Glaube und Zweifel, menschliche Schwäche und das Schicksal: Viera Pirker (Wien) rezensiert den neuesten Film von Martin Scorsese, der diese Woche in den Kinos anläuft.
Eine grauenhafte Folterszene: mehrere europäisch aussehende Männer, mager und in Fetzen gekleidet, werden mit gebundenen Händen zu ihrem Marterplatz in eine vulkanische Landschaft geführt, gepfählt und mit kochendem Wasser Tropfen um Tropfen übergossen: Christovão Ferreira (Liam Neeson), jesuitischer Missionar und Vize-Provinzial in Japan, sieht und kommentiert das höllische Geschehen. Die zu Tode Gemarterten sind seine Mitbrüder.
Mit diesen Bildern stürzt Martin Scorsese die Kinobesucher mitten hinein in das Historiendrama „Silence“, eine Literaturverfilmung des gleichnamigen Romans des japanischen Autors Shusaku Endo über den Kirchenskandal um Pater Ferreira mitten in der Christenverfolgung im Japan des 17. Jahrhunderts. Dieser Stoff war mehr als 25 Jahre ein Herzensprojekt des weltberühmten Regisseurs: „In der heutigen Phase meines Lebens grüble ich ständig über Themen wie Glauben und Zweifel, Schwäche oder das Schicksal des Menschen nach – und Endos Buch berührt diese ganz direkt.“
„Silence“ erzählt in 161 Minuten die Geschichte der jungen jesuitischen Missionare Sebastião Rodrigues (Andrew Garfield) und Francisco Garpe (Adam Driver) aus Portugal, die 1640 aller Gefahr zum Trotz nach Japan aufbrechen. Sie wollen das Gerücht erforschen, dass Ferreira am Höhepunkt der Verfolgung 1633 seinem Glauben unter Folter abgeschworen habe, inzwischen als Ehemann einer japanischen Frau und als Handlanger des japanischen Shogunats lebe. Die beiden Missionare hören Gottes Ruf dahingehend, den brutal verfolgten Christen in Japan als Seelsorger zu dienen.
Die Christen in Japan mussten ihrem Glauben öffentlich abschwören.
Japan blickt zu diesem Zeitpunkt auf beinahe 100 Jahre christliche Geschichte zurück: 1549 hatte Franz Xaver, einer der Mitgründer des Jesuitenordens, die Insel betreten, 1590 waren bereits mehr als 190.000 Japaner zum Christentum konvertiert und beeindrucken durch ihre tiefe Frömmigkeit und Hinwendung zu Christus: Die Mission im Reich der Aufgehenden Sonne galt damals als größter Erfolg der katholischen Kirche und der Jesuiten. Sie ging mit Handels- und Kolonialisierungsbemühungen von Spanien, Portugal, Holland und England Hand in Hand. All dies stellt zunehmend eine Provokation für das wiedererstarkende japanischen Shogunat dar. Bereits 1587 begann eine umfassende Christenverfolgung, die Handelswege wurden für nahezu 200 Jahre beinahe komplett unterbrochen. Die Christen in Japan mussten ihrem Glauben öffentlich abschwören und dies immer wieder bekennen, indem sie vor Zeugen Bildnisse des Heilands mit ihren Füßen treten. Wer sich weigerte, die sogenannte „Fumi-e“ auszuüben, wurde hingerichtet. Christliche Seminare und Schulen wurden geschlossen und Missionare (vor allem Jesuiten) des Landes verwiesen, blieben jedoch oft im Untergrund und erlitten gemeinsam mit den frommen japanischen Christen den Märtyrertod.
Obwohl es keine Priester mehr in Japan gibt, halten auch nach 1633 viele Christen heimlich an ihrem Glauben fest. Ein Vorsteher der Gemeinde leitet das Gebet im Verborgenen an und tauft die Kinder. Im Film treffen Rodrigues und Garpe mit Hilfe ihres zwielichtigen Führers Kichijiro (Yosuke Kubozuka) auf einfache Bauernfamilien, die nahe an der Erde leben und im Schlamm ihrer Dörfer beinahe versinken. Die Patres leben verborgen, spenden Sakramente, die Gläubigen suchen sie auf.
„Silence“ entwirft das Historiendrama als individuellen Glaubenskonflikt.
Der undurchschaubare Kichijiro scheint zunächst eine seelsorgliche Sternstunde für Rodrigues zu werden, doch zeigt er sich schon bald als hoch ambivalente Figur, als Begleiter, Zaudernder, Verräter, Sünder, Judas, Umkehrender, ja Beichtwilliger. Er glaubt konsequent an die Wirksamkeit des Sakraments und konterkariert dabei zugleich des Priesters eigene Hoffnung auf die Sinnhaftigkeit dieser (und damit jeder?) Beichte.
„Silence“ entwirft das Historiendrama als individuellen Glaubenskonflikt des Rodrigues. Der Priester sieht den Glauben der japanischen Bauern und teilt mit ihnen den Hunger der Seele. Doch sie werden wie Lämmer zu einer grauenhaften Schlachtbank geführt. Rodrigues Spiritualität war eigentlich ganz klar, kommt aber an ihre Grenzen: „Gott ist gut. Er unterzieht uns Prüfungen. Ich will und kann das auch, ich lebe im Vorbild des Gekreuzigten. Aber warum müssen die Prüfungen für die Bauern so schrecklich sein?“ Er fragt nach dem Schweigen Gottes angesichts des Leidens der Christen. Als die Vorsteher der Gemeinde, in der die beiden Patres verborgen leben, im Meer gekreuzigt werden, klagt Rodrigues die Urklage der Theodizee: „Sie sind für ihren Glauben gestorben. Sicher hört Gott ihre Gebete. Aber hat er auch ihre Schreie gehört?“ Sein Mitbruder Garpe hinterfragt zu diesem Zeitpunkt bereits den Sinn des Martyriums: „Die Bauern sind für uns gestorben, um uns zu schützen.“ Beide Jesuiten geraten getrennt voneinander in Gefangenschaft.
Die Gefahr der Selbstüberhebung einer Religion.
Scorsese zeigt in grandiosen und zugleich stillen Bildern die Hoffnung der Mission, wie sie über Jahrhunderte durch die Welt gerauscht ist. Er zeigt eine aus heutiger Sicht blauäugige Naivität der jungen europäischen Priester, die aufbrechen, um die Heilsbotschaft und die katholischen Sakramente zu den Menschen einer fremden Kultur mit eigener Religion zu bringen. Es zeigt auch die Gefahr der Selbstüberhebung einer Religion, die sich sicher ist, stärker und wahrer zu sein als alles andere. Im Film wird dies in irritierenden Gesprächen zwischen Rodrigues und dem ihm in Gefangenschaft zur Seite gestellten Übersetzer (Tadanobu Asano) sichtbar. Der erzählt: „Der weise Pater Cabral kam hierher um zu lehren und seine Botschaft zu verbreiten, doch er hat nichts gelernt. Wissen Sie in Portugal eigentlich, dass Japan eine eigene Religion hat?“
Großinspekteur Inoue (grandios verkörpert durch Issey Ogata) ist für die Religionskontrolle zuständig und an allem Europäischen hoch interessiert. Er entspricht so gar nicht den Erwartungen, die Rodrigues aus europäischer Anschauung an einen Inquisitor hat. Dieser weiß, dass seine Position den längeren Atem haben wird, und aus dieser Macht heraus geht er Praxis und Zeugnis des Christentums sehr grundsätzlich an: „Niemand darf in die Seele einer anderen Person eingreifen. Es ist nur Buddha, der dies tut.“ Früher waren die gefolterten Priester zu Märtyrern geworden. Doch die Kontrollbehörde hat daran gelernt und ihr System verfeinert. An Stelle der Priester und vor deren Augen werden jetzt ehemalige Christen gefoltert, die dem Glauben längst abgeschworen haben: Ihr Leben wird an das Abschwören der Priester gekoppelt, die so zu gebrochenen Vorbildern werden sollen. Gott schweigt, so klagt Rodrigues, er sieht diese Ungerechtigkeit nicht. Und er erkennt: „Ich selbst bringe das Entsetzen zu diesen Menschen“.
Indem er sein Leben hingibt, entzieht er sich der Unterdrückung.
Pater Garpe handelt angesichts dieser Perfidie konsequent: Er geht gegen den Willen der Inquisitoren mit den Gefolterten in den Tod. Eine filmische Schlüsselszene, die deutungsoffen gestaltet ist: Versucht Garpe, die ihm anvertrauten Gläubigen zu retten, oder wählt er freiwillig die Gelegenheit zum Tod, der ihm von Seiten der Peiniger verweigert wird? Indem er sein Leben hingibt, entzieht er sich jedenfalls ihrer Macht.
Rodrigues trifft schließlich auf seinen Lehrer Ferreira. Der hat tatsächlich seinem Glauben abgeschworen, er arbeitet sogar im Auftrag Inoues für die wissenschaftliche Weiterentwicklung und gegen das Christentum in Japan. Zugleich ist seine Gebrochenheit deutlich zu sehen. Der schlaue Übersetzer erklärt: „Ferreira wird jetzt sehr bewundert. Und das ist doch, was er eigentlich immer wollte.“ Rodrigues versucht, sich gut jesuitisch an das Vorbild Christi (imitatio Christi) auch auf dessen Leidensweg anzuklammern, und findet sich als Zuschauer am Kreuzweg der anderen, sinnlos für ihn Leidenden wieder. Ferreira befragt ihn auf eine falsche spirituelle Selbstüberhöhung, wenn er seine Treue zum Glauben über das Opfer der Anderen stellt, und wirbt für die größere Treue zur Botschaft der Liebe, wenn Rodrigues Christus verrät und damit das Leben der chancenlosen Menschen rettet.
Über dem Film liegt eine unbeteiligte Monumentalität.
Martin Scorsese und sein preisgekrönter Kameramann Rodrigo Prieto haben den Film in meditativen Bildern fotografiert: Stille, Naturaufnahmen, in Nebel versunkene Berglandschaften, das Elend der Dörfer und dagegen die große Ordnung und Schönheit der Städte. Eine Andächtigkeit liegt über der Meereshöhle, die die eingeschmuggelten Priester an der japanischen Küste aufnimmt, dem Segelschiff, dem Gefängnishof, ebenso wie auf den grauenhaften Folterszenen. Die Menschen werden eher typisiert als charakterisiert. Sie stehen für bestimmte Positionen und Rollen und geben darin eine spirituelle Anregung, aber keinen Raum zur Identifizierung oder zur Verurteilung. Die Kamera tritt ins Beschreibende zurück und droht so die unmittelbare Wirkung des gezeigten Grauens einzuebnen. Es liegt über dem gesamten Film eine gewisse unbeteiligte Monumentalität.
Scorsese hinterfragt die allzu große Selbstsicherheit und Heilsgewissheit der Offenbarungs-Religionen.
Scorsese gelingt es mit dem Film, allerdings die Aufmerksamkeit auf wichtige Fragen aller missionarischen Offenbarungs-Religionen zu lenken. Es positioniert sich dabei weder im Glauben noch in der Moral. Er hinterfragt vielmehr die allzu große Selbstsicherheit und Heilsgewissheit, die glaubende (Christen-)Menschen manchmal an sich haben. Was Rodrigues auch tut, die tiefe Anfrage bleibt immer bestehen: Entscheidet er sich in seinem Handeln für oder gegen die Nachfolge Jesu? Und welchen Wert hätte das?
Die eingesetzten filmischen Mittel sind beeindruckend, die japanisch-amerikanische Besetzung weitestgehend wunderbar. Leider scheint der Hauptdarsteller Andrew Garfield selbst das Verständnis für seine Figur des Rodrigues nicht recht gefunden zu haben, denn er bleibt trotz innerer Bewegtheit eigentümlich blass. Das liegt auch am Stoff selbst: „Silence“ erzählt keine positive Geschichte, sondern verharrt im Grundzweifel. Endo – und Scorsese mit ihm – lassen Rodrigues vollkommen scheitern. Und dennoch ist es wichtig zu wissen, dass beide Künstler, der Autor des Buches und der Regisseur, sich ausdrücklich auf ihre eigene Katholizität berufen. Scorsese stand vor allem in seiner Kindheit dem Katholizismus sehr nahe, und Endo reflektiert als Teil der christlichen Minderheit in Japan (etwa 1% der Bevölkerung) auch auf deren Geschichte: In Nagasaki hat in den 200 Jahren der Edo-Zeit eine vollkommen abgeschlossene Gemeinschaft von verborgenen Christen (Kakure Kirishitan) überlebt. Der Regisseur widmet am Ende mit dem jesuitischen Wahlspruch seinen Film den japanischen Christen: Zur größeren Ehre Gottes – Ad majorem Dei Gloriam.
Heute erscheint der Film in einer Zeit, in der Religionen und Weltanschauungen wieder gegeneinander hetzen. Das schreckliche Leiden der Jesidinnen im Terror-Regime des DaEsh, die Ermordung von Religionsvertretern, Ausgrenzung und Unterdrückung von Muslimen und Christen – je nach Mehrheitsregionen – all das sind Ereignisse, die anthropologisch zu wenig betrachtet und theologisch zu wenig debattiert werden. Scorsese zeigt mit „Silence“ eine aufrüttelnde Meditation, in der keiner ohne Fehl und Schuld bleibt, Zweifel und Glauben unbeantwortet nebeneinander existieren. Gerade darin ist es ein durch und durch spiritueller Film.
Bilder: Kerry Brown, Constantin Film
Zur Vertiefung: Cieslik, Hubert (1974/2010), „The Case of Christovão Ferreira”, online verfügbar auf Francis Britto’s „All about Francis Xavier“.
Die Deutsche Provinz der Jesuiten hat „Silence“ zum Anlass genommen, Videotestimonials von heutigen Missionaren in Japan zu produzieren.
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Dr. Viera Pirker ist Assistentin am Institut für Praktische Theologie / Religionspädagogik der Universität Wien.