Mit seinem Resonanz-Buch hat Hartmut Rosa einen Versuch über das gelingende Leben vorgelegt. Dieser ist durchaus auch für Transzendenzerfahrungen offen. Michael Schüßler zeigt auf, dass theologisches Denken und Fragen aber noch weiter geht.
Resonanz ist also das neue Zauberwort. Hartmut Rosa versteht seine 800-Seiten-Monographie1 als Gründungsdokument einer Soziologie des guten Lebens. Die Grundthese lässt sich trotz ihrer detailreichen Darstellung recht schnell erzählen. Es reicht ein Satz, nämlich der Erste: „Wenn Beschleunigung das Problem ist, dann ist Resonanz vielleicht die Lösung“ (S. 13).
Nachdem uns Rosa in seinem Beschleunigungsbuch von 2005 erklärt hat, dass wegen der globalen Steigerungs- und Beschleunigungslogik wahrscheinlich alles den Bach runtergeht, verspricht das Resonanzbuch nun ein wirksames Gegengift. Wie immer vermengt er dabei alltagsnahe Beispielerzählungen mit kritischen Strukturanalysen zu einem suggestiven Theorie-Cocktail. Gleich am Beginn darf Anna auf dem Weg zur Arbeit die Sonne genießen und sich auf die Kolleg*innen freuen, während ihre Antipodin Hannah das grelle Licht hasst und die dumpfen Sprüche auf der Arbeit verabscheut. Anna erlebt sich von der Welt getragen, Hannah in die Welt geworfen und ihr ausgesetzt. Von solchen Stereotypen aus rechnet Rosa nach und nach zur Theorie hoch.
wenn etwas ins Schwingen kommt
Auf der einen Seite wären da die stummen und entfremdeten Weltbeziehungen, die das Leben pathologisch zerstören. Die instrumentelle Logik des Kapitalismus verspricht zwar Glück und Erfüllung durch Reichweitenvergrößerung: höher, weiter, schneller, mehr! Wer aber so lebt, führt kein gutes Leben, sondern zerstört es letztlich. Rosa setzt dagegen auf Intensität und Qualität. Das gute Leben liegt auf einer anderen Ebene, in warmen und antwortenden Resonanzerfahrungen, wenn etwas ins Schwingen kommt. Er illustriert das zunächst als beschreibbare Empirie, an leibbezogenen Sinneserfahrungen über das mechanische Modell kommunizierender Röhren bis zu den neurobiologischen Resonanzeffekten von Spiegelneuronen. Die Antwort auf Beschleunigung kommt als sozialtherapeutische Affektlehre daher. Wenn die Augen leuchten, wenn ein vibrierender Draht entsteht und man von etwas bis ins Innerste berührt wird, dann ereignet sich Resonanz. Doch das soll mehr sein als eine Metapher: Nicht nur emotionaler Gefühlszustand, sondern affektiver Beziehungsmodus (288); nicht nur Echo, bei dem lediglich das Eigene nachhallt, sondern Resonanz, bei der das Antwortende mit eigener Stimme spricht (285f); nicht nur eine analytische Beschreibung, sondern ein normatives Konzept „als Maßstab des gelingenden Lebens und damit als Kriterium einer normativ orientierten Sozialphilosophie“ (294).
vom Verstummen der religiösen Resonanzachse
Damit läuft Rosa einmal quer durch die Gesellschaft und untersucht Familie, Politik, Kunst Objektbeziehungen, Schule, Arbeit und auch Religion daraufhin, ob und wie dort jeweils Resonanzräume eröffnet oder Resonanzen blockiert werden. Christiane Bundschuh-Schramm hat vor einigen Wochen in feinschwarz.net die Kirche auf Resonanzmängel hin untersucht.2 Was Rosa für die Politik analysiert, scheint auch für die katholischen Ortskirchen zuzutreffen: die Kommandobrücken antworten nicht mehr. Wenn angesichts der nächsten Welle an Kirchenentwicklungsprogrammen eine Mitarbeiterin sagt „Ich bin wütend und müde“, dann zeigt das mit Bundschuh-Schramm, „dass die Beziehung der kirchlichen Subjekte zum Weltausschnitt Kirche verstummt ist. Ihre Resonanzerwartungen, dass sie gleichzeitig Resonanz erzeugen wie erfahren, werden nicht erfüllt“ (ebd.) Genau das war aber die große Utopie moderner Kirchenträume. „Seit dem Konzil gibt es … ein großes Resonanzversprechen, dass das Volk Gottes Kirche ist und daher wirksam Kirche gestalten, mit eigener Stimme sprechen kann und dies eine wirksame Wechselwirkung erzeugt“ (ebd.). Doch wer in seinem Engagement keine Anerkennung zurückbekommt, brennt irgendwann aus. Und erscheint im Licht der Resonanzsehnsucht nicht auch das gegenwärtige Glaubensleben als entfremdet, wenn sogar kirchliche Mitarbeiter*innen vom Verstummen der religiösen Resonanzachse berichten? „Religion, so Rosa, besagt ja, dass die Urform des Daseins eine Resonanzbeziehung ist, nämlich da ist eine/r, der/die mir antwortet und entgegenkommt. Die Wechselbeziehung gegenseitiger Anverwandlung gerät ins Wanken, wenn die eine Seite der Beziehung in der Spätmoderne unter Plausibilitätsdruck geraten ist, und dies auch in der eigenen Gottesbeziehung des haupt- oder ehrenamtlichen Christen“ (ebd.).
problematische Utopien eines romantischen Idealismus
Spätestens hier zeigen sich auch die Grenzen von Rosas Resonanzkonzept. Es ist analytisch an einigen Stellen ganz aufschlussreich. Als normative Sozialphilosophie aber landet man bei den problematischen Utopien eines romantischen Idealismus, samt dialektisch-binärer Schemata. Vieles erinnert an die Wiederauflage der alten System-Lebenswelt-Dualität von Habermas. Gegen die entfremdenden Systeme der instrumentellen Vernunft setzt Rosa jetzt „sein“ Lebensweltkonzept, nämlich warme, antwortende Resonanzbeziehungen. Mit den Metaphern seines „intellektuellen Ziehvaters“ Charles Taylor, zu dem er promoviert hat, geht es um Resonanzoasen in den Wüsten stummer und rein rationaler Weltbeziehungen (615ff).
Versprechen auf eine andere Form der Weltbeziehung
Das ist natürlich nicht so naiv gemeint, wie es manchmal klingt. Dazu ist Rosa zu klug. Er sieht die Gefahr „ein (politisch durchaus gefährliches) romantisches Sehnsuchtskonzept“ (298) zu entwickeln. Das wäre der Fall, wenn man „die zu den Ermöglichungsbedingungen von Resonanzerfahrungen zählenden konstitutiven Entfremdungsaspekte“ (ebd.) vergessen würde. Wie er allerdings nach Resonanz in der Entfremdung sucht, das erinnert eben mehr an die ehrenwerten, aber modernen Konstellationen kritischer Theorie (v.a. der messianischen Theologie von Benjamin), als an die Verwerfungen, Fremdheiten und Paradoxien der Gegenwart. „Resonanz entsteht … niemals dort, wo alles ‚reine Harmonie‘ ist, sondern … ist … gerade umgekehrt das Aufblitzen der Hoffnung auf Anverwandlung und Antwort in einer schweigenden Welt. … An der Wurzel der Resonanzerfahrung liegt der Schrei des Nichtversöhnten und der Schmerz des Entfremdeten. Sie hat ihre Mitte … in der momenthaften, nur erahnten Gewissheit eines aufhebenden ‚Dennoch‘.“ (321; 322). Spätestens hier kippt das ganze Resonanzkonzept offenbar in eine soziologische Erlösungslehre, also in implizite Theologie. Denn Resonanzereignisse sind „stets auch erfüllt von einem starken Moment der Sehnsucht: Sie bergen das Versprechen auf eine andere Form der Weltbeziehung – in gewisser Weise lässt sich vielleicht sogar sagen: ein Heilsversprechen –; sie vermitteln die Ahnung von einer tiefen Verbundenheit; aber sie beseitigen nicht die dazwischen liegenden Formen der Fremdheit und Unverfügbarkeit“ (317).
Spannend, dass Rosas Resonanzbegriff damit viel mehr Alterität, Differenz und postmoderne Ungewissheit beinhaltet, als er zugeben will. Was hier Resonanz heißt, ist als ereignisbasiertes Konzept immanenter Transzendenzen reformulierbar. Denn es vollzieht sich in der „Berührung durch das unverfügbar Andere, mit dem wir in eine Antwortbeziehung treten, die Widerspruch erlaubt und fordert“ (621). Immer wieder betont Rosa auch, dass Resonanz eben nicht gemacht oder gelernt werden kann. Fraglich dann aber, was er sich unter „stabilen Resonanzachsen“ vorstellt oder wie eine „Lebensform als ganze als resonant zu beschreiben“ sein kann (297).
mit dem Ereignis des ganz Anderen rechnen
Vielleicht wird es tatsächlich Zeit für eine theologische Kritik gegenwärtiger sozial- und kulturwissenschaftlicher Zeitdiagnosen. Auch wenn mir die gesellschaftskritische Absicht von Rosa sehr sympathisch ist, für eine an der säkularen Bedeutung des Evangeliums interessierte Theologie bleibt die Frage, ob es sich lohnt auf eine Soziologie zu setzen, die selbst in romantisch grundierte Utopien umzuschlagen droht. In Bezug auf eine kritische Gesellschaftstheorie bezweifle ich jedenfalls, dass die Alternative zum steigerungslogischen Kapitalismus über Oasen affektiver Resonanz läuft. Und in Bezug auf eine kritische Theologie, heißt „mit Gott rechnen“ eben mit dem Ereignis des ganz Anderen zu rechnen. Also mit der Unberechenbarkeit und Unverfügbarkeit, in der das Absolute auch in der Fremdheit von Resonanzunterbrechungen vermutet werden darf. Die entscheidenden Dinge des Lebens kommen selten als großes Kino daher, als Intensiverfahrung. Oft sind es kleine, zufällige und uns zufallende Erfahrungen. Auch das religiöse Leben besteht zu großen Teilen aus dem Schwarzbrot der Gottsuche und der Erfahrung der Gottesferne und nicht aus einer Kette von Erleuchtungen. Theologie müsste heute eben mehr Dekonstruktion sein als normative Werteerziehung.
eine Apologie der Weltfremdheit
Wie Armin Nassehi schreibt3, liegt das Problem romantischer Gesellschaftskritik von Charles Taylor über die Frankfurter Kritische Theorie bis zu Rosas Resonanz darin, „dass man sich gelungenes Leben nur als Nähe vorstellen kann, nur als etwas, das Distanz aufhebt, nur wirkliche Verständigung“ (147). Doch es gibt „die zivilisatorischen Errungenschaften der prinzipiellen Fremdheit zwischen den Menschen“ (ebd.) Deshalb müsste „eine Apologie der Weltfremdheit geschrieben werden“ und deshalb kann es heilsam sein, auch „an der Unterbrechung von Resonanzzumutungen (zu) arbeiten“ (148).
Unter der Nummer 380 im neuen Gotteslob findet sich die Katholizismus-Hymne „Großer Gott wir loben dich“. Mit Rosa müsste man dieses Lied wohl als stabile Achse einer religiösen Resonanzgewissheit bezeichnen. Darunter ist eine Sentenz von Karl Rahner abgedruckt, die mit der irritierrenden Wirklichkeit von Resonanzunterbrechungen konfrontiert: „Glauben heißt, die Unbegreiflichkeit Gottes ein Leben lang aushalten“.
Michael Schüssler ist Professor für Praktische Theologie an der Universität Tübingen und Mitglied der Redaktion von feinschwarz.net.
Bild: Franziska Loretan-Saladin
- Hartmut Rosa, Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehungen. Berlin 2016 ↩
- Christiane Bundschuh-Schramm, „Ich bin wütend und müde.“ Wenn von der Kirche nichts mehr zurückkommt, in: feinschwarz.net vom 25. Juni 2016 ↩
- Vertraute Fremde. Eine Apologie der Weltfremdheit, in: Kursbuch 185 (März 2016), 137-154 ↩