Der Koran weiß vieles über Maria und Jesus zu sagen. Katrin Visse und Aydın Süer werfen ausgehend von einem neuen Song des Künstlers Yusuf (Cat Stevens) „Son of Mary“ einen Blick auf die koranische Überlieferung.
Der britische Sänger und Komponist Yusuf wurde seit den 1960er Jahren unter dem Namen Cat Stevens weltweit bekannt. 1977 konvertierte er zum Islam und nahm den Namen Yusuf an. Auf seinem neuen Album „King of Land“ gibt es einen bemerkenswerten Song: Son of Mary. Darin zitiert er teilweise wörtlich die koranische Überlieferung zu den Figuren Jesus und Maria. Für alle, die immer schon wissen wollten, wie Musliminnen und Muslime Maria und Jesus glauben: Hier findet sich – in musikalischer Form – koranische Mariologie und Christologie „in a nutshell“. Schon der Titel greift auf, wer Jesus im Koran ist: Mariens Sohn – ein Mensch.
Der Liedtext beginnt mit diesen Zeilen:
Mary, Mary, don’t you weep
Angels guard you while you sleep
Mary, Mary, don’t you cry
God will grant you a faultless child
Im ersten Vers zitiert Yusuf ein klassisches Spiritual der „black church“: „O Mary Don’t You weep“. Getröstet wird Maria auch im Koran – Yusuf wählt hier eine Ausdrucksweise, die daran erinnert.[1] Die Sündlosigkeit (faultless) des erwarteten Kindes bezieht sich auf Vers 19:19, in dem Maria ein „lauterer (zakiyan) Knabe“[2] angekündigt wird. In der ersten Strophe wird die Geburtsgeschichte, die im Koran ausführlich beschrieben ist, angedeutet:
Now for a while, she fled away
Beneath the palm she hid
When she returned they saw the child but doubted what she said
They would have stoned her there and then but for a stranger event
The baby spoke that made the folk believe her innocent
Der Koran berichtet, dass Maria Jesus jungfräulich empfangen hat (Koran 3:47)[3] – anders als in der Bibel ist genau dies der Grund für ihre Flucht. Denn Maria wird als „Dirne“ beschimpft und Yusuf fügt erklärend hinzu: „They would have stoned her there and then“. Aber der neugeborene Jesus spricht und rehabilitiert seine Mutter: „… ich bin der Diener Gottes! Er (…) machte mich zum Propheten. (…) Ehrerbietung gegen meine Mutter!“ (Koran 19:30-33).
In der zweiten Strophe wird nun die koranische „Christologie“ weiter entfaltet.
At time moved the heavens
Through the spirit, He did grow
The books of Law and Wisdom, God taught him to know
He healed the sick and cured the hearts, gave sight to the blind
By God’s decree, He raised the dead though many still deny
Jesus ist von Gottes Geist gestärkt, das sagt der Koran in 2:87 („Und Jesus, Marias Sohn, brachten wir die Beweise und stärkten ihn mit dem Heiligen Geist”) und in 5:110 („…damals, als ich [Gott] dich stärkte mit dem Heiligen Geist“). Keinesfalls ist dieser Geist jedoch – wie etwa im Christentum – als eigene Seinsweise zu verstehen.
Fast wörtlich zitiert Yusuf aus den Koranversen 5:110, in denen es heißt „Damals, als ich [Gott] dich lehrte – das Buch, die Weisheit, das Gesetz und das Evangelium“ und „damals, als du … Blinde heiltest und Aussätzige, mit meiner Erlaubnis, und damals, als du die Toten herausbrachtest … mit meiner Erlaubnis … da sprachen die Ungläubigen unter ihnen: Das ist doch nichts als klarer Zauber.”[4] Der Einschub Yusufs by God’s decree ist ebenso ein wörtliches Zitat („mit meiner Erlaubnis“) und verdeutlicht, dass Gott allein der Handelnde ist – und nicht Jesus.
Ebenso wichtig ist, dass Jesus – wie auch Mohammed und die anderen Propheten – zum Glauben an den einen Gott ruft und im Koran nie behauptete, selbst Gott zu sein, etwa in 4:171 „…Denn siehe, Gott ist ein Gott; fern sei, dass er einen Sohn habe.“. [5] Das wird in der nächsten Strophe herausgestellt:
Though only few did follow Him amongst His real sons
He never stopped calling the Lord thy God is one
Den wohl größten Unterschied, wie Jesus im Koran und in der Bibel beschrieben wird, verdeutlichen die nun folgenden Verse. Denn der Koran – und mit ihm Musliminnen und Muslime – glauben nicht an den Kreuzestod Jesu, und auch nicht an dessen Leiden davor:
Some disbelievers had a plan, would nail Him to His death
God made it look as if they did but raised Him up instead
Yusuf fasst hier in seinen Worten Vers 4:157 zusammen, in dem es heißt: „Aber sie haben ihn nicht getötet und haben ihn auch nicht gekreuzigt. Sondern es kam ihnen nur so vor. (…) vielmehr hat Gott ihn zu sich erhoben.”
Mary, Mary, don’t you weep
Heaven guards him while you sleep
Mary, Mary, time will come
Death won’t touch Him ’til His work is done
Now just before He lifted up
He gave the world a news
That God would send a comforter with the spirit of truth
And He would be His witness and deliver God’s word
While many people know Him
Still many haven’t heard
In der letzten Strophe nimmt Yusuf die unter Muslimen und Musliminnen weit verbreitete Vorstellung von der Wiederkehr Jesu auf: Death won’t touch Him ’til His work is done. Bei dem Tröster (comforter), auf den im folgenden Vers angespielt wird, handelt es sich um den Tröster, der im Johannesevangelium vorkommt: „Wenn aber der Tröster kommt, den ich vom Vater aus senden werde, der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht, dann wird er Zeugnis für mich ablegen.“[6]. Dieser wird mit Verweis auf Vers 61:6 von vielen Muslimen als biblische Ankündigung Muhammads gedeutet. Hier heißt es: „Als Jesus (…) sprach: (…) ich bin von Gott zu euch gesandt, um zu bestätigen, was mir schon vorliegt vom Gesetz, und einen Gesandten anzukündigen, der nach mir kommt…[7]
Mary, Mary, don’t you weep
Angels guard you while you sleep
Mary, Mary, don’t feel alone
He’ll return on the day that God says so.
Nach traditioneller islamischer Eschatologie wird Jesus am Ende der Zeiten auf die Erde zurückkehren. Wann dieser Tag sein wird, ist – für Gläubige beider Religionen – Gottes Geheimnis: „Siehe, das Wissen um »die Stunde« liegt bei Gott.“ (Koran 31:34).
Mit seinem Song verschafft Yusuf der muslimischen Perspektive auf Jesus und Maria Gehör. Gerade im Chor der aktuellen Adventslieder ein interessanter Kontrapunkt.
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[1] Vgl. Koran 19:24, 19:26 und 19:40.
[2] Alle Koranzitate nach der Übersetzung Hartmut Bobzin: Koran. Mit Erläuterungen, H.C. Beck 22017.
[3] „Wie soll ich denn ein Kind empfangen, wo mich ein Mensch niemals berührte?“ So auch bei Koran 66:12: „Und Maria, die Tochter von Imran, die ihre Scham hütete. Da bliesen wir von unserem Geist in sie, und sie glaubte an die Worte des Herrn und seine Bücher. Und sie war eine der demütig ergebenen.“
[4] Ähnlich auch die Verse 3:49.
[5] Vgl. Koran 5:116-117: „Und damals, als Gott sprach: O Jesus, Sohn Marias, hast du den Menschen denn gesagt: Nehmt mich und meine Mutter zu Göttern neben Gott? Er sprach: Gepriesen seist du! Mir steht nicht zu, dass ich etwas sage, wozu ich nicht berechtigt bin. Und hätte ich es gesagt, so weißt du es; du weißt ja, was in meinem Inneren ist (…) Ich habe ihnen nur gesagt, was du mir aufgetragen hast: ‚Dient Gott, meinem Herrn und eurem Herrn!‘ Und ich war Zeuge gegen sie, solange ich bei ihnen war…“.
[6] Vgl. Joh 15,26 Ebenso Joh, 16,7: „Doch ich sage euch die Wahrheit: Es ist gut für euch, dass ich fortgehe. Denn wenn ich nicht fortgehe, wird der Tröster nicht zu euch kommen; gehe ich aber, so werde ich ihn zu euch senden.“
[7] Der ganze Vers lautet: „Als Jesus, der Sohn der Maria, sprach: Ihr Kinder Israel, siehe, ich bin von Gott zu euch gesandt, um zu bestätigen, was mir schon vorliegt vom Gesetz, und einen Gesandten anzukündigen, der nach mir kommt und dessen Name Ahmad [der Hochgepriesene] ist.“ Man beachte, dass im Arabischen die Konsonanten wichtiger sind als die Vokale, so dass die sprachliche Nähe von Ahmad und Mohammad tatsächlich gegeben ist.
Bildnachweis: Katrin Visse
Katrin Visse studierte katholische Theologie und Islamwissenschaft und promovierte am Schweizerischen Zentrum für Islam und Gesellschaft in Fribourg. Sie ist Referentin für Islam und Theologie an der Katholischen Akademie in Berlin.
Aydın Süer ist Soziologe und Post-Doc am Berliner Institut für Islamische Theologie. Er forscht zu Kunst als Form islamisch-religiöser Praxis und ist außerdem Gründungsmitglied der Alhambra-Gesellschaft.