Genderdebatten regen (nicht nur innerkirchlich) immer noch auf – und sie zeigen eine Konfliktsituation auf. Die katholische Position besagt, dass man Sex und Gender unterscheiden muss, aber nicht trennen kann. Hildegund Keul (Würzburg) zeigt auf, dass mit Papst Franziskus die Debatte neu eröffnet ist.
„We want sex“ – dieser Kinofilm über die Gewerkschafterinnen bei Ford Dagenham in den sechziger Jahren zeigt eindrücklich, welche Bedeutung Genderdebatten für die Arbeitswelt haben. Gleicher Lohn für gleiche Arbeitsleistung – dieser Gedanke ist der Protagonistin anfangs schlicht eines, nämlich undenkbar. Es braucht Mut und Beharrlichkeit, Unterstützung von vielen Seiten sowie einen Moment der Erleuchtung, um das Undenkbare in das Feld des tatsächlich Möglichen zu überführen. Von diesem Moment der Erleuchtung ausgehend, erlangt die Initiative der Frauen ungeahnte Durchschlagskraft, bis das gemeinsame Engagement der Näherin Rita O’Grady und der Politikerin Barbara Castle einen Meilenstein im Equal Pay Act setzt.
Gender Trouble – ein Zeichen unserer Zeit
Auch heute noch, nach vielen Jahren der Frauen- und Männerbewegung, sind die Genderdebatten turbulent. Das ist nicht verwunderlich. Vielmehr ist der „Gender Trouble“ (Judith Butler) ein Zeichen unserer Zeit. Es zeichnet unsere Zeit aus, dass die Geschlechterrollen und das Verhältnis der Geschlechter zueinander nicht mehr so unbeweglich sind wie im bürgerlichen Frauen- und Männerbild des 19. Jahrhunderts. Die mit dem Umbruch verbundenen Auseinandersetzungen sind alltäglich, z.B. wenn ein junges Paar sich für gemeinsame Kinder entscheidet und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zur Debatte steht.
Den Konflikten auszuweichen, führt nicht weiter.
Zeichen der Zeit sind mit Konflikten verbunden, denn hier geht es um gesellschaftliche Veränderungen. Die Umbrüche im Selbstverständnis von Frauen und Männern führen weltweit zu tektonischen Verschiebungen, und zwar in Gesellschaft und Kirche, Wissenschaft und Kultur, Politik und sozialem Leben. Dies ist gut an der Arbeitswelt zu sehen, wo sich auf allen Feldern der Erwerbs-, Familien- und ehrenamtlichen Tätigkeit ein nachhaltiger Umbruch ereignet. Zu erwarten, dass sich ein solcher Umbruch „konfliktfrei“ ereignet, wäre unrealistisch.
Den Konflikten auszuweichen, führt nicht weiter, genauso wenig wie der seufzende Wunsch, dass es doch so einfach und klar sein möge wie früher. Cool bleiben, das ist in überhitzten Turbulenzen ein gutes Motto. Den Konflikten nicht ausweichen, sondern sie möglichst sachlich angehen.
Sex und Gender: unterscheiden, aber nicht trennen
Zu einer solchen Versachlichung kann die Kirche beitragen, indem sie eine spezifische Perspektive einbringt. Papst Franziskus hat dies kürzlich in „Amoris laetitia“ getan, was leider in der breiten Rezeption des neuen Lehrschreibens beinahe untergegangen ist. Dort heißt es:
„Man darf nicht ignorieren, dass »das biologische Geschlecht (sex) und die soziokulturelle Rolle des Geschlechts (gender) unterschieden, aber nicht getrennt werden [können] «.“ (AL 56)
Erstmals wird hier in einem päpstlichen Lehrschreiben die Unterscheidung von Sex und Gender aufgegriffen und positiv verwendet. Ja, man kann Sex und Gender unterscheiden. Versuche, die Rede von „gender“ generell zu dämonisieren, werden damit abgelehnt. Zugleich gilt: Man kann Sex und Gender nicht voneinander trennen.
- Man kann also nicht sagen: wir lassen jetzt mal alles Kulturelle weg, und dann bleibt nur noch die Natur übrig, und das gilt dann! Sex, die biologische Natur – genetisch, anatomisch, hormonell – ist bei den Menschen immer kulturell geprägt, also ohne Kultur nicht zu haben.
- Geschlechtsidentität und Geschlechterrollen lassen sich aber auch nicht unabhängig von biologischen Realitäten entwickeln. „Sex und Gender“ sind aufeinander bezogen, ohne sich ineinander aufzulösen. Sie verkörpern sich – unvermischt und ungetrennt.
Papst Franziskus ist hier aus sachlichen Gründen zu einem ähnlichen Ergebnis gekommen wie der Genderflyer „Geschlechtersensibel. Gender katholisch gelesen“, den die Arbeitsstellen für Frauen- und Männerseelsorge der Deutschen Bischofskonferenz im Herbst 2015 gemeinsam herausgegeben haben. Dort heißt es: „Die katholische Position besagt, dass man Sex und Gender unterscheiden muss, aber nicht trennen kann. Sie sind aufeinander bezogen, ohne sich ineinander aufzulösen.“ (3. Spalte)
Dämonisch? Ein Fake
Papst Franziskus kritisiert in seinem Lehrschreiben auch verschiedene Formen einer Ideologie, die „den Unterschied und die natürliche Aufeinander-Verwiesenheit von Mann und Frau leugnet“ (AL 56). Ideologien sind in der Tat nicht hilfreich, Kritik ist nötig und Vorsicht geboten. Aber Papst Franziskus hat nie gesagt, dass Gender „dämonisch“ sei. Leider kursiert dieses Gerücht auf einigen Internetplattformen und in sozialen Medien. Es ist aber schlichtweg falsch. Bei Papst-Zitaten gilt eine strikte Regel: ein Papst wird nicht mit dem zitiert, was andere behaupten, dass er es gesagt habe; sondern ausschließlich mit dem, was er tatsächlich selbst gesagt hat. Wer das erfahren will, schaut nicht auf kath.net, wo allerhand Gerüchte kursieren, sondern auf vatican.va, wo Papst Franziskus im Originalton zu lesen ist.
Geschlechtersensibel – die Debatte ist neu eröffnet
Die Sprachregelung „unterscheiden, aber nicht trennen“ beantwortet eine Frage, die sich in den Genderdebatten tatsächlich stellt, nämlich nach dem Verhältnis von Sex und Gender. Es wäre spannend, dies einmal mit Judith Butler zu diskutieren, die nicht über die großartige Sprachleistung der frühen Kirche „unvermischt und ungetrennt“ verfügt. Die Positionierung von Papst Franziskus eröffnet die Genderdebatte auf katholischer Seite neu. Für die Kirche ist es eine Zukunftsaufgabe, auf allen Ebenen geschlechtersensibel zu handeln. Das heißt: spezifische Perspektiven von Männern und Frauen wahrnehmen, sie miteinander ins Gespräch bringen und im Licht des Evangeliums weiterführende Handlungsoptionen erforschen. Um das Evangelium zu leben, braucht die Kirche eine aktive, in Sprechen und Handeln ablesbare Wertschätzung von Frauen und Männern. Dabei gilt es, Unterschiede zwischen den Geschlechtern wahrzunehmen, aber Menschen dürfen nicht darauf festgelegt werden (Angela Kaupp).
„Doch es ist auch wahr, dass das Männliche und das Weibliche nicht etwas starr Umgrenztes ist.“
Und was bedeutet die Unterscheidung von Sex und Gender ganz konkret? Hierzu abschließend noch ein Originalton von Papst Franziskus.
„Ebenso wenig darf man übersehen, dass in der Ausgestaltung der eigenen weiblichen oder männlichen Seinsweise nicht nur biologische oder genetische Faktoren zusammenfließen, sondern vielfältige Elemente, die mit dem Temperament, der Familiengeschichte, der Kultur, den durchlebten Erfahrungen, der empfangenen Bildung, den Einflüssen von Freunden, Angehörigen und verehrten Personen sowie mit anderen konkreten Umständen zu tun haben, welche die Mühe der Anpassung erfordern. Es ist wahr, dass man das, was männlich und weiblich ist, nicht von dem Schöpfungswerk Gottes trennen kann, das vor allen unseren Entscheidungen und Erfahrungen besteht und wo es biologische Elemente gibt, die man unmöglich ignorieren kann. Doch es ist auch wahr, dass das Männliche und das Weibliche nicht etwas starr Umgrenztes ist. Darum ist es zum Beispiel möglich, dass die männliche Seinsweise des Ehemannes sich flexibel an die Arbeitssituation seiner Frau anpassen kann. Häusliche Aufgaben oder einige Aspekte der Kindererziehung zu übernehmen, machen ihn nicht weniger männlich, noch bedeuten sie ein Scheitern, ein zweideutiges Benehmen oder ein Schande. Man muss den Kindern helfen, diese gesunden Formen des „Austausches“, die der Vaterfigur keinesfalls ihre Würde nehmen, ganz normal zu akzeptieren. Die Starrheit wird zu einer übertriebenen Darstellung des Männlichen oder Weiblichen und erzieht die Kinder und die Jugendlichen nicht zur Wechselseitigkeit, die in den realen Bedingungen der Ehe „inkarniert“ sind. Diese Starrheit kann ihrerseits die Entwicklung der Fähigkeiten eines jeden bis zu dem Punkt hemmen, dass man es schließlich für wenig männlich hält, sich der Kunst oder dem Tanz zu widmen, und für wenig weiblich, irgendeine Führungstätigkeit zu entwickeln. Das hat sich gottlob geändert. Doch mancherorts verengen gewisse unsachgemäße Vorstellungen weiterhin die legitime Freiheit und verstümmeln die echte Entwicklung der konkreten Identität der Kinder oder ihrer Möglichkeiten.“ (AL 286)
Hildegund Keul ist Apl.-Professorin für Fundamentaltheologie und vergleichende Religionswissenschaft an der Universität Würzburg (www.verwundbarkeiten.de)
(Titelbild: https://paigempowell.files.wordpress.com/2015/06/gender.jpg)