Vom „Mut, die Zukunft zu erfinden“. Zur Erinnerung an den burkinischen Präsidenten Captaine Thomas Sankara anlässlich des 30. Jahrestages seiner Ermordung am 15.10.1987 – ein Beitrag von Melanie Wurst.
Auf seinem Grabhügel ist zu lesen: la patrie ou la mort, nous vaincrons [„Vaterland oder Tod, wir werden siegen.“]. Ein Satz, der auch die Reden Thomas Sankaras beendete und uns eher auf Spanisch geläufig ist, wenn wir uns mit der kubanischen Revolution beschäftigen: patria o muerte, venceremos.
Das Land des aufrechten Menschen
Als im Oktober vor drei Jahren unter anderem die Bewegung le balai citoyen [„der zivile Besen“] den Aufstand probte, der letztlich zur Abdankung des 27 Jahre an der Macht stehenden Blaise Campaoré führte, war immer wieder auf T-Shirts und Stickern das Bildnis von Thomas Sankara zu sehen. Thomas Sankara führte von August 1983 bis zu seiner Ermordung am 15. Oktober 1987 die Revolution in Burkina Faso [dem „Land des aufrechten Menschen“] an. Diese Umbenennung Obervoltas im Jahre 1984 ist auch Teil der Revolution. Sankara wurde 1949 geboren, war ein ausgezeichneter Schüler einer Jesuitenschule, es stand im Raum, er solle Priester werden, aber er wollte Medizin studieren. Da er aber keinen Studienplatz erhalten hat, ging er zum Militär. Er beschreibt, seine Politisierung sei aus der Wahrnehmung der schreienden Ungerechtigkeit schon in Kindertagen erwachsen. In der Schule wurde er auch von einem marxistisch geprägten Geschichtslehrer inspiriert und im Militär schloss er sich linksorientierten Kreisen an. Er war eine charismatische Gestalt und ein begnadeter Redner.
Eine Rede vor der UN-Vollversammlung
mit bleibender Aktualität
Berühmt ist seine Rede im Namen der entrechteten Völker vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen am 4. Oktober 1984, in der er in seinem antiimperialistischen Ansatz die zentralen Themen seines revolutionären Denkens thematisiert: Umweltschutz, Schuldenfrage und die Gleichberechtigung aller Unterdrückten (global und innerhalb patriarchaler Strukturen besonders der Frauen). Es sind auch die zentralen Streitfragen unserer Zeit – und nein, das sind nicht allein Probleme Westafrikas, es ist unter dem Stichwort „Bewahrung der Schöpfung“ durchaus auch zu nennen, dass die Bundesregierung ihre Klimaziele nicht erreichen wird und nebenbei noch den aberwitzigen Bau eines neuen Kohlekraftwerkes bewilligt. Weiterhin stellt sich die Frage, wer von den aktuellen Maßnahmen zur sogenannten Fluchtursachenbekämpfung profitiert und welche Abhängigkeiten damit geschaffen werden [1] : „Schulden sind das Mittel einer geschickt organisierten Rekolonisierung Afrikas, um unser Wachstum und unsere Entwicklung Stufen und Normen zu unterwerfen, die uns vollkommen fremd sind.“ (15), so Sankara [2].
Es wird keine Ohrfeigen mehr geben.
Er eröffnet seine UN-Rede mit bezeichnenden Worten: „Ich maße mir nicht an, Dogmen vorzubringen. Ich bin weder ein Messias noch ein Prophet. Ich habe keinerlei Wahrheitsanspruch. Mein einziger Anspruch ist ein zweifacher Wunsch: Erstens in der einfachen Sprache der Offenheit und Klarheit im Namen meines Volkes, des Volkes von Burkina Faso, sprechen zu können. Zweitens auf meine Art und Weise das Wort des „großen Volkes der Entrechteten“, jener, die der Welt angehören, die man arglistig „Dritte Welt“ getauft hat, führen zu können, und selbst, wenn es mir nicht gelingt, sie jedem verständlich zu machen, die Gründe zu benennen, aus denen wir aufbegehren.“ (81) Und er fährt fort: „Unsere Gegenwart im Schoße der Dritten Welt anzuerkennen bedeutet also, um es mit José Marti zu sagen, zu ‚bekräftigen, dass wir auf unserer Wange jeden Schlag spüren, der einem Menschen, gleich welchem Menschen, versetzt wird.‘ Bis jetzt haben wir die andere Wange hingehalten. Die Ohrfeigen haben sich verdoppelt. Das Herz des Boshaften jedoch hat sich nicht erweichen lassen. Sie haben die Wahrheit des Gerechten mit Füssen getreten. Das Wort Christi haben sie verraten. Sie haben sein Kreuz in eine Keule verwandelt. Und nachdem sie sich in sein Gewand gekleidet haben, haben sie unsere Körper und unsere Seelen zerfetzt. Sie haben seine Botschaft verfinstert, ihn verwestlicht, während wir ihn als universelle Befreiung empfangen haben. So haben sich unsere Augen dem Klassenkampf geöffnet. Es wird keine Ohrfeigen mehr geben.“ (82)
Ist die Schlussfolgerung nicht genau die, die in der Reich Gottes Botschaft Jesu steckt? Wenn wir daran glauben, dass es schon angebrochen ist, gilt es diese Welt gut und lebenswert für alle zu gestalten. Und dann stehen alle Ungerechtigkeiten, Abhängigkeiten und Unterdrückungen genau diesem guten Leben für alle entgegen.
Das Korn des Armen
hat die Kuh des Reichen gemästet.
„Schon andere haben vor mir davon gesprochen, weitere werden es nach mir tun, wie weit sich der Graben geöffnet hat zwischen den reichen Völkern und jenen, die von genug zu essen träumen, genug zu trinken, die nicht viel mehr wollen, als zu überleben und ihre Würde zu bewahren. Doch niemand kann sich vorstellen, in welchem Maße das Korn des Armen bei uns die Kuh des Reichen gemästet hat.“ (84)
Und schreit das nicht wortwörtlich zum Himmel? Wie auch der Satz, den er in Erinnerung an den 150. Jahrestag der Befreiung der Sklaven im britischen Königreich formuliert: „Es ist unser Blut, das den Aufschwung des Kapitalismus genährt, unsere heutige Abhängigkeit ermöglicht und unsere Unterentwicklung besiegelt hat.“ (92)
Und er endet mit: „Vaterland oder Tod, wir werden siegen!
Ich danke Ihnen.“
15. Oktober 1987
Vielleicht ist es teilweise Naivität gewesen, mit der versuchte, die in revolutionären Prozessen entstehenden internen Spaltungen und die sich daraus entwickelnden politischen Machtkämpfe zu lösen, ohne dabei auf Warnungen vor der Gefahr aus den eigenen Reihen einzugehen.
Am 15. Oktober 1987 wird Thomas Sankara mit wichtigen Mitgliedern des Sekretariats des Nationalrates der Revolution ermordet. Anführer des Putsches war Blaise Campaoré, der Freund und wichtigste Weggefährte Thomas Sankaras, der dann 27 Jahre an der Macht bleiben sollte bis zum Aufstand des balai citoyen, der ihn hinwegfegte und sich explizit auf die Ideen Sankaras stützte. Zeigt sich in solchen Momenten nicht auch die Auferstehung des die Macht des Todes überwindenden Christus und seiner Botschaft des Reiches Gottes? Da und vielleicht nur da.
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[1] Hier sei auf das just erschienene Buch von Christian Jakob und Simone Schlindwein hingewiesen: Diktatoren als Türsteher Europas. Wie die EU ihre Grenzen nach Afrika verlagert, Berlin 2017.
[2] Die Sankara-Zitate sind alle der Sammlung „Die Ideen sterben nicht! Thomas Sankara. Reden eines aufrechten und visionären Staatsmannes. Herausgegeben von Eric Van Grasdorff, Thea Kulla und Nicolai Röschert, AfricAvenir International e.V. 2016“ entnommen.
Melanie Wurst arbeitet als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Kirchengeschichte des Fachbereichs Kath. Theologie an der Universität Frankfurt am Main.
Bild: mit freundlicher Bewilligung von AfricAvenir International e.V. www.africavenir.org