Mit einem Podcast geht das Erzbistum Hamburg auf die Suche nach Segen. In den Blick geraten Ressourcen und Lebensvollzüge jenseits explizit kirchlicher Formatierungen. Andree Burke und Gerrit Spallek nach dem Release der ersten Folgen.
Religiöse Rede geschieht nicht nur dann, wenn sie als organisierter Vollzug nach Plan verläuft. Noch mehr gilt das vielleicht für die heutige facettenreiche und fragmentarische Vielfalt von Glaubensvollzügen. Formen religiösen Tuns können in Praktiken, Stilen und Haltungen von Menschen sichtbar werden, ohne explizit werden zu müssen. Das bedeutet zugleich auch, dass sie sich als solche der Erwartung und dem Druck entziehen dürfen, unzweideutig und festgelegt zu sein.
Intuitiv einleuchten kann dies am Beispiel von Menschen, über die mit Worten des allgemeinen Sprachgebrauchs gesagt werden kann, dass sie „ein Segen sind“. Sie sind das, weil sie etwas tun oder sagen, das einen Unterschied im Leben anderer Menschen macht. Sie machen glaubhaft, dass sich ein Weiter im Leben, ein Hoffen, Bangen und Durchhalten lohnt.
Menschen, die ein Segen sind
Es ist ermutigend, von diesen Menschen zu hören. Denn sie halten einen Traum von Wirklichkeit wach, der das Leben dem Blickwinkel der Logiken entreißt, die unsere Alltagserfahrungen vielfältig im Griff haben: die Logiken des Kapitals, der Vergeltung, der Verwertbarkeit und der Immunisierung gegenüber den Bedürfnissen und den Geschicken der Anderen.
In einem mehrstufigen Kreativitätsprozess haben wir einen Podcast entwickelt als experimentell-exploratives Projekt einer anderen Art vom Glauben zu sprechen. Zu hören ist im Podcast vom Glauben und von dem, was er tatkräftig bewegt. Mal sprechen Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner expliziter von ihrem Glauben mit religiöser und konfessioneller Verankerung. Mal geben sie Zeugnis ihrer Ausdrucksformen von dem, was Christoph Theobald SJ einen „Lebensglauben von Jedermann und Jederfrau“ nennt.
Der Podcast Stadt Land Segen_ porträtiert Menschen und Phänomene, die mithelfen, dass das Gute in der Welt wachsen kann. Auf diese Formel brechen wir die Rede vom Reich Gottes als Zentralmotiv jesuanischer Verkündigung herunter. Wir machen uns auf die Suche nach Menschen, die angesichts der erschreckenden Dichte und Unübersichtlichkeit an Herausforderungen, Krisen und Problemen unserer Zeit vermitteln: Die Welt muss nicht bleiben, wie sie ist.
Mithelfen, dass das Gute in der Welt wachsen kann
Jede Folge von Stadt Land Segen_ verfolgt dabei ein spezifisches Thema als inhaltlichen Schwerpunkt von gesellschaftlicher Relevanz, das in ca. 30 Minuten entwickelt, erkundet und erklärt wird. Das Erzbistum Hamburg ist mit Schleswig-Holstein, Mecklenburg und der Metropole Hamburg nicht nur das flächenmäßig größte, sondern ein in seinen soziokulturellen Beheimatungen sehr heterogenes Bistum. Aus diesem Grund blicken wir beim Aufriss der Problem- und Themenstellungen des Podcasts sowohl auf den ländlichen als auch den urbanen Raum wie auch die vielfältigen Interaktionen und Verzweigungen dazwischen.
Ein solches Format ergibt nur Sinn, wenn eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Herausforderungen der Gegenwart vorausgeht. Gleichzeitig darf das Risiko nicht gescheut werden, Farbe zu bekennen. Insofern widmet sich die Pilotepisode der Gefahr für die Demokratie von rechts. Die jüngste Folge blickt auf das vielfach ungeklärte Verhältnis des Menschen zur Natur. Im Produktionsprozess befindet sich derzeit eine Auseinandersetzung mit der wachsenden Armut vor unseren Augen am Beispiel von Obdachlosigkeit.
So weit, so einfach. Das eigentlich Komplexe an diesem Projekt ist der Standpunkt, von dem aus agiert wird. Stadt Land Segen_ ist ein kirchliches Projekt mit konfessioneller Beheimatung. Der Podcast verheimlicht nicht, dass seine Redaktion von einer kirchlichen Organisationseinheit verantwortet wird. Am Mikrofon und online legen wir offen, dass wir Kirchenmitarbeiterinnen, Theologen und Seelsorger im Redaktionsteam sind.
Die Positionen anderer kuratieren
In gewisser Weise gerät der Podcast dadurch von vorneherein in eine Spannung. Es wäre doch zu erwarten, dass Vertreter_innen der katholischen Kirche, wenn sie schon einen Podcast veröffentlichen, selbst vom Glauben sprechen. Sie machen also das, was sie erwartungsgemäß gewohnt sind zu tun, nur jetzt auch bei Spotify. Gewöhnlich sind sie es, die sagen, wie Leben und Welt gesehen werden müssten, damit das Gute eine Chance bekommt, um zu wachsen – so könnte man es zumindest von Außen erwarten. Und das wäre eine strategisch vermeintlich günstige und bequeme Sprecher_innenposition für einen explizit kirchlichen Podcast.
Aber hier ist es anders. Und das liegt daran, dass es zwar darum geht, dass Kirche Farbe bekennt, nicht aber selbst als abstrakte Größe Position bezieht. Ziel ist es vielmehr, Positionen, die Menschen in ihrem Leben beziehen, zu kuratieren. Die Hosts im Podcast trauen sich, auf die Suche zu gehen und Fragen zu stellen. Sie fügen zusammen, legen nebeneinander, entdecken und stellen die Antennen für jede Sendung zunächst auf Empfang. Die Rolle, die „die Kirche“ in dieser Anordnung von Sprecher_innenpositionen spielt, ähnelt eher der Betreiberin einer Plattform, auf der Beiträge zum erfüllten Leben „open source“ geteilt werden.
Beiträge zum erfüllten Leben „open source“ teilen
So ist in der ersten Folge beispielsweise von Norbert zu hören. Er ist Gemeindereferent und engagiert sich seit 2015 für Geflüchtete in und um Grevesmühlen – ein Ort, an dem die rechte Szene seit längerem lautstark und selbstbewusst auftritt. Er lebt unweit entfernt, in seinem Dorf auch mit Neonazis und rechten Sympathisantinnen. Im Podcast erzählt er von seinem Umgang mit rechten Argumenten, Parolen und Ressentiments. Norbert gibt Zeugnis, wie wichtig es ihm ist, konsequent zu widersprechen, wenn er rechtes Gedankengut hört. Und er macht glaubhaft, wie wichtig es ihm gleichzeitig ist, den Frieden zu wahren und auch im Neonazi den Menschen zu sehen. Feindesliebe konkret.
In der jüngsten Folge berichtet Nyx von den Erfahrungen eines Freien Ökologischen Jahres am Katinger Watt, gleich hinter dem Eidersperrwerk. Nyx paart die eigene Leidenschaft für die Natur mit Achtung und Wertschätzung ihr gegenüber. Wir werden mitgenommen, was es bedeutet, an Freundinnen gekuschelt den Mond zu betrachten und über die schützenswerte Natur zu staunen.
Und in der nächsten Folge wird Johannes von seinem Engagement in der Obdachlosenhilfe erzählen. Er wird aus eigener Erfahrung berichten, wie schnell der Weg in die Obdachlosigkeit sein kann und wie schwer er wieder herausführt. Er gibt Zeugnis, welche Rolle sein Glaube für ihn bedeutet und wie wichtig es ihm geworden ist, Menschen auf Augenhöhe zu begegnen. Dabei gibt er ein einfaches Beispiel: Wer Johannes nach einer Zigarette fragt, bekommt nicht einfach eine Fluppe ausgehändigt, sondern die Schachtel gereicht, um sich eigenständig eine herauszunehmen.
Überkommene Glaubensprache verlernen, Glaubenspraktiken zu entdecken
Die Protagonist_innen jeder Folge sind Menschen, die ein Segen sind. Zu Gehör kommen ebenfalls Expertinnen und Experten, um den Problemhorizont einer jeweiligen Folge besser verstehen zu können. Als kirchliche Akteure ist unser Anspruch nicht, zu allen Themen selbst Gescheites beizutragen. Aber wir wollen uns selbstbewusst trauen, Fragen zu stellen und Themen auf die Agenda zu setzen.
Ein Learning des Projekts ist vielleicht bereits, dass wir uns als vermeintliche Expertinnen und Experten vom Anspruch der Deutungshoheit in Glaubensdingen verabschieden müssen; dass wir uns in theologischer Bescheidenheit üben und etablierte Formen des Sprechens vom Glauben ein Stück weit auch verlernen müssen, damit Glaubenspraktiken ansichtig werden können.
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Grafik: Aus dem Projekt der Autoren
Dr. Andree Burke ist Leiter der Pastoralen Dienststelle im Erzbistum Hamburg.
Dr. Gerrit Spallek ist Pastoralreferent im Erzbistum Hamburg.