Valentinstag und Aschermittwoch fallen aufeinander. Was tun, wenn die Liebe ruft? Daniel Bogner, Moraltheologe und feinschwarz-Redakteur, beantwortet die Gewissensfrage.
Sven: Mit meiner Partnerin habe ich mir seit ein paar Jahren angewöhnt, dass wir uns am Valentinstag Zeit füreinander nehmen. Im Alltag läuft man sonst schnell Gefahr, einfach nur nebeneinander her zu leben und verliert sich aus dem Blick. Mir ist aber auch der Glaube wichtig und ich verstehe mich als Christ, auch wenn ich das nicht ständig vor mit hertrage. Müsste ich, wenn es denn dazu käme, am Valentinstag, der ja auf Aschermittwoch liegt, notfalls auf körperliche Nähe und Sex verzichten?
Antwort: Zuerst einmal – danke für Ihre Frage. Ich glaube, Sie bringen sehr konkret auf den Punkt, was viele Menschen von heute, die sich auch als religiös und gläubig verstehen, bewegt. Viele fragen sich: Will uns die Religion in unserer Lebensfreude einschränken? Bedeutet gläubig zu sein zugleich, auf das verzichten zu müssen, was das Leben lebenswert macht? Offenbar tief verwurzelt ist die Vorstellung, der christliche Glaube schreibe konkrete einzelne Akte vor oder verbiete sie – eine Verbots- und Gebotsmoral.
Welche Bedeutung haben die Regeln und Rituale der Religion?
Aber lassen sich die vielen Rituale, Regeln und Gewohnheiten, die einem in der Religion begegnen, wirklich nur als Ausdruck einer Forderung nach Gehorsam und Anpassung interpretieren? Vielleicht kann man sie ja auch mit einem Sinn füllen, der mit unserem konkreten Alltag zu tun hat? Dann wären diese Rituale und Regeln Hilfestellungen – Sprungbretter – für ein erfülltes Leben. Sie werden fragen: Was heißt das konkret? Zunächst geht es um den Sinn von Fastenzeit und Aschermittwoch.
Biblisch-theologisch gesprochen: Der Aschermittwoch markiert als Beginn der österlichen Busszeit eine Zeit der Umkehr. Biblisch gemeinte Umkehr wurzelt in jener Erinnerung, in der man realisiert: Ich bin von Gott geschaffen als ein königlicher Mensch, wie es die Psalmen sagen. Mit diesem Mensch hat Gott etwas vor. Meine Berufung ist es, diesem Gott ein Ebenbild zu sein. „Umkehren“ heißt dann: Sich besinnen auf die Beziehung, die mir von Gott angeboten ist. Erkennen, wo ich dieser Beziehung nicht gerecht geworden bin – im eigenen Leben und im Zusammenleben mit anderen. Sich dann darum bemühen, diese Beziehung wieder herzustellen.
Umkehr heißt: über die Qualität einer Beziehung nachdenken
Am Aschermittwoch steht also die Qualität einer Beziehung im Zentrum. Das Fest der Liebenden bietet vor dem Hintergrund, dass es mit dem Aschermittwoch zusammenfällt, eine ganz besondere Chance. Denn ein Fastenvorsatz könnte lauten: Wie verbessere ich die Qualität meiner Beziehungen? In solch einer Perspektive kann Sexualität einen Platz haben. Das führt zum zweiten Aspekt Ihrer Frage, der Sexualität.
Ich meine, man sollte gerade im religiös-kirchlichen Raum mehr darüber nachdenken, was wir uns unter Sexualität heute vorstellen. Wer fordert, man solle am Aschermittwoch auf Sex verzichten, hegt offenbar vor allem die Vorstellung, Sexualität sei etwas, das irgendwie nicht so recht zum Menschsein selbst gehört, sondern etwas, auf das man zugreifen und für sich nutzbar machen kann. Zugleich stellt man sich dieses Etwas als so heftig vor, dass es mit dem Menschen Dinge macht, die man nicht wollen sollte…
Sexualität: Triebabfuhr oder Ausdruckshandeln?
Ein solches Verständnis könnte man „Sexualität als Triebabfuhr“ nennen. Man kann Sexualität aber auch ganz anders verstehen, selbst wenn jede und jeder spürt, wie stark die Kraft der eigenen Geschlechtlichkeit oft sein kann. Diese Kraft kann allerdings die Bahn öffnen für ein wechselseitiges Ausdrucksgeschehen. Ich habe mit der Sexualität sozusagen eine besondere (existenziell-leibhafte) Sprache zur Verfügung, mit der mir Kommunikation, Ausdruck und Mitteilung möglich sind. Mit diesen hier nur kurzen Bemerkungen dazu, was man unter „Sex“ auch verstehen könnte, möchte ich Ihre Frage beantworten.
Erfüllend erlebte Sexualität führt heute leider ein Nischendasein! Zu sehr wird ihr die Luft abgeschnürt: In unserm eng getakteten, überplanten Alltag lassen wir oft gar keine Räume mehr, in denen sich der Sinn für guten Sex in unseren Beziehungen entwickeln könnte. Sexualität ist nämlich etwas Prekäres: eine empfindliche Pflanze, die ganz bestimmter (emotionaler, zeit-räumlicher, kommunikativer) „Vegetationsbedingungen“ bedarf und die schnell verkümmert, wenn man ihr diesen Kontext nicht gönnt. „Guter Sex“ (sofern man überhaupt mit diesem abgegriffenen Klischee reden sollte – mir fällt nichts besseres ein!) hat etwas Paradoxes: Etwas wollen und nichts wollen liegen nah beieinander – und gerade das tänzelnde Hin und Her zwischen beiden Polen ist eine Selbstkompetenz, die man in dauerhaften Liebesbeziehungen (weniger offenbar in der Funktion als machtvoller Produzent im Filmbusiness…) ein Leben lang lernt.
Das traurige Schicksal einer großen Möglichkeit…
Sexualität ist heute oft eine Ware, ein Fetisch, leidet unter dem Beschleunigungswahn, verkümmert zum Pflichttermin, ist ein Sehnsuchtsort und Projektionsfläche für „ein anderes Leben“, wirkliche Erfüllung, für das nie zu fassende Glück – das Versprechen auf eine Exit-Option aus dem Schlamassel eines stressigen und sinnentleerten Alltags. Sexualität ist heute einerseits überladen mit Erwartungen, andererseits unterschätzt und geringgeachtet, indem sie zum Produkt instrumentalisiert wird. Wenn man aus religiöser und kirchlicher Sicht über Sex spricht, sollte man dies alles im Blick haben, will man nicht an der Sache vorbeireden.
Lieber Sven! Ich halte hier eine kleine Vorlesung, was nicht Sinn dieser Kolumne ist. Aber für Ihre Frage mussten wir uns kurz anschauen, was es mit diesem magischen S-Wort auf sich hat. Damit wieder zurück zum Aschermittwoch: In der Fastenzeit bewusst auf etwas zu verzichten, kann bedeuten: Man setzt durch das eigene Verhalten Zeichen, macht in seiner Lebenspraxis einen spür- und fühlbaren Unterschied – ein Erinnerungszeichen, das einem hilft, die eigene Lebensgestaltung neu zu orientieren. Sie schreiben nun nichts darüber, welche Art von Sexualität Sie in Ihrer Beziehung pflegen und wie es darum bestellt ist. Wenn der Verzicht auf Sex Ihnen hilft, über der Reorientierung Ihres Lebens nachzudenken, soll Ihnen das keiner ausreden. Das sollte dann aber von Ihnen kommen und Ihr Wunsch sein, nicht bloßer Gehorsam gegenüber einem Kirchengesetz. Und vergessen Sie nicht: Sie sind mit solch einer Entscheidung nicht allein – sie betrifft noch jemand anderen, nämlich Ihre Partnerin. Diese Person sollten Sie in Ihre Erwägungen zumindest einbeziehen.
Die Liebe wieder für Zärtlichkeit öffnen – auch so geht Umkehr!
Wenn ich ehrlich bin, ist es mir schon viel zu konkret, so zu reden. In intimen Dingen (Glaube und Sexualität gehören beide dazu…) kann man von außen betrachtet leicht daneben liegen. Ich erlaube mir einen Ratschlag in ganz anderer Richtung: Nehmen Sie doch die Fastenzeit zum Anlass, Ihre Partnerschaft zu erneuern – indem Sie sich bewusst Zeit füreinander nehmen. Auf welchen Wegen und mit welchen Ausdrucksmitteln Sie sich da begegnen, das sei Ihnen anheim gestellt. So viele unterschiedliche Menschen es gibt, so viele unterschiedliche Paarbeziehungen sind möglich. Sex ist dafür eine (schöne!) Sprache unter vielen.
Vielleicht lernen Sie ja, sich als leibhafte Menschen mit einem Körper aus Fleisch und Blut neu zu begegnen. Erfüllende Sexualität zu erleben, kann dann zum Ausdruck bringen, dass Sie Ihre Existenz ziemlich ganzheitlich angenommen haben und sogar in der Lage sind, auf solch ganzheitliche Weise mit einem geliebten Menschen im Austausch zu sein. Das wäre auch eine Art von Umkehr. Um nichts anderes geht es in der Fastenzeit. Haben Sie also am Aschermittwoch keine Angst, wenn Sie Ihrer Frau in die Augen schauen!
Haben auch Sie eine Gewissensfrage – vielleicht gar mit Bezug zu Glaube und Religion? Unser Redaktionsmitglied Daniel Bogner ist Moraltheologe – ein Beruf, der an seiner zweisprachigen Universität in französischer Sprache auch „moraliste“ genannt wird. In loser Folge wird er sich an einer Antwort versuchen, die Ihnen vielleicht weiterhilft. Foto: Robert Schikowski / pixelio.de
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