Die Künstlerin Mahbuba Maqsoodi gestaltet Glasfenster in christlichen Kirchen. Maike Maria Domsel über eine Kunst, die religiöse Menschen ebenso ansprechen kann wie spirituell Suchende und Nichtgläubige.
Aktuell erfährt die Pfarrkirche St. Josef im bayerischen Cham eine umfassende Renovierung, bei der sämtliche Fenster des Sakralraums durch den vierzehngliedrigen Werkszyklus der deutsch-afghanischen Künstlerin Mahbuba Maqsoodi ersetzt werden. Diese Initiative zielt darauf ab, eine zeitgemäße und ansprechende Vermittlung des Evangeliums zu ermöglichen und somit eine Verbindung zu heutigen Menschen herzustellen.
eine zeitgemäße und ansprechende Vermittlung des Evangeliums
In einer ähnlichen Ausrichtung wurde vor zwei Jahren im saarländischen Tholey ein vergleichbares Projekt abgeschlossen, bei dem die Abteikirche St. Mauritius aufwendig renoviert wurde, einschließlich der Erneuerung aller Kirchenfenster. Im Rahmen dieses künstlerischen Prozesses entstanden Werke von internationaler Bedeutung, die zahlreiche Besucher*innen in diesen sonst eher beschaulichen Ort lockten. Der Großteil der Fenster wurde ebenfalls von Mahbuba Maqsoodi gestaltet, während drei weitere von Gerhard Richter, einem der renommiertesten zeitgenössischen Künstler, gefertigt wurden. Dieses eindrucksvolle Vorhaben wurde für seine innovativ-kreative Kraft gelobt und als gleichermaßen kulturelle wie spirituelle Initiative gewürdigt, die grenzüberwindend wirkt und nicht nur religiös, sondern auch spirituell Suchende sowie Nichtgläubige anspricht.[1]
eine außergewöhnliche Aura … durch die Hervorhebung des existenziell Anthropologischen
Was unterscheidet das neue Projekt von dem in Tholey? Anders als dort werden in Cham sämtliche Fenster des sakralen Raums ausschließlich von Mahbuba Maqsoodi gestaltet, was zur Erschaffung eines harmonischen Gesamtkunstwerks führt, das im November der Öffentlichkeit präsentiert wird. In dieser Kunst entfaltet sich eine außergewöhnliche Aura, die nicht nur durch ihre farbliche Expressivität beeindruckt, sondern vor allem durch die Hervorhebung des existenziell Anthropologischen besticht. Dabei werden klare Anzeichen von Beginn und Aufbruch sichtbar, ohne dabei Schmerz und Bedrohung zu verleugnen. Nicht zu vergessen ist, dass sich diese künstlerische Initiation in einer Welt ereignet, die von krisenhaften Zeitzeichen geprägt ist und apokalyptische Szenarien allgegenwärtig erscheinen.[2] Die Endzeit-Dimension wird hierbei nicht nur auf gesellschaftlicher Ebene deutlich, sondern auch institutionell, besonders im Zusammenhang mit der gegenwärtigen Existenzkrise der katholischen Kirche, die vor allem in Nord- und Mitteleuropa spürbar ist.
seine potenziell wegweisende Kraft für Theologie und Kirche
Worauf kann das Cham-Projekt hinweisen, sowohl hinsichtlich der vielfältigen Anliegen der Menschen, die teilweise in existenziellen Fragestellungen wurzeln, als auch in Bezug auf seine potenziell wegweisende Kraft für Theologie und Kirche? Diesbezüglich steht zumindest eines fest: Die Tiefe und Bedeutung des Projekts wird sich wohl erst nach und nach den Betrachtenden erschließen, da Kunstwerke im Allgemeinen und insbesondere solche aus der Welt der Glaskunst immer wieder im neuen Licht erscheinen und dabei neue Details offenbaren. Zudem sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass sich der genannte Werkszyklus noch in seiner sensiblen Entstehungsphase befindet – eine einzigartige Situation, die in der Flüchtigkeit des Augenblicks eine besondere Spannung, aber auch die Möglichkeit von Zerbrechlichkeit birgt.
Allgemein sind Prozesse der Erneuerung und des Wandels von Vulnerabilität geprägt. Neue Anfänge gehen oft mit einer Fülle von Unsicherheiten, Erwartungen und Unbekanntem einher, was wiederum Zweifel und Ängste hervorrufen kann. Sie sind vergleichbar mit der Handhabung des kostbaren Glases, aus dem die Kirchenfenster gefertigt werden. Höchste Vorsicht ist geboten: Einerseits zeichnet sich das farbechte Material durch enorme Widerstandsfähigkeit und Langlebigkeit aus. Andererseits sind die Scheiben äußerst sperrig und empfindlich. Bereits ein kurzer Moment der Unachtsamkeit genügt, um das entstehende Kunstwerk zu zerstören.
Die Bilder … drücken eine tiefe Verbundenheit zu den Lebenswelten heute lebender Menschen aus.
Mit Blick auf die Chamer Sakralkunst werden sich wohl einige Betrachter*innen an den figürlichen, mitunter rätselhaften Darstellungen reiben, die zunächst an traditionelle Szenen und Figuren des Alten und Neuen Testaments anknüpfen, jedoch auch viele Einhakpunkte für andere spirituell-religiöse Identitäten bieten. Ein bemerkenswertes Beispiel in einem der Fenster ist die Darstellung von David als Hirte Israels, dessen Hingabe für Gott durch eindringliche Mimik und Gestik besonders ergreifend wirkt. Diese Szene verweist zunächst auf biblische Passagen, wie z.B. 1 Samuel 16-17, aber auch auf koranische wie die Verse 21-25 aus Sure 38. Aufgrund der vielfältigen Interpretationsmöglichkeiten, die sich hier eröffnen, entziehen sich die Darstellungen einfacher Zuordnung. Auch dies stellt eine Besonderheit dar: Die Bilder werden in einer ausdrucksstarken und geheimnisvollen Weise präsentiert, die auf das Transzendente und Mysteriöse verweist. Gleichzeitig drücken sie eine tiefe Verbundenheit zu den Lebenswelten heute lebender Menschen aus.
eine Atmosphäre von spiritueller Tiefe und Verbundenheit
Als ein anschauliches Beispiel hierfür soll das Fenster mit dem Titel „Liebe – Der erste Anfang mit der Erschaffung Adams und Evas“ genannt werden. In diesem künstlerischen Werk entfaltet sich der erste Hauch der Liebe, eingefangen im Moment der Erschaffung von Adam und Eva. Das Fenster schimmert in einer Vielzahl von Blautönen, die subtil mit Violetteinschlüssen verflochten sind, und erzeugen eine Atmosphäre von spiritueller Tiefe und Verbundenheit. Die Darstellung von Adam und Eva, ineinander verschlungen und in inniger Zuneigung, spiegelt die Essenz der Liebe wider. Ihre Gestalten scheinen visuell fast miteinander verwoben zu sein, eine symbolische Darstellung der untrennbaren Einheit, die sie bilden. Das bedeutende Detail des Kunstwerks liegt in der verschlungenen Darstellung einer DNA, die sich um das Urpaar der Menschheit windet. Dieses Symbol verwebt auf kunstvolle Weise die biologische Grundlage des Lebens mit der spirituellen Bedeutung der Liebe, wodurch die Betrachter*innen zu einer Reflexion über die untrennbare Verbindung zwischen Menschheit und Schöpfung, Naturwissenschaft und Spiritualität angeregt werden.
„Leben“
Im Mittelpunkt eines weiteren Fensters steht die Darstellung der Auferstehung Jesu unter dem Titel „Leben“ (3). Es zeichnet sich durch die harmonische Kombination von Ocker- und Brauntönen sowie hellen Gelbtönen aus. Diese Gelbtöne wirken an bestimmten Stellen beinahe weißlich transparent und erzeugen ein gleißendes, helles Licht, das das Auferstehungsmotiv in den Fokus rückt.
Im Gesicht Jesu lassen sich seine Auszehrung und Mühsal erkennen, während Perspektivbrüche dem Bild eine gewisse Tiefe verleihen. Ein bemerkenswertes Element ist die Figur, die aus der Rückansicht zu sehen ist und sich scheinbar leichtfüßig auf ihrem Weg erhebt. Ihr Gewand fließt in sanften Bewegungen, teils filigran und transparent, was eine gewisse Leichtigkeit vermittelt. Die Symbolik der Auferstehung wird durch diese Darstellung eindrucksvoll betont, die emotionale Tiefe des Motivs verstärkt. Jedoch scheint es hier keine vorschnelle Erlösung zu geben. Im Sinne der Theologie des Karsamstags nach Johann Baptist Metz scheint die Bedeutung dieses stillen Tages zwischen Kreuzigung und Auferstehung Christi in den Mittelpunkt gerückt zu werden. Dieser beschreibt eine Zeit der Unsicherheit und Beklemmung, in der die Jünger Jesu mit ihrer eigenen Ohnmacht und dem vermeintlichen Scheitern ihrer Mission konfrontiert werden. Hier wird Jesu Leiden als zentrales Element des christlichen Glaubens betont und dazu aufgerufen, die bedrohliche Dunkelheit des Karsamstags als Teil des menschlichen Lebens und des Glaubens anzuerkennen, anstatt nach allzu rascher Erlösung zu suchen, die Erlittenes banalisiert und zumindest innerweltlich so auch nicht existiert. Diese gesamte Ambiguität von Hoffnung und Verzweiflung wird durch die Künstlerin eindrucksvoll herausgearbeitet, beispielsweise in dem Fenster mit dem Titel „Ohnmacht. Jesu Königtum“.
Insgesamt fordert Maqsoodi … zu einer tiefgründigen Reflexion heraus.
Im künstlerischen Schaffen der Muslima und bekennenden Humanistin Maqsoodi offenbart sich eine bemerkenswerte Fähigkeit: Mit ihren gegenständlichen und zeitgenössischen Kompositionen versteht sie es, biblische Szenen, die vielen zeitgenössischen Menschen möglicherweise fremd oder bedeutungslos erscheinen, auf harmonische Weise mit dem Hier und Jetzt zu verbinden. Besonders beeindruckend ist ihre Gabe, diese uralten Erzählungen mit den aktuellen Anliegen und Ängsten heutiger Menschen in Einklang zu bringen und dadurch nicht nur der spirituell-religiösen Vielfalt unserer Zeit gerecht zu werden, sondern mitunter auch jene ansprechen zu können, die keiner religiösen Orientierung folgen, sich jedoch möglicherweise auf Sinnsuche befinden. Insgesamt fordert Maqsoodi mit ihrer Kunst zu einer tiefgründigen Reflexion heraus: Ihre Darstellungen bleiben an vielen Stellen rätselhaft und ambig. Themen wie Aufbruch und Ermächtigung kommen zur Sprache kommen, gleichzeitig wird jedoch auf menschliche Ohnmacht und Schuld verwiesen.
Mut, sich mit eigenen Schuldverstrickungen auseinanderzusetzen
Doch was bedeutet all dies? Die sakrale Glaskunst im bayerischen Cham kann zweifellos wegweisendes Potenzial entfalten, indem sie die Möglichkeit aufzeigt, kirchlicherseits eine Kultur des Dialogs zu etablieren. Eine solche Kultur kann Menschen unterschiedlichster spiritueller Ausrichtungen wie auch solche ohne religiöse Bindungen einander näherbringen. Gemeinsam sind ihnen Fragen wie: Was erfüllt das Leben der heutigen Generationen? Was eröffnet neue Sinnperspektiven? In dieser Hinsicht könnte der sakrale Raum zu einer einladenden Stimme werden, die dazu aufruft, das Streben nach Sinn und Verständnis in Verbindung mit einer transzendenten Macht zu interpretieren – jener höheren Realität, die im religiösen Kontext allgemein als Gott bezeichnet wird. Die Aufgabe der Kirche würde dann darin bestehen, Menschen auf diesem Weg zu begleiten, auch und gerade, wenn es um Erfahrungen von Gottesferne im Kontext krisenhafter Zeitzeichen geht. Von herausragender Bedeutung ist hierbei, dass in diesem Prozess nicht nur die eigene Ohnmacht anerkannt, sondern auch der Mut aufgebracht wird, sich mit eigenen Schuldverstrickungen auseinanderzusetzen. Ein derart aufrichtiger und uneingeschränkt zugänglicher Dialog könnte die ersten zarten Umrisse eines möglichen Neuanfangs skizzieren. Dieser wäre jedoch ebenso fragil wie das zerbrechliche Material Glas und vergleichbar mit dem möglichen Wiederaufbau von Vertrauen. Hier ist es wichtig, äußerst behutsam vorzugehen und Menschen in ihrer Suche nach Sinn und Halt bedingungslos zu begleiten, ungeachtet ihrer Nähe oder Distanz zur Kirche.
Dr.in theol. Maike Maria Domsel, Privatdozentin an der Universität Bonn am Seminar für Religionspädagogik, religiöse Erwachsenenbildung und Homiletik; Lehrerin für Katholische Religion und Französisch am Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasium in Bonn / an der Katholischen Grundschule Sankt Martin in Sankt Augustin; Bereichsherausgeberin des Handbuches der Religionen (HdR) für den Bereich Religionspädagogik und Katechetik
Alle Bilder wurden von der Künstlerin zur Verfügung gestellt; © Atelier Maqsoodi
[1] Vgl. Domsel, Maike Maria: Das himmlische Licht Gottes. Kunst als Brücke zur Transzendenz?, in: transformatio; 1 (2023), 66-85.
[2] Vgl. König, Hildegard: Dann erschien ein großes Zeichen am Himmel, in: feinschwarz.net, https://www.feinschwarz.net/dann-erschien-ein-grosses-zeichen-am-himmel-ein-drache-wollte-ihr-kind-verschlingen-offb-12/