Was das Leben katholischer Frauen und Feministinnen in ihrer Kirche schwer macht und welche Voraussetzungen es braucht, um einen Schritt weiter zu kommen. Von Petra Steinmair-Pösel.
„Ist Religion schlecht für Frauen?“ – an dieser Titelfrage zu Doris Strahms Artikel bleibe ich immer wieder hängen. Etwas an ihr lässt nicht los, provoziert, verlangt nach Differenzierung. Und das nicht nur im Blick auf den derzeit in der Öffentlichkeit viel diskutierten Islam, sondern auch im Blick auf die christliche und – für mich naheliegend – die katholische Religion.
Natürlich ist Religion NICHT generell schlecht für Frauen. Eine Reihe von ganz unterschiedlichen Frauen, mit denen ich mich in den letzten Jahren als katholische Theologin beruflich oder privat, systematisch oder zufällig auseinandergesetzt habe, legt Zeugnis davon ab: Teresa von Àvila, Hildgard Burjan, Mutter Theresa, Maria Skobtsova, Dorothee Sölle, Chiara Lubich, um nur einige wenige zu nennen. Sie alle waren als Christinnen unterschiedlicher Konfessionen fest in ihrer Religion und – in (mehr oder weniger) kritischer Loyalität – auch in ihren Kirchen verwurzelt und haben gerade aus diesen religiösen Wurzeln heraus in der Spur des Evangeliums Großartiges geleistet und geschaffen.
Religion ist NICHT generell schlecht für Frauen.
Und doch – mit diesem Hinweis ist es nicht getan: Nicht wenige von diesen Frauen haben mit den männerdominiert-hierarchischen Strukturen ihrer Kirchen gekämpft und an ihnen gelitten: Die feministische Theologin Dorothee Sölle zum Beispiel hat– obwohl von (fast) allen deutschsprachigen Theolog/innen ihrer Zeit gelesen – in Deutschland nie einen Lehrstuhl erhalten, sondern nur am renommierten Union Theological Seminary in New York, wo man der Ansicht war: „eine theologische Institution muss eine Prophetin ertragen können“[1]. Aber auch eine so kirchentreue Frau wie die Gründerin der Fokolar-Bewegung Chiara Lubich litt jahrelang unter den Prüfungen durch die Glaubenskongregation – eine Erfahrung, die sie später ein einem kleinen Buch zumindest andeutungsweise der Öffentlichkeit zugänglich machte.[2]
Nicht wenige von diesen Frauen haben mit den … Strukturen ihrer Kirchen gekämpft und an ihnen gelitten.
Etwas ist also dran an der Frage! Etwas Beunruhigendes: beunruhigend für säkulare wie gläubige Feministinnen, für Frauen allgemein und – so möchte man meinen – auch für die christliche Religion! Als Symptome dafür können auch die aktuellen Herausforderungen gelesen werden, mit denen sich feministische katholische Theologinnen heute konfrontiert sehen und die Berenike Jochim-Buhl in ihrem Beitrag „Obenrum frei“ von einigen Tagen so plastisch beschrieben hat. Einige dieser Herausforderungen sind auch mir vertraut:
- Zum Beispiel die Erfahrung, dass man als katholische, feministisch denkende Frau in säkularen feministischen Kreisen mit Vorbehalt beäugt und behandelt wird, nach dem Motto: Eine echte Feministin hätte dieser männerdominiert-hierarchischen Institution längst den Rücken gekehrt.
- Oder Gespräche mit kirchenfernen oder ausgetretenen Freund/innen, in denen ich versuche, die Sinnspitze theologischer Positionen zu erläutern und mein Gegenüber an einem bestimmten Punkt meint: „Ja, bei Dir klingt das anders, aber …“ – Kurz: die Erfahrung, gegen die übermächtige „Körpersprache“ meiner Kirche nur wenig ausrichten zu können.
- Oder auch das Gefühl des „Fremdschämens“ angesichts mancher suboptimal – Hauptsache von einem Mann! – zelebrierten Liturgie. Dann bin ich schon fast wieder froh, dass so wenige in den Gottesdienst gekommen sind, wobei mir gleichzeitig auch allzu schmerzhaft klar ist, warum so wenige gekommen sind. Ich meine also das Leiden an den hohen Kollateral-Kosten der kirchlichen „Ordinationspolitik“.
Um keine Missverständnisse zu wecken: Ich habe nichts gegen Männer, auch nichts gegen Priester. Und nein, ich denke nicht, dass alle Probleme, mit denen sich die katholische Kirche derzeit konfrontiert sieht, gelöst wären und alles anders wäre, wenn Frauen zu Priesterinnen geweiht würden.
Ich denke nicht, dass alle Probleme gelöst wären und alles anders wäre, wenn Frauen zu Priesterinnen geweiht würden.
Doch ich verstehe, wenn manche, die ihre Ungeduld noch nicht verloren haben, wie Christiane Florin zum „Weiberaufstand“[3] aufrufen oder wie die CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer den Wunsch nach katholischen Priesterinnen und einer Frauenquote in der katholischen Kirche äußern[4]. Ebenso kann ich nachvollziehen, dass viele andere Frauen es einfach leid sind, überhaupt noch in dieser Frage zu argumentieren, nur um dann doch wieder an eine gläserne Decke von oft wiederholten Argumenten zu stoßen.
Viele Frauen sind es einfach leid, überhaupt noch in dieser Frage zu argumentieren.
Und doch liegt hier ein wesentlicher Knackpunkt: Ausgesprochen oder unausgesprochen ist für viele – Kirchennahe wie -fernstehende, Frauen wie Männer – die Frage nach der Zulassung von Frauen zu allen kirchlichen Funktionen (und nicht die schöne Rhetorik von Wert und Würde „der“ Frau) die Nagelprobe für die Frage, wie die katholische Amtskirche zu den Frauen steht. Im Blick auf die von Papst Johannes Paul II. getroffene und derzeit für Katholik/innen verbindliche Entscheidung ist festzuhalten, dass sie „keineswegs aus einem breiten Konsens in der Kirche, sondern gegen eine weit verbreitete Überzeugung unter Gläubigen, Theologen und Theologinnen und auch unter Bischöfen getroffen wurde.“ Insofern gilt: „Um bei der jetzigen Praxis zu bleiben, müssten nochmals ganz neue und wirklich überzeugende Argumente gefunden werden. Doch dies ist kaum vorstellbar, denn überzeugende Argumente setzen ein Zusammenklingen von vielen Überlegungen voraus und ein solches Zusammenklingen läuft […] in die gegenteilige Richtung.“[5]
„Um bei der jetzigen Praxis zu bleiben, müssten nochmals ganz neue und wirklich überzeugende Argumente gefunden werden.“
Die beiden Zitate stammen weder von mir noch von einer anderen feministischen Theologin, sondern aus einem jüngst erstveröffentlichten Artikel des 2004 verstorbenen Dogmatikers Raymund Schwager SJ. Wer sich doch noch einmal auf sachlich-argumentative Weise mit der Frage beschäftigen möchte, dem sei sein Artikel wärmstens empfohlen. Denn Schwager geht darin mit seiner typischen Schweizer Gründlichkeit Schritt für Schritt jedes einzelne Argument gegen die Ordination von Frauen durch, um es aus den – wie sich zeigt – theologisch nicht sehr soliden Angeln zu heben. Die für ihn logische Konsequenz aus dieser Auseinandersetzung ist die Aufforderung an das katholische Lehramt, die Frage nochmals ganz neu aufzugreifen, „damit es in der Kirche wirklich zu einem rezipierten Konsens kommt und nicht ein dauernder Spaltpilz bleibt“[6].
Es braucht einen breiten Konsens und eine Politik der Gemeinsamkeit.
Neben der unmissverständlich klaren Argumentation auf sachlich-inhaltlicher Ebene macht Schwager noch ein Zweites unmissverständlich klar, was insgesamt für die von Doris Strahm aufgeworfene Frage gilt: Sollen patriarchale Interpretationen von Religion nicht gegenüber geschlechtergerechten und emanzipatorischen Interpretationen privilegiert werden bzw. bleiben, braucht es einen breiten Konsens – mit den Worten Doris Strahms eine „Politik der Gemeinsamkeit“ von säkularen und religiösen Feministinnen. Aber auch eine Politik der Gemeinsamkeit von Frauen und Männern.
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Petra Steinmair-Pösel, PD Dr. theol. ist Sozialethikerin und leitet seit 2017 das Institut für Religionspädagogische Bildung der KPH Edith Stein in Feldkirch.
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[1] Renate Wind, Dorothee Sölle. Rebellin und Mystikerin. Die Biographie, Stuttgart 2008, 132.
[2] Chiara Lubich, Der Schrei der Gottverlassenheit. Der gekreuzigte und verlassene Jesus in Geschichte und Erfahrung der Fokolar-Bewegung, München 2001.
[3] Christiane Florin, Der Weiberaufstand. Warum Frauen in der katholischen Kirche mehr Macht brauchen, München 2017.
[4] https://www.zeit.de/gesellschaft/2018-05/frauen-kirche-katholisch-annegret-kramp-karrenbauer-leitfunktion
[5] Raymund Schwager, Ordination der Frau, in: Mathias Moosbrugger (Hg.), Kirchliche, politische und theologische Zeitgenossenschaft (Raymund Schwager Gesammelte Schriften 8), Freiburg i.Br. 2017, 385.
[6] Ebd.