, indem ich mich für eine Sicherheit entscheide, bei der alle Beteiligten wissen, dass sie nicht selber darüber verfügen können. Ich brauche Gehorsam dem ultimativen Lebensziel gegenüber.“ (128f.)
Gastfreundschaft, sei eine Übung, die der Mönch zum Überleben brauche, wenn der Gastbruder jeden Gast mit „Deo gratias“ begrüßt: „Wir danken nicht dem Neuankömmling, nicht den Nachbarn, nicht uns selber. Wir danken Gott. Diese Richtung des Dankes sorgt dafür, dass wir ihn nicht zur Beweihräucherung der eigenen ach so guten Absicht missbrauchen können.“ (118).
Radikal Mönch zu sein heißt in erster Linie, demütig zu leben.
Radikalität: „Das eigentlich Radikale besteht darin, dass Mönche es sich zur Lebensaufgabe gemacht haben, sich mit ihrem Ego zu konfrontieren. Das widerspricht dem Opportunismus, dem man an der Uni zu leicht verfällt. Es interessierte im Kloster von Anfang an keinen, welches meiner Projekte nun erfolgreich war und wie Studenten meine Vorlesung bewerteten. Auch hat mich eigentlich nie jemand gefragt, ob ich theologisch nun orthodox oder liberal sei. Die klösterliche Radikalität ist von dieser Art Fragen unabhängig. Sie ist offen – offen für Gott. Radikal Mönch zu sein heißt in erster Linie, demütig zu leben. Es geht darum, zur Wurzel seiner eigenen Persönlichkeit zu gelangen und die wilden Triebe seines Egos, das Radikalität mit Hyperaktivität verwechselt, abzuschneiden.“ (145)
Wie gesagt, Bruder Thomas schreibt eigentlich nichts über Kirche oder Religion im engeren Sinn. Jene Fragen, an denen man sich hierzulande so gerne festbeißt und nach dem Stein der Weisen sucht, bleiben unbeantwortet. Und doch hat er dazu unglaublich viel zu sagen.
Jan Loffeld ist Pastoraltheologe an der Katholischen Hochschule in Mainz.
Literaturangabe: Thomas Quartier, Heilige Wut. Mönch sein heißt radikal sein, Freiburg/Brsg. 2018.