Annette Edenhofer plädiert für eine dialogische Religionskommunikation in der postsäkularen Gesellschaft.
Netzwerken für Glaubenskommunikation ist keine selbstgebastelte Idee, um sich einer Welt anzubiedern, in der Kirchen an Terrain verlieren. Im Gegenteil: Unsere Mission ist Dialog! Papst Franziskus‘ fordert in seiner Öko-Enzyklika Laudato Si (2015, vgl. LS 116) eine Kirche, die die Transformation zur Dienstgemeinschaft angeht. Das Ziel ist die Bewahrung der Schöpfung1 im Dialog mit allen Akteur:innen guten Willens – mit und ohne Gottesglauben (vgl. LS 1-16). Hier überwindet der Papst das Freund-Feind-Schema des allein seligmachenden Club-Katholizimus.
Die Norm katholisch, wörtlich: gemäß allen, ließ Paulus Lebenswelten verbinden – Sklaven, Freie, auch Frauen –, wenngleich zu vorsichtig als Mann seiner Zeit. Ohne diese Dialogfähigkeit gäbe es uns heute so gar nicht. Der Kirchenvater Origenes liefert die theologische Begründung für die globale Dialogpflicht von Religionen und Konfessionen: Die erste Kirche hat sich Gott selbst gebaut mit seiner Schöpfung (vgl. Contra Celsus VIII,19-20). Deshalb ruft der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs bis heute auf den Weg des Netzwerkens. Wo Dialoge trotz Frustrationen gewaltfrei weitergehen, hat die Schöpfung die beste Chance Gestalt anzunehmen. Die Schöpfungstheologie gibt dem Dialog Priorität.2
Erfolgreich kommunizieren.
Das Erfolgskriterium für pastorale Praxis in Schulen, Pfarreien und anderen Orten ist Verständigung, nicht: extra ecclesiam nulla salus. Unser Team im Studiengang Religionspädagogik der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin (KHSB) will Religionspraxen erklären, evaluieren und kommunikative Wirksamkeit fördern. Katholische Kitas, Schulen, Krankenhäuser, Pflegeheime, Einrichtungen der Caritas und Gemeinden agieren im Sozialraum mit Akteur:innen anderer Prägungen zusammen für Mitmenschlichkeit. Da hilft Sprachfähigkeit. Die erste Sprache ist Körpersprache, z.B. die des barmherzigen Samariters. Der Caritas-Foodtruck ist Gottesdienst nach Hosea: Nicht Opfer will ich, sondern Liebe! (Hos 6,6).
Hilfreich kommunizieren heißt da sein, zuhören, nachfragen, übersetzen, handeln. Daraus wird Beziehung. In gemeinsamen Projekten verstehen Atheist:innen unsere Deutung, auch wenn sie existentiell skeptisch bleiben. Z.B. sagt die Rede vom dreifaltigen Gott, der ganze Kosmos ist gehalten in Gott, im Beziehungsraum des Wohlwollens. Netzwerken in der Welt himmelschreiender Ungleichheit für den Durchbruch der Schöpfung ist im Glauben Kokreativität, Engagement in Kooperation mit dem Heiligen Geist. Der Fokus aber ist, die Liebe zu tun – mit und ohne Gott! (vgl. Mt. 7,21).3
Wozu Religion, wenn Mitmenschlichkeit auch ohne Gott geht?
Eine Transzendenzerfahrung ist: „Es muss mehr als alles geben!“ Die moderne Wissenschaftstheorie4 geht davon aus, dass die Erfahrung der Grenzen meiner Welt schon markiert, dass es darüber hinaus noch anders tickende Welten geben muss. Ein Raum der Ewigkeit ist also rational keineswegs auszuschließen. Eine zweite Transzendenzerfahrung steckt im Handeln, wenn Menschen sich über ihr Können hinaus inspiriert erleben. Die Religion nennt diese Erfahrung Gnade, eine Gratis-Befähigung – oft mitten in der Angst geht es leicht und gut! In verdrängter Verlustangst erscheint dagegen Angriff als die beste Verteidigung, sagt die Moralpsychologie.5
Deshalb rät der Fundamenttheologie Peter Knauer zu „Angstbereitschaft“6, um unter Dauerstress Frieden konsequent mit friedlichen Mitteln anstreben zu können – streitbar in der Sache, ohne Drohung, Demütigung, Manipulation und mit Sensus zum Lassen. Religionen wollen Übungsräume für schöpferische Menschwerdung eröffnen mit Storytelling und Meditation.
Einladung an alle!
Institutionen, gegründet nach besten Idealen, geraten in schmerzliche Selbstwidersprüche. Systemische Abläufe kennen keine Gnade. Alles muss funktionieren – zur Not zum Schein. Kritiker:innen wird Loyalität abgesprochen und mit Ausschluss gedroht. Ausschluss aber ist begründungspflichtig, betont Theologin Margit Eckholt7 zu Recht. Denn im Geiste Jesus steht die Einladung und zwar an alle Menschen.
Funktionierende Systeme sind an sich eine große Dienstleistung. Im Falle von unterdrückten Störungen aber werden sie zum Fluch. In Kirchen erreicht der Skandal sein Extrem: Liebe steht drauf, sexualisierter Missbrauch ist drin. Innerhalb eines jeden Systems aber gibt es Kommunikationsgemeinschaften, die Erneuerung schaffen. Das ist die Kernthese der Systemtheorie, die Chancen und Grenzen von Institutionen beleuchtet. Die Emotionstheoretikerin Martha Nussbaum versteht diese Theorie als säkulare Version einer hilfreichen Erbsündenlehre, die nicht selbst missbräuchlich auf Kontrollgewalt aus ist: Rigide Strukturen seien Gewalttrigger, könnten aber durch zivilcouragierte Mitspieler:innen diagnostiziert und gestoppt werden.8
Wir können den prophetisch mutigen Kirchenmitgliedern von OutInChurch unendlich dankbar sein: Was mittlerweile ohne wissenschaftliches Fundament als geistlich geordnete Sexualität gerettet werden sollte, ist Kontrollgewalt über Menschen. Mächtige in der Kirche quälen nicht nur andere, sondern sich selbst. Praktische Theologie muss Kritikfähigkeit fördern; schwer, aber not-wendig! Jüngst kritisiert der religionspolitische Sprecher der SPD Lars Catellucci das kirchliche Arbeitsrecht in den Normen zu Sexualität und Geschlecht als Verstoß gegen die Menschenrechte. Zugleich aber will er Religionen unbedingt im öffentlichen Raum halten.9
„Halt im Glauben, singen, feiern, leben in Gemeinschaft“ lehre eine säkulare Gesellschaft viel: Wertschätzung für Vielfalt, Transzendenzoffenheit, und Engagement mit Bamherzigkeit.10 Die Kirchen selbst könnten ihr Zukunftsprogramm nicht besser formulieren.
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Text: Dr. Annette Edenhofer, Professorin für Religionspädagogik, Katholische Hochschule für Sozialwesen (KHSB), Berlin.
Bild: Brett Jordan, https://unsplash.com/photos/oXjvbhXxm4w.
- Vgl. Origenes, Contra Celsus VIII,19-20. ↩
- Vgl. Haslinger, Herbert, „Das Ende der Machtfrömmigkeit“, in: ders., Macht in der Kirche, Freiburg i.Br. 2022, S. 586-600. ↩
- Vgl. für Dialogfähigkeit als einizig zukunftsfähige Kirchenperformance in der Forschung, für Gesellschaftsengagement und Persönlichkeitsentwicklung: Raymund Schwager, Dramatische Theologie als Forschungsprogramm, in: Gesammelte Schriften, Bd. 8, Freiburg i.Br. 2017, S. 388-425. ↩
- Vgl. Löffler, Winfried, Einführung in die Religionsphilosophie, Darmstadt 2006, S. 174-175. ↩
- Vgl. Edenhofer, Annette, Die Schule der Feindesliebe, Innsbruck 2020, S. 281-285. ↩
- Vgl. Knauer, Peter, Der Glaube kommt vom Hören, Freiburg i.Br. 1991, S. 205-208. ↩
- Eckholt, Margit in: Orth, Stefan: „Ökumene, Wie es mit der Gastfreundlichkeit weitergeht“, Herder Korrespondenz 5/2022, 11-12. ↩
- Vgl .Nussbaum, Martha, Politische Emotionen, Berlin 2014, S. 246-300. ↩
- Vgl. für Castelucci HK 5/22, S. 56; vgl. Haslinger, „Sexualität, Macht, Weiheamt“, In: ders., Macht in der Kirche, Freiburg i.Br. 2022, S. 443-475. ↩
- Castelucci, in: Herder Korrespondenz 5/22, S. 56. ↩