Wie geht es Religionslehrer:innen in ihrem Schulalltag und aus welchen Ressourcen leben sie? Dieser Frage geht eine empirische Studie von Susanne Kleinoscheg nach.
Die meisten Studien nehmen den Religionsunterricht, die Situation der Schüler:innen oder die Frage nach den Lehrplänen in den Blick. Sehr wenig, vor allem Empirisches, gibt es jedoch zu den Lehrer:innen. Das spannendste Ergebnis meiner Arbeit[1] war, dass wider Erwarten die Kirchlichkeit ein wichtiges Thema bei den interviewten Lehrer:innen darstellt. Dies kann die Ergebnisse der Studie ergänzen, die von Lina Böhle und Judith Könemann am 6.2.23 auf feinschwarz.net vorgestellt wurde.
Die Situation: Religionsunterricht versus Freistunde oder Ethikunterricht
Meine Studie fokussiert aus methodischen Gründen auf Österreich, konkret auf die AHS (Allgemeinbildende Höhere Schulen – mit Sekundarstufe I und II). Es zeigte sich deutlich, dass Religionslehrer:innen in einem vielfachen Spannungsfeld stehen: Sie haben zwei Dienstgeber (Staat und Kirche), die Stellung des Faches in der Schule ist teilweise prekär und es gibt die Abmeldungsproblematik (da bis vor kurzem in Österreich die Alternative zum Besuch des Religionsunterrichts eine Freistunde war).
Die Situation hat sich in Österreich seit 2021 insofern geändert, als es nun in der Oberstufe das verpflichtende Alternativfach Ethik gibt, das auch von dazu qualifizierten Religionslehrer:innen angeboten werden kann. Welche Auswirkung dies langfristig auf den konfessionellen Religionsunterricht haben wird, kann man jetzt noch nicht genau sagen. Die Ausbildung im Fach Ethik läuft auf den Universitäten erst jetzt an. Einige Kolleg:innen haben den Master „Angewandte Ethik“, andere haben einen Intensivkurs auf der Pädagogischen Hochschule absolviert. Bis jetzt hat diese Entwicklung in Österreich eher zur Stärkung des Religionsunterrichts geführt als zur Schwächung.
Die Schule als Ort kirchlichen Handelns
Kirchliches Handeln wird zumeist über Pfarrarbeit definiert, kaum über andere Orte. Ich habe mich in meiner Studie der Identität und der situativen Kirchlichkeit von ReligionslehrerInnen gewidmet. Schule wird dabei nicht nur unter dem Bildungsaspekt, sondern auch als pastoraler Ort im Sinne des II. Vatikanums wahrgenommen.
Fragestellungen meiner Arbeit waren u.a.: Was bewegt Religionslehrer:innen, in der Spannung von Kirche, Bildungsdirektionen und Schulgemeinschaften zu arbeiten? Welche Auswirkungen haben die unterschiedlichen Erwartungshaltungen auf ihr Rollenverständnis? Auf welche Ressourcen greifen sie dabei zurück? Welchen Beitrag leisten sie zur Entwicklung der Kirche?
Ein zentrales Ergebnis meiner Untersuchung war, dass die Religionslehrkräfte mit ihrem Unterricht nicht nur ihrem allgemeinen Bildungsauftrag nachkommen, sondern viel mehr schaffen: Sie schaffen Kirche und dies situativ. Das bedeutet, dass die Kirche, die am Ort der Schule vorfindbar ist, nicht statisch und traditionell ist, sondern sehr flexibel. Einige Momente dieser in meiner Arbeit erhobenen „Kirchlichkeit von Religionslehrer:innen“ sollen im Folgenden dargelegt werden.
Die situative Kirchlichkeit in der Schule zeigt sich als „Zeichen und Werkzeug des Heils“
Situationen solcher Kirchlichkeit können sein: eine Ritualbegleitung, das Erfahrbarmachen des Kirchenjahres, das Thematisieren von Fragen um Beginn und Ende des Lebens etc. Je nach Klasse und Situation wird in diesen Stunden Kirchlichkeit relevant, wenn die SchülerInnen spüren, dass sie mit ihrem Leben und ihren Fragen, mit ihrem Leid und ihrer Freude vorkommen, ernst genommen werden und sprechen können. Im Religionsunterricht werden SchülerInnen inkulturiert in die Themen der Kirche – dies jedoch nicht in Form von Indoktrination. Vielmehr prägen sie als jeweilige Person, die zu der Klassengemeinschaft dazugehört, das situative Gesicht der Kirche.
Durch situative Kirchlichkeit in der Schule entsteht sehr viel Freude. Freude kann nicht verordnet werden, sondern sie ist Gabe Gottes und zugleich Frucht aus dem Einsatz für den Nächsten. Diese heilende Kraft des Glaubens ist ein Geschenk, wenn es im Schulalltag spürbar wird. Es sind diese Stunden, die in den Interviews beschrieben werden als Sternstunden oder Stunden, in denen die Schüler:innen an den Lippen hängen und alles in sich aufsaugen. Der ganze Mensch wird angesprochen.
Die situative Kirchlichkeit spiegelt sich im missionarischen Volk Gottes wider. Viele Schüler:innen haben in der Schule den einzigen Kontakt zu kirchlichen Themen. Glaube ist dabei nicht machbar – und hier zeigt sich eine schöne Seite der Ohnmacht der Religionslehrkräfte. In dieser Mission lernen alle Teile ständig voneinander und das macht die Spannung aus und den Reiz des Religionsunterrichts.
Der Aufbruch der situativen Kirchlichkeit der Religionslehrer:innen ist schmerzhaft. In der Vielfältigkeit der Religionslehrkräfte und ihrem Leben als Christ:innen werden die Vielfalt und die unterschiedlichen Formen von authentischem Kirchesein sichtbar.
Wenig Unterstützung durch Amtskirche
Leider werden Religionslehrkräfte aber in ihren Aktionen und Bemühungen selten von der Amtskirche unterstützt. So drückt es eine interviewte Lehrkraft aus: „Mich nimmt die Kirche nicht wahr und ich nehme sie auch nicht wahr.“
Das Volk Gottes, das vor Ort in der Schule anzutreffen ist, ist sehr vielschichtig. Hier gehören nicht nur die Schüler:innen dazu, sondern das ganze Kollegium und sämtliches Personal, das zu einer Schule gehört. Die Religionslehrkraft wird z.B. von allen angefragt, wenn es um Trauerfeiern, Hochzeiten oder Taufen geht. Ihre Unterstützung und Wissen werden vorausgesetzt und immer wieder in Anspruch genommen. Diese Bereitschaft, im Hier und Jetzt da zu sein, lässt sich wohl durch nichts besser beschreiben als mit der Nachfolge Christi.
Dieses pilgernde Volk Gottes, das nicht statisch in einer Position verharrt, sondern elastisch ja nach Klasse und Gruppe reagiert, bewirkt diese positive Kraft des Religionsunterrichts. Die Religionslehrkräfte wagen in vielen Stunden einen Weg der Ungewissheit, weil sie nicht wissen, ob die Schüler:innen ihren Weg mitgehen. Die Interviews bestätigen, dass sich die Religionslehrkräfte auf ihre spezielle Frömmigkeit und Verankerung in ihrer Kirche stützen.
Macht und Ohnmacht von Religionslehrkräften
Warum halten Religionslehrer:innen dies alles aus? Sie kennen oder erkennen ihre Macht und Ohnmacht als Religionslehrkräfte. Ihre Selbstreflexion und Resilienz verhelfen ihnen dazu, an und mit der Kirche zu handeln, da sie durch ihre Arbeit ganz neue Formen der Kirchlichkeit erleben. Diese neuen Formen geben ihnen Kraft, in der Kirche zu bleiben, da diese situative Kirche beweglich ist, im Heute und am Puls der Menschen.
Das Schmerzhafte an der situativen Kirchlichkeit ist, dass die Religionslehrkräfte in der Schule für alle Vergehen und Verfehlungen der Kirche oder Ortspfarrer verantwortlich gemacht werden. Sie sind vor Ort und treffen auf ein kritisches Kirchenvolk, das manchmal auch sehr fern ist. Diese Ferne ist nicht das Problem, sondern dass alle in einen Topf geworfen werden und die Schulpartner:innen nicht unterscheiden oder erkennen, welche wichtige Vermittlung von Werten und Haltungen Religionslehrkräfte an der Schule leisten. Viele sind auch Vertrauenslehrer:innen an ihren Schulen. Sie sind also Seelsorger:innen – auch wenn sie nicht so bezeichnet werden.
Es geschieht viel – geplant und ungeplant
Worte für schwer zu fassende Themen wie z.B. Tod, Beginn des Lebens, Solidarität, Schuld und Versöhnung etc. zu finden und mit den Jugendlichen zu suchen, ist Aufgabe des Religionsunterrichts. Noch eine Stimme aus den Interviews: Die interviewte Lehrperson bewundert die jungen Menschen, dass sie sich in der Woche zwei Stunden Zeit nehmen, über Fragen des Lebens nachzudenken und zu diskutieren, denn diese Zeit nehmen sich so manche Erwachsene nicht.
Geplant und ungeplant geschieht sehr viel, und diese Offenheit und Spontaneität ist klare Nachfolge Jesu Christi – kein Verstecken hinter Mauern oder Gebäuden, sondern ein Dasein vor Ort, mitten im Leben bei den Menschen und nicht nur bei denen, die die Schwelle in das Kirchengebäude übertreten, sondern bei allen – egal ob nahe, fern, getauft oder nicht getauft – das ist situative Kirchlichkeit in der Schule.
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Susanne Kleinoscheg, Dr. theol., unterrichtet Kath. Religion und Ethik am Wirtschaftskundlichen Gymnasium (Wiku) in Graz.
[1] Kleinoscheg Susanne, Kirche entsteht im Handeln. Über die situative Kirchlichkeit von Religionslehrerinnen und Religionslehrern als Moment ihrer Identität (Werkstatt Theologie 24), Wien-Berlin 2022.