In der Eucharistie begegnet Gott: verborgen und auf Abstand zur Alltagserfahrung. Katechese kann einüben, wie das geht: Abstände zugleich auszuhalten, zu gestalten und zu überwinden. Von Markus Tomberg.
Zu Weihnachten haben wir Puzzlestücke verschickt. Ein Puzzle in Einzelteilen versendet. Sie sind auf Abstand gebracht, gewissermaßen. Weil die Post coronabedingt überlastet war, sind einige der Karten mit den aufgeklebten Puzzlestücken womöglich immer noch unterwegs. Sie spielen ein semantisches Spiel, haptisch inszeniert: Abstände schaffen Distanz. Sie verunmöglichen und machen manches einfach kaputt. Zugleich eröffnen sie Spielräume, in denen Neues entstehen kann.
Ein in Einzelteilen verstreutes Puzzle bildet ein Beziehungsnetz über große Distanzen.
Denn was auf Abstand bleibt, ist nicht verloren. Allerdings verändern Abstände Beziehungen. Bei Puzzlestücken ist es die zu den Nachbarteilen und zum gesamten Bild. Was sie an konkreter Bildlichkeit verlieren, gewinnen sie an symbolischer Aufladung. Ein in Einzelteilen verstreutes Puzzle bildet ein Beziehungsnetz über große Distanzen.
Es handelt sich um ein bildliches Bildungsereignis ganz eigener Art. Es macht Verborgenes sichtbar: Es kommt auf die Perspektive an. Zu Weihnachten, dem Fest des göttlichen Perspektivwechsels, passt das. Und es gibt katechetisch zu denken.
Kirche ist Sakrament der abstandsüberwindenden Einheit von Gott und Mensch.
Zum Grundbestand des christlichen Bekenntnisses gehört die Überzeugung, dass Gott Abstände überwindet. Die Sentenz des Athanasius, dass Gott Mensch wurde, „damit wir vergöttlicht würden“, hat es bis in den Katechismus geschafft (KKK 460). Die Kirche ist Sakrament dieser abstandsüberwindenden Einheit von Gott und Mensch. Die Eucharistie stellt sie dar und verwirklicht sie (vgl. LG 1 und LG 3).
Wir haben die Menschwerdung Gottes in einem Fernsehgottesdienst gefeiert. Bei weihnachtlichen Telefonaten haben wir festgestellt: nicht nur wir. Zur weihnachtlichen Festgemeinde gehörten auch Freundinnen und Freunde weitab. Abstände, wenigstens virtuell: überwunden. Predigt und musikalische Gestaltung: über Distanzen besprechbar.
Distanzliturgien, ihre Chancen, Risiken und Herausforderungen, waren ein wichtiges Thema des pandemischen Jahres 2020. Gerade die einsam gestreamten Klerikerliturgien aus dem Frühjahr haben eine problematische Rückfallebene der sakramentalen Praxis der Kirche freigelegt. Der Priester allein genügt, für alle anderen bleiben Gottesdienstdispens und die sogenannte geistliche Kommunion. Reale Gemeinschaft, die auf Austausch und wechselseitige Kommunikation, auf Haptik und Motorik angelegt ist: zuweilen nicht nur liturgisch, sondern hier und da auch pastoral eine Fehlanzeige.
Wie geht Erstkommunionkatechese unter Pandemiebedingungen?
Besonders greifbar wird die daraus entstehende Not an einem besonderen Lernort von Kirche und Gemeinde: Wie geht Erstkommunionkatechese unter Pandemiebedingungen? Wie geht sie gerade auch mit Blick auf weiterhin zugangsbeschränkte, hygieneregulierte Gottesdienste?
Diese Frage ist nicht nur eine nach der Pragmatik von Katechesen unter Kontaktbeschränkungen. Sie ist weit mehr als eine Methodenfrage. Es geht auch um Inhalte, um die Theologie, die in dieser Katechese wirksam wird. Denn das, was Eucharistie, Liturgie, Kirche, was Nachfolge Jesu konkret bedeutet, wird in der Pragmatik, in der Gestalt von Katechese und Liturgie erlebt. Sie ist die Form, in der Menschen der Praxis der Nachfolge begegnen und sie erlernen.[1]
Erst abstandsüberwindende Praktiken ermöglichen die Erfahrung von Kommunion.
Es ist deshalb sinnvoll, die Gestalt von Eucharistie selbst katechetisch zu lesen. Sie gestaltet ja die Dialektik aus geglaubter Communio und erfahrenem Abstand ganz konkret – nicht nur in Form von Distanzliturgien und in Zeiten von Corona. Wo ist Kommunion, ist Eucharistie abstandskompatibel? Und wie?
Tatsächlich begegnet in ihr ja Gott: verborgen und auf Abstand zur Alltagserfahrung. Seine Präsenz muss aber aufwendig symbolisch inszeniert werden. Dazu braucht es die komplexe Feiergestalt der Eucharistiefeier, dazu dienen aber auch vielfältige Ehrfurchtsbezeugungen, dazu dient der Spendedialog mit dem zustimmenden, beglaubigenden „Amen“, dabei helfen weitere Symbole wie etwa das ewige Licht. Gottes Gegenwart braucht den Kontext, um erlebbar zu werden. Präsenz braucht Pragmatik, braucht Kommunikation, braucht Haptik, Anschauung und Geschmack: Erst solche abstandsüberwindenden Praktiken ermöglichen die Erfahrung von Kommunion.
Eucharistische Theologie und Praxis jonglieren mit dem Abstandsproblem.
Doch die kommunikative Einbettung schafft zugleich neue Abstände: Am markantesten wohl die zwischen Priester und Laien, darin schmerzhaft – und in mancher Dorfkirche bis heute bis in die Sitzordnung sichtbar – die zwischen Frauen und Männern. Und derzeit zudem die zwischen denen drinnen und denen draußen, denen also, die einen Platz in der Kirche haben und denen, die wenigstens auf Zeit nicht zur eucharistischen Gemeinschaft gehören können. Überhaupt die zwischen den Konfessionen und Religionen und Weltanschauungen. Aber auch die zwischen Erstkommunionkindern und ‑familien und der (Rest-)Gottesdienstgemeinde. Zugehörigkeit erzeugt Distinktionsmerkmale und schafft Unterscheidungen: Diskriminierungen.
Eucharistie zeigt in ihrem Sinngehalt selbst Abstände an. Es sind zeitliche Abstände: die Erinnerung an die Praxis Jesu und die Vorwegnahme des himmlischen Gastmahls in der Praxis der Gemeinde. Und es sind räumliche Abstände zwischen all den Menschen, die weltweit gemeinsam um den Tisch des Herrn versammelt sind, um Einheit bemüht. Zu erwähnen sind auch die Abstände zwischen den Konfessionen in ökumenischer Hinsicht – während am Tisch Jesu wohl nicht einmal Getaufte saßen und doch geladen waren. Eucharistische Theologie und noch mehr ihre Praxis jonglieren mit dem Abstandsproblem.
Katechetische Semantik ist haptisch.
Katechetische Praxis kann das Wahrnehmen und den Umgang mit dieser Dialektik unterstützen. Sie kommt – gerade in Zeiten von Corona – dabei nicht umhin, selbst Distinktionsmerkmale, Abstände zu erzeugen. Ein Kriterium für sinnstiftende Distinktionsmerkmale ist es dann, dass es gelingt, in diese wiederum die Überwindung von Abständen einzuschreiben.
Weil sie weniger zur Eucharistie hinführt als dass sie von ihr bereits herkommt, wird katechetische Praxis zur zeichensetzenden, zur symbolischen Praxis. Die diskriminierenden Zeichen erhalten in ihr eine verbindende Kraft – oder führen in die Irre. Katechese übt ein, Gemeinschaft auf Abstand zu erleben: untereinander, in der kirchlichen und außerkirchlichen Umgebung, mit allen Menschen und mit Jesus aus Nazaret. Und da geht es um echtes Erleben, nicht um erfahrungsleeres Behaupten. Die katechetische Semantik ist haptisch.
Katechetische Praxis könnte einüben und zeigen, wie das geht: Abstände zugleich auszuhalten, zu gestalten und zu überwinden.
Gemeinschaft im Abstand lebt in Kommunikation und Partizipation, in konkreter Teilhabe und Teilgabe. Sie überwindet Abstände, wenn sie inklusiver wird. Sie gestaltet Gemeinschaft, wenn sie Generationsgrenzen überwindet.[2] Katechetische Praxis könnte einüben und zeigen, wie das geht: miteinander Gemeinschaft, miteinander Kirche Jesu Christi sein; Abstände zugleich auszuhalten, zu gestalten und zu überwinden.
Zum Beispiel als Taufcollage:[3] In der Kirche, die so viele Menschen so lange schon kaum mehr betreten haben, werden alle eingeladen, ihren Namen (oder ihre Initialen) und ihr Taufdatum auf einem Plakat oder einer großen Papierrolle zu notieren. Das geht hygienisch einwandfrei auf Abstand. Doch sehr schnell entsteht eine Collage, ein Symbol des Zusammengehörens aller Getauften. Die Praxis „auf Abstand“ zeigt ihre verbindende Kraft.
Auf meinem Schreibtisch liegen noch einige Puzzleteile eines Dinosaurierpuzzles. Das Puzzle ist nicht mehr vollständig. Ich weigere mich, es kaputt zu nennen.
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Markus Tomberg ist Professor für Religionspädagogik an der Theologischen Fakultät Fulda.
Bild: Nicole De Khors / Burst
[1] Deshalb bleibt das „Revival der Familienkatechese“ in Zeiten von Corona zwar sinnvoll, aber defizitär, solange es auf die Familie beschränkt bleibt; vgl. Holger Dörnemann, Corona – und das Revival der Familienkatechese, KatBl 145, Heft 4 (2020), S. 271-275.
[2] Vgl. Jens Ehebrecht-Zumsande, Generationenverbindende Kommunion-Katechese: Anregungen und Bausteine, Ostfildern 2017.
[3] Vgl. dazu ausführlicher: Markus Tomberg, Coronakatechesen zur Erstkommunion 2021, Fulda 2020, https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0295-opus4-18532, S. 21ff.