Die globale Zivilisation bringt Religion hervor. Diese kreist um Fragen der Armut und um die grossen Hoffnungen auf ein besseres Leben. Hier trifft mit Papst Franziskus ein revolutionärer Papst auf eine gobale Hoffnung. (Hans-Joachim Sander, Rainer Bucher)
Religionsproduktive globale Zivilisation
Die globale Zivilisation ist religionsproduktiv. Sie schätzt religiöse Traditionen, schließlich helfen sie beim harten Kampf um Aufstieg von Individuen und Gesellschaften. Dieser Kampf wird beständig härter, weil die Schere zwischen arm und reich sich immer weiter öffnet. Entsprechend blühen Religionsgemeinschaften auf, die dem individuellen Erfolg wie dem öffentlichen Wohl Raum geben, speziell in Megastädten. Da die Verstädterung ebenfalls immer dynamischer wird, wird auch die Wertschätzung des Religiösen anhalten, unbeschadet der berechtigten Kritik am religiösen Hang zur Gewalt, trotz des Versagens im sexuellen Missbrauch und auch ungefährdet von der intellektuellen Verve eines neuen Atheismus.
Religiöse Angebote schätzen besonders die vielen Migranten, die in die Megastädte als Hoffnungsregionen strömen, weil sie dort wenigstens einen kleinen Anteil an Wohlstand und Aufstieg erlangen. Religion stärkt ihre schwer belasteten Rücken, während sie das Beste aus ihrem Leben in die Städte bringen: ihre Arbeitskraft und ihre Hoffnungen. Zugleich wird beides von den Reichen und Mächtigen ausgenutzt, von bürgerlich situierten Bedenkenträgern marginalisiert und von geschäftstüchtigen Mega-Church-Führern zu Geld gemacht.
Armut und der Aufstieg aus ihr bilden das Gravitationszentrum des globalen religiösen Wachstums.
Nicht zuletzt wegen dieser Menschen wird Religion wesentlich mit dem Thema Armut verbunden bleiben und davon auch gestärkt: Armut und der Aufstieg aus ihr bilden das Gravitationszentrum des globalen religiösen Wachstums. Armut ist ein ungelöstes Problem und sie wächst global. Keine Gesellschaft ist davon ausgenommen, auch reiche Gesellschaften wie die deutsche nicht. Dort gräbt sich Armut verschämt in die Tiefe hinein. Wer zur Armut in der gegenwärtigen Zivilisation aus religiöser Sicht etwas zu sagen hat, hat allen etwas zu geben und wird auch öffentlich auf Gehör treffen.
Papst Franziskus – Verbindung von Revolution und Armut
Deshalb wird jemandem wie Papst Franziskus so viel zugetraut. Bei seiner Verbindung von Revolution und Armut muss man keine neue Unterdrückung fürchten wie damals beim alten revolutionären Pathos, das am Ende doch nur noch mehr Unterdrückung schaffte. Man muss auch keinen letztendlichen Triumpf des schnöden Reichtums befürchten wie in Geheimdienst-Oligarchien à la Putin, im Geldgier-Kommunismus Pekings und in den mega-elitären Philanthropie-Clubs für kapitalistische Superreiche. Schließlich hat dieser Papst eine Kirche am Bändel, die gegenwärtig ungefähr so viel zur revolutionären Avantgarde taugt wie eine Schildkröte zum Fliegen. Außerdem stößt ihr der Reichtum sofort öffentlich auf, wenn mal wieder einer ihrer Oberen sich ihm besonders hingebungsvoll widmet.
Andererseits: Wie soll ein Papst ein Momentum für die Armutsfrage aufrechterhalten können angesichts seiner eigenen reichen Kirche, wo nicht wenige ungestört ihren Geschäften weiter nachgehen wollen? Wie kann er als Oberhaupt einer Religionsgemeinschaft, die sich gerne in paternalistischer Manier ‚unserer armen Leute‘ bedient, zum Kristallisationskern für eine wahrhaftige Alternative zur globalen Herrschaft des Geldes werden? Seine prophetisch harten Einlassungen zur Ökonomie der Boni und Börsenrekorde und zur globalisierten Gleichgültigkeit über das Schicksal armer Migranten haben Hoffnungen geweckt, dass es da jemand aufnehmen will mit der international dominierenden Ordnung des Kapitals, die von der Privatisierung des Erfolgs und der Sozialisierung seiner Risiken lebt. Die Hoffnungen reichen bis in den US-Kongress, der ihn zur Rede vor beiden Häusern einlädt, obwohl er sich selbst nicht zu einem tatkräftigen Umgang mit der grassierenden Armut im eigenen Land durchringen kann.
Man möchte diesem Papst beim Anschieben beistehen…
Man möchte diesem Papst beim Anschieben beistehen, damit seine Kirche endlich auf jenes Niveau kommt, auf das sie sich mit ihrem letzten Konzil selbst verpflichtet hat. Dort wollte sie eine Weltkirche werden, ein globales Netzwerk für die Menschenfreundlichkeit Gottes und die Barmherzigkeit, für eine Solidarität in der Not und einen festen Glauben, dass die Menschheit es besser kann, als sie es tut.
Notwendige Fähigkeit zur Selbstkritik
Dazu genügen freilich schöne Enzykliken, Moralappelle und vage Entweltlichungsprogramme nicht. Eine wirksame Kritik an der Relativierung des Menschlichen in der globalen Zivilisation gibt es nur Hand in Hand mit der Selbstkritik, den eigenen Ansprüchen selbst nicht standzuhalten. Das hat Papst Franziskus begriffen, weshalb er seiner störrischen Kirche Selbstüberwindung zumutet, seinen Klerus zu Bescheidenheit drängt und dem eigenen Apparat Dienst statt Herrschaft predigt.
Global geht es darum, wie es weitergehen soll mit der Macht, die am Kapital und seinen Freiheiten hängt. Es sind Zweifel angebracht, dass es gut ist, wenn die Menschheit diese Mächte sich selbst überlässt, weil das angeblich für die meisten einen großen Vorteil bringe. Den bringt es tatsächlich nur für wenige.
Niemand traut natürlich der katholischen Kirche wirklich zu, hier den Königsweg zu wissen, auch nicht einen dritten ökonomischen Weg zwischen Liberalismus und Sozialismus. Und doch warten Menschen regelrecht auf eine Kirche mit einem solchen Papst. In der globalen Zivilisation gehen anonyme Vernetzung und Personifizierung von sozialen Entwicklungen Hand in Hand. Vakant bleibt bis heute die Personifizierung der Ohnmacht, aus der Armut wesentlich besteht. Denn Armut greift auf Menschen namenlos zu und die globalisierte Anonymität aus sieben Milliarden Menschen verstärkt das. Um die von Armut gebeutelte Ohmacht orten zu können und sie in Gerechtigkeit zu wandeln, braucht es einen globalisierungsfähigen Repräsentanten. Dafür ist die Figur des Papstes wie geschaffen.
Personifizierung der Ohnmacht
In der Liga globaler Figuren für menschliche Ohnmacht spielen nur wenige. Nach Mandelas Tod und neben dem Dalai Lama bleiben nicht viele übrig. Auch ist nicht jeder Papst dazu in der Lage. Franziskus aber scheint das zu können, weil er einen authentischen Umgang mit Menschen in Armut vorweisen kann. Seine Art, Armut zu thematisieren, erregt eine globale positive Aufmerksamkeit und seine Kapitalismuskritik ist sogar selbst erregend. Das ergreift eine Welt, die sich wandelt, aber sich selbst dabei nicht so recht über den Weg traut.
Säkulare Anteilnahme an der Kirche
Ein Papst als Repräsentant der globalen Armut setzt seine Kirche unter Druck, so dass jetzt, nach den langen Jahrhunderten, in denen die katholische Kirche eine ihr genehme Menschheit heranziehen wollte, nun umgekehrt die zeitgenössische Bevölkerung des Planeten an einer Kirche arbeitet, die sie selbst nötig hat und zwar völlig unabhängig davon, ob man ihr angehört. Niemand in der Kirche hat eine dauerhafte Chance, diesem Druck auszuweichen. Erste Ausläufer zeigen sich schon über die globale Irrelevanz der katholischen Vorlieben in der Sexualmoral hinaus im UNO-Bericht über sexuellen Missbrauch, in der aufmunternden Kritik an der fehlenden Auflistung kirchlichen Reichtums, im Unbehagen über das Kleinreden der weiblichen Mehrheit in der Kirche. Die säkular-außerkirchliche Anteilnahme hat einen Vorgang von unabsehbarer Tragweite in Gang gesetzt: Die Menschheit drängt die katholische Kirche, dorthin zu wachsen, wo sie hingehört: in die Armutslagen der Gegenwart.
Die Menschheit drängt die katholische Kirche, dorthin zu wachsen, wo sie hingehört: in die Armutslagen der Gegenwart.
Das passt nicht allen. Aber die Kümmernisse der wachsenden armen Menschheit wahrzunehmen und der gewaltigen Ohnmacht in den globalen Armutslagen widerstehen zu lernen, ist jeden Wachstumsschmerz wert. Der leichtere Part wird dabei sogar die innerkirchliche Reformkurve sein. Sie ist zwar steil und eng und die Fliehgeschwindigkeit entsprechend hoch. Aber viel schwieriger wird das Terrain dort sein, wo die reichen Gesellschaften mit sich zu hadern haben.
Wo wollen sie denn mit ihrem Reichtum hin, wenn dessen Gewinnung ständig immer mehr Menschen ausschließt? Wie sehr muten sich die Reichen und Mächtigen überhaupt zu, mit denen zu teilen, die einen offenen Zugang zu den Lebensressourcen auf dem Planeten nötig haben, aber eben nicht die Macht, ihn zu erzwingen? Wie lässt sich verhindern, dass systemische Fallstricke in der Wechselwirkung von Armut und Reichtum – man denke nur an die ökologischen Probleme und die Mindestlohnfrage – von denen benutzt werden, die gar nicht daran denken, sich davon in der eigenen Lebensweise relativieren zu lassen? Ressentiments sind schnell geweckt, bei Besitzenden wie Besitzlosen, unter Leidenden und Mitleidlosen. Sie können tödlich werden.
Es steht also viel auf dem Spiel.
Es steht also viel auf dem Spiel. Es geht schließlich um gewaltige Kräfte, die den Lebensraum Erde zerreißen können. Er hängt an seidenen Fäden. Noch fehlen die Muster, diese Fäden so miteinander zu verweben, dass die Erschütterungen durch Armut sie nicht zerreißen, sondern umgekehrt Armut zerrissen wird.
Aber mit diesem Papst hat man immerhin schon eine Personifizierung für den jetzt anstehenden Prozess, Menschen zusammenzubringen, die im 21. Jahrhundert an die Belastbarkeit des Reichtums durch die Armut religiös wie säkular glauben. Ihre globale Vernetzung wäre der Brückenbau in eine andere Zeit.
(Rainer Bucher, Graz, & Hans-Joachim Sander, Salzburg; Bild: Jan Zinserling, pixelio.de)