Angesichts des Coronavirus‘ verändert sich vieles. Das Ungewisse, Unvorhersehbare macht Angst. Die Ereignisse überfordern, lassen rat- und hilflos zurück. Leid-Erfahrungen wie diese erzeugen vor allem eines: die Sehnsucht nach einer besseren, durchschaubaren, geordneten Welt. Die biblische Schöpfung ist so eine geordnete Welt, entworfen als Aufschrei gegen das Leid. Von Elisabeth Birnbaum.
Lob der guten Schöpfung
Der erste Text der Bibel, Genesis 1,1–2,3, lange Zeit „erster Schöpfungsbericht“ genannt, stand im 20. Jahrhundert vor allem unter der Fragestellung „Schöpfung contra Naturwissenschaft“ im Mittelpunkt des Interesses. Die Diskussion, ob sich das Sieben-Tage-Werk mit den Theorien Darwins vereinbaren lassen könnte oder ob eines der beiden verworfen werden müsse, ist bis heute nicht verstummt.
In jüngerer Zeit schob sich eine neue Fragestellung dazwischen: Was lehrt uns Gen 1 für das drängende Problem „Schöpfungsverantwortung“? Kann etwa der Satz in 1,28: „Macht euch die Erde untertan“ (LUT) als Legitimation für die Ausbeutung der Erde herangezogen werden?
Frage nach der Verlässlichkeit der Welt
Ganz anders geartet ist die Fragestellung, die vermutlich die wichtigste bei der Entstehung des Textes war und jetzt gerade, in Zeiten der Verunsicherung durch Epidemien und Flüchtlingskatastrophen wieder aktueller ist denn je: Die Frage nach der Verlässlichkeit der Welt angesichts von Desorientierung und Leid.
Ordnung in Zeiten des Zusammenbruchs
Der Text wird allgemein einem vermutlich priesterlichen Verfasserkreis des späten 6. Jh. v. Chr. zugeordnet. Damit fällt er in die Spätzeit des babylonischen Exils. Das Exil ist eine Zeit des Zusammenbruchs: Alles, was das Selbstverständnis Israels ausgemacht hat, ist dahin: Das verheißene Land ist verloren; Jerusalem, das noch 100 Jahre davor erfolglos belagert wurde, ist erobert; der Tempel, die scheinbar uneinnehmbare Wohnstätte JHWHs, ist zerstört; die politische und religiöse Oberschicht nach Babylon deportiert. Damit scheint nicht nur das Volk Israel, sondern auch sein Gott besiegt. Offenbar haben andere Götter mehr Macht.
Das Volk, an seinem Tiefpunkt angelangt, muss um eine Bewertung dieser Situation und seiner eigenen Identität ringen. Und genau hier, in dieser Zeit der Unsicherheit und Verwirrung, in einer chaotischen Zeit, entsteht einer der kühnsten und hoffnungsfrohsten Weltentwürfe der Geschichte.
„Und siehe, es war sehr gut“ (Gen 1,31)
In Genesis 1 wird nicht weniger erzählt, als dass dieser Gott Israels mächtig ist, mächtig über die gesamte Welt. Anders als in vergleichbaren Welterschaffungsmythen wie Enuma Elisch u.a. ist er der einzige Gott. Er muss nicht um die Macht kämpfen, sie ist nicht bedroht. Es gibt keinen Götterkampf, keinen Sturz aufrührerischer Götter, keine Machtablöse.
Gott muss nichts anderes tun als sprechen, und das, was er wünscht, geschieht. Und er wünscht die Verdrängung (nicht einmal Vernichtung) des Chaos. Er verbannt das Ungeordnete, Chaotische, potentiell Gefährliche aus dem Kosmos. Die Welt ist ein geordnetes Lebenshaus. Schon am Stil des Textes wird das deutlich. Die klare Form mit dem refrainartigen „es wurde Abend und es wurde Morgen“, die wiederholte Abfolge von „Gott sprach“ und „es geschah“, vermittelt den Eindruck größtmöglicher (friedlicher!) Souveränität. Dieser Gott kann es sich leisten, nach bzw. zur Vollendung des Werkes zu ruhen. Er kann in Sicherheit wohnen und das gilt auch für seine Schöpfung.
Verdrängung des Chaos – ein geordnetes Lebenshaus
Der Kontrast zwischen der Realität des Volkes im Exil und der theologischen Aussage von Genesis 1 könnte nicht größer sein. Das Leid, das Trauma des Exils mündet hier in der sinn- und hoffnungsstiftenden Gewissheit, dass Gott gegen allen Anschein die Welt gut und geordnet geschaffen hat.
Schöpfung im Ijob-Buch
Kein Wunder also, dass das Thema Schöpfung auch in jenem Buch der Bibel bedeutungsvoll ist, das wie kein anderes das Thema „Leid“ behandelt. Das biblische Buch Ijob ist ein bleibend aktuelles Buch. Das Skandalon des Leides Unschuldiger quält und provoziert gerade auch gläubige Menschen. Wieso gibt es unverschuldetes Leid, wenn Gott doch gut ist?
Das Ijob-Buch ist redlich und gibt darauf keine Antwort – besser gesagt, es gibt darauf zahlreiche Antworten. Die Kapitel 3–37 befassen sich fast ausschließlich mit der Diskussion über Grund und Zweck von Ijobs Leid. Drei Freunde und ein nachträglich hinzukommender vierter Freund ziehen alle Register weisheitlichen Denkens und überbieten einander an allen nur denkbaren Erklärungsversuchen: Ijob erfahre einfach wie alle Menschen seinen „normalen“ Anteil an Leid, Ijob solle gebessert, geprüft, erzogen werden, Ijob habe etwas oder sogar vieles falsch gemacht, Ijob sei selbst schuld etc. Alle diese Erklärungen fruchten nicht und werden von Ijob auch zurückgewiesen. Gott selbst wird sie später als „nicht recht von mir geredet“ (Ijob 42,7) disqualifizieren.
In Kapitel 38 endlich ereignet sich das von Ijob Ersehnte: Gott spricht persönlich mit ihm. Die zwei langen Reden beinhalten vieles, nur keine Erklärung für Ijobs Leid. Wer sich das erhofft, wird enttäuscht.
„Wo warst du, als ich die Erde gegründet? (…) Wer setzte ihre Maße?“ (Ijob 38,4f.)
Gott antwortet auch nicht, sondern stellt Fragen. Viele Fragen, die, wären sie nicht rhetorisch, Ijob nur mit „ich weiß es nicht“ oder „nein“ beantwortet könnte. Sie richten sich allesamt auf die Schöpfung. „Wo warst du, als ich die Erde gegründet?“, heißt es da, oder: „Gabst du dem Ross die Heldenstärke …?“. Die Begrenzung des Wassers, die Wohnorte der Wildtiere, die Schöpfung mit ihren schönen und bedrohlichen Seiten werden detailliert aufgelistet. Sie alle sind in Gottes Hand. Selbst die „Chaostiere“ schlechthin, Behemot und Leviatan, sind von ihm gezähmt.
Gott beantwortet Ijobs Frage nach dem „Warum“ nicht, aber er nimmt ihm das wahrhaft Quälende am Leid. Er befreit ihn von der lähmenden Verzweiflung und Angst, dass die Welt sinnlos, chaotisch oder in der Hand eines Verbrechers sei. Er gibt Ijob die Gewissheit zurück, dass er es trotz allem Unverständlichen, Schrecklichen und Beängstigenden gut meint mit der Welt. Und er schenkt ihm das Staunen über die Größe dieser Welt und ihres Schöpfers. So wendet er Ijobs Blick aus der Selbstzentrierung hin zur geordneten, sinnvollen Schöpfung.
Befreiung von der lähmenden Angst, dass die Welt sinnlos, chaotisch oder in der Hand eines Verbrechers sei.
Eine Proklamation der Hoffnung
Die Rede von der Schöpfung dient also biblisch nicht einfach zur Welterklärung, schon gar nicht bedient sie ein historisches Interesse (wie alles begann). Die Rede von der Schöpfung ist ein Aufschrei gegen das Leid, die Verunsicherung und die Orientierungslosigkeit, eine Proklamation der unerschütterlichen Hoffnung auf Sicherheit, Stabilität und Sinn. Und damit heute aktueller denn je.
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Elisabeth Birnbaum ist Direktorin des Österreichischen Katholischen Bibelwerks und seit Juni 2018 Mitglied der Redaktion von Feinschwarz.
Bild: Saltiri Anglocatalà, Wikimedia Commons