Einige möchten ihre Begeisterung über Jesus mit möglichst vielen anderen teilen. Vielen ist aber auch unwohl bei dem Gedanken, sie müssten andere zum Christentum bekehren, um ihrem Auftrag als Christinnen und Christen gerecht zu werden. Christiane Schubert ist überzeugt, dass der Auftrag, das Evangelium zu verkünden, nicht den Glauben, sondern das Wohl aller Menschen zum Ziel hat.
Die einen wollen davon möglichst nichts hören und den Begriff am liebsten abschaffen. Dieser könne heute einfach nicht mehr unbelastet verwendet werden. Denn den Makel, der ihm spätestens seit der Kolonialzeit anhaftet, werde er wohl nie wieder los: dass damit nämlich auch mal gemeint war, fremde Menschen mit einer anderen Weltanschauung, die oft als minderwertig betrachtet wurden, mit Druck und z.T. auch mit Gewalt zum christlichen Bekenntnis zu bewegen, sie so vermeintlich vor dem Feuer der Hölle zu retten und gleichzeitig imperialistisch die Macht der katholischen Kirche über immer grössere Teile der Welt auszudehnen.
Der Makel des Missionsbegriffs
Die anderen verweisen darauf, dass Mission zum Kern des Christseins gehöre und man ruhig auch den Begriff wieder mutiger und selbstbewusster verwenden solle. Jedes Unternehmen habe heute ein Mission Statement, und es würde auch der Kirche den dringend ersehnten Aufbruch und Neubeginn bringen und sie auf diese Weise letztlich auch vor dem allgegenwärtig schon spürbaren Bedeutungsverlust bewahren, wenn sich die Christinnen und Christen nur endlich wieder des missionarischen Charakters ihres Christseins bewusst würden.
Hoffnungen auf Mission
Gelegenheiten, sich der Frage zu stellen, wie wir es mit der Mission haben, gab es in den vergangenen Monaten jedenfalls genug:
Papst Franziskus fordert seit Beginn seines Pontifikats immer wieder eine Rückbesinnung auf den missionarischen Auftrag der Christinnen und Christen, ausführlich in seinem ersten apostolischen Schreiben Evangelii Gaudium, aber z.B. auch bei seinem Besuch des Ökumenischen Rates der Kirchen im Juli 2018. Unsere christliche Identität hänge davon ab, so der Papst, dass wir die Verkündigung des Evangeliums bis an die äussersten Grenzen als zum Wesen des Christentums gehörend reflektieren.1
Der Monat Oktober 2019 ist von Papst Franziskus als ausserordentlicher Monat der Weltmission ausgerufen worden. Neben der in vielen Pfarreien selbstverständlichen jährlichen Kollekte für den Weltmissionssonntag werden deshalb in diesem Jahr alle Getauften besonders eingeladen, sich dem eigenen Missionsauftrag von neuem bewusst zu werden.
Missionarische Suchprozesse: ausserordentlicher Monat der Weltmission, „Mission Manifest“
Im Januar 2018 lancierten katholische Christen das «Mission Manifest». Es hat viele Unterstützerinnen und Unterstützer gefunden, die sich der Forderung nach einem missionarischen Aufbruch der Kirche anschliessen. Ebenso laut wie die Zurufe war und ist aber auch die Kritik zu hören, die der Gegenwartsdiagnose, der Sprache und der Stossrichtung der Thesen eine deutliche Absage erteilt. Beispiele hierfür sind der Beitrag von Ursula Nothelle-Wildfeuer am 22. Januar 2018 und der Sammelband „Einfach nur Jesus? Eine Kritik am ‚Mission Manifest?‘“2.
Die z.T. heftig und emotional geführte Diskussion, z.B. an einer Tagung des Studienzentrums für Glaube und Gesellschaft an der Universität Fribourg im Dezember 2018, hat deutlich gezeigt, wie unterschiedlich der christliche Missionsauftrag verstanden wird. Zudem ist offensichtlich, dass es sich dabei nicht nur um Nuancen in der Ausdeutung, sondern tatsächlich um miteinander im Widerspruch stehende Auffassungen handelt.
heftig und emotional geführte Diskussion
Es wird also gerungen und gestritten darum, wie wir es mit der Mission halten wollen und sollen.
Dabei geht es längst nicht nur um die vergleichsweise einfache Frage, ob der Begriff heute noch verwendet werden soll. Viel schwerer wiegt die Uneinigkeit und vor allem die Sprachlosigkeit vieler in der Frage, wie denn der Auftrag eines Christen/einer Christin überhaupt konkret zu bestimmen ist. Was genau ist gemeint mit dem jesuanischen Sendungsauftrag «Geht hinaus in die ganze Welt und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen» (Mk 16,15)?
In einem Punkt sind sich heute alle einig: Mission ist mit Zwang oder Gewalt unvereinbar. Glaubensverkündigung darf nicht mit Aggression einhergehen.
Was genau ist gemeint mit dem jesuanischen Sendungsauftrag?
Die Meinungsunterschiede beginnen bei der Frage, wie die Glaubensverkündigung konkret aussieht bzw. auszusehen hat.
Manche verstehen darunter die explizite Verkündigung der christlichen Botschaft (wie sie sie für sich selbst verstanden haben) an möglichst viele Menschen. Sie verweisen auf die Begeisterung des eigenen Glaubens, der ihnen gar keine andere Wahl lässt als anderen davon zu erzählen und ihnen den Glauben ebenfalls als rettendes Geschenk für ihr Leben anzubieten. Von ihnen soll hier im Folgenden nicht die Rede sein; es sei lediglich der Befürchtung Ausdruck verliehen, dass diese Form der Verkündigung für andere zu oft als leere Worthülse daherkommt und deshalb nichts bewirken kann. Was ganz genau bedeutet es denn, zu Christus gefunden und Jesus als einzige Hoffnung zu haben? Und was bedeutet es vor allem, wenn die Antworten auf diese Fragen mir nichts sagen oder mich nicht überzeugen können?3
Verkündigung auf Nachfrage?
Die anderen, die ihre Aufgabe nicht darin sehen, anderen aktiv und von sich aus die christliche Botschaft zu verkünden, argumentieren gerne mit Verweis auf den ersten Petrusbrief, wo die Christinnen und Christen dazu aufgefordert werden, Rede und Antwort zu stehen über die Hoffnung, die sie erfüllt (1 Petr 3,15): Verkündigung auf Nachfrage.
Im Gegensatz zur ersten Gruppe scheint hier das Sendungsbewusstsein eher passiv und auch in gewissem Widerspruch zu stehen zum Auftrag Jesu, möglichst vielen Menschen die Botschaft vom Reich Gottes zu bringen.
Wenn wir allerdings ernst nehmen, dass wir als Christinnen und Christen tatsächlich gesandt sind in der Welt, stellt sich die Frage, wie unser Auftrag konkret zu bestimmen ist.
Es bringt Gott überhaupt nichts, wenn möglichst viele von ihm wissen.
Salopp gesagt: Es bringt Gott überhaupt nichts, wenn möglichst viele von ihm wissen. Auch seine Zuneigung zu jedem einzelnen Menschen hängt nicht davon ab, ob dieser Mensch an ihn glaubt oder nicht.4 Aber es ist genau diese Liebe, die Gott ist und die eben unbedingt ist, wegen der Gott das Beste für jeden Menschen will. Das zeigt sich in Jesu Hinwendung zu den Menschen, wie sie in den Evangelien festgehalten ist, und es zeigt sich in der Aussendung der Jüngerinnen und Jünger: sie werden von Jesus gesandt, um Kranke zu heilen, Tote aufzuerwecken, Aussätzige rein zu machen, unreine Geister auszutreiben. Heilt Kranke, richtet die Gebeugten auf, esst mit den Ausgestossenen, nehmt euch Zeit für die Benachteiligten. Es geht um den Schrei der Armen und das gute Leben für alle.
Gottes Zuneigung zu jedem einzelnen Menschen hängt nicht davon ab, ob dieser Mensch glaubt oder nicht.
Die Botschaft vom Reich Gottes wird also nicht in erster Linie verkündigt, indem wir von Gott reden. Vielmehr ist unser Handeln im Blick. Als Christinnen und Christen glauben wir, dass jeder Mensch in den Augen Gottes unendlich wertvoll ist. Das können wir anderen sagen, aber vor allem müssen sie es spüren und erfahren, damit dieser Satz für sie Wirklichkeit sein kann. Gottes Liebe zu jedem einzelnen seiner Geschöpfe sichtbar und erfahrbar zu machen, das ist unser Auftrag. Und das ist zugleich auch unsere Sehnsucht – denn wer erkannt hat, wie ernst es Gott mit seiner Liebe meint und wer einstimmt in diese Liebe, der kann nicht anders als sie zu leben; der hat eine Mission.
Der Erfolg der Mission wird nicht daran gemessen, dass eine mehr oder weniger grosse Anzahl von Menschen durch uns zum Glauben an Jesus Christus gefunden hat.
Der Erfolg der Mission wird dann nicht daran gemessen, dass eine mehr oder weniger grosse Anzahl von Menschen durch uns zum Glauben an Jesus Christus gefunden hat. Denn der Glaube beruht auf Erfahrung. Einer Erfahrung, die wir nicht machen können. Einer Erfahrung, die bei manchen vielleicht sogar ausbleibt, obwohl sie so gerne glauben möchten. Vor allem aber fehlt den Menschen, die nicht an Jesus Christus glauben, nicht zwangsläufig etwas. Viele machen die Erfahrung von Sinn in anderen Religionen oder ohne eine Religion. Dabei dürfen wir nicht vergessen: auch ohne den expliziten Glauben an Gott können sie Verbündete unserer Mission sein.
Glaube beruht auf Erfahrung – die wir nicht machen können.
Erfolgreich ist unsere Sendung, wenn wir den Hungernden zu essen gegeben, die Fremden aufgenommen, den Nackten Kleidung gegeben, die Kranken besucht, den Gefangenen Hoffnung gegeben und die Zerschlagenen in Freiheit gesetzt haben. Wem es wirklich ernst ist mit dem Evangelium vom Reich Gottes, die grämt es nicht, dass andere nicht zum Glauben an Gott finden. Sie hat andere Sorgen.
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Dr. Christiane Schubert leitet die Abteilung Weltkirche/Ökumene des Pastoralamts des Bistums St. Gallen.
- Vgl. Ansprache von Papst Franziskus, Ökumenische Begegnung beim ÖRK im Ökumenischen Zentrum, 12. Juli 2018: https://www.oikoumene.org/de/resources/documents/other-meetings/papal-visit/speech-of-the-pope-francis-during-the-ecumenical-meeting-at-the-wcc . ↩
- Ursula Nothelle-Wildfeuer / Magnus Striet (Hg.): Einfach nur Jesus? Eine Kritik am «Mission Manifest» (= Katholizismus im Umbruch 8), Freiburg i.Br. 2018. ↩
- Vgl. dazu denBeitrag von Rainer Bucher am 17. Januar 2018: https://www.feinschwarz.net/struktur-christlicher-mission/. ↩
- Vgl. die Ansprache von Papst Franziskus am 31. März 2019 in Marokko: https://www.vaticannews.va/de/papst/news/2019-03/papst-franziskus-marokko-kathedrale-priester-orden-rede-papmar.html. ↩