Für Laura Brauer verhilft die Verschärfung des ungarischen Abtreibungsrechts einem misogynen Extremismus zur Gesellschaftsfähigkeit. Anlass, ein Schlaglicht auf das „Herzschlagprinzip“ und die damit verbundene ideologische und kommunikative Pervertierung des Mutterinstinkts durch die neuen Rechten zu werfen.
Trend zur Verschärfung: Ungarn im Kontext
Im September 2022 wurde in Ungarn auf Drängen der rechtsextremistischen Partei Mi Hazank („Unsere Heimat“) eine Novellierung des Abreibungsrechts beschlossen. Demnach ist eine Abtreibung nur noch dann zulässig, wenn bei Beantragung eines Schwangerschaftsabbruchs eine fachärztliche Bescheinigung vorgewiesen werden kann, der zufolge der abtreibungswilligen Person „die Faktoren, die auf das Vorliegen der Lebensfunktionen des Embryos hinweisen, auf eindeutige Weise zur Kenntnis gebracht wurden.“ Unrechtes Recht verlangt nach Verklausulierung. Kurz: der legale Abbruch einer Schwangerschaft wird mit dem Zwang zum Anhören der Herztöne des Embryos verbunden.
Der legale Abbruch einer Schwangerschaft wird mit dem Zwang zum Anhören der Herztöne des Embryos verbunden.
Damit folgt Ungarn einem supranationalen Radikalisierungstrend der rechtlichen Neuregelungen von Schwangerschaftsabbrüchen. In den meisten EU-ländern sind Schwangerschaftsabbrüche während des ersten Trimesters erlaubt; mit Ausnahme von Polen und Malta, die Abtreibung gänzlich kriminalisieren. Im Juni 2022 kippte das Oberste Gericht der Vereinigten Staaten die Grundsatzentscheidung „Roe v. Wade“ (1973) und schuf mit „Dobbs v. Jackson Women’s Health Organization“ einen folgenschweren Präzedenzfall. Die daraufhin vom EU-Parlament angestrengte Aufnahme des Artikel 7a in die europäische Grundrechtecharta, mit der ein Recht auf Schwangerschaftsabbrüche verbrieft werden sollte, hat u.a. aufgrund diffiziler Subsidiaritäten schon im Vorfeld keine Aussicht auf Erfolg. Und auch die Situation in Deutschland nach Aufhebung des § 219a StGB kann insbesondere im Hinblick auf medizinische (Beratungs-)Infrastruktur kein Zeichen für Entspannung sein.
supranationale, reaktionäre Dynamik im Abtreibungsrecht
Das “Herzschlagprinzip”: Dimensionen hegemonialer Aneignung
In dieser supranationalen, reaktionären Dynamik im Abtreibungsrecht kann Ungarn als Paradebeispiel einer propagandistischen Naturalisierung der Frau stehen. Das der Gesetzesnovelle zu Grunde gelegte „Herzschlagprinzip“ legt die Dimensionen hegemonialer Aneignung offen:
Zum einen wird hier ein unzulässig einschränkender Bezug auf Frauen genommen. Obgleich alle Menschen mit Gebärmutter direkt betroffen sind, lässt der wortwörtliche Bezug auf Frauen keinen Zweifel daran, dass Nicht-Frauen in diesem Familien- und Weltbild keinen Platz haben. Das Fundament der Stilisierung von Mutterschaft ist die Gebärfähigkeit, womit Frauen allein durch ihre Biologie zu Müttern werden.
Das Fundament der Stilisierung von Mutterschaft ist die Gebärfähigkeit, die Biologie.
Zum zweiten werden Schwangerschaftsabbrüche zu einer Frage weiblicher Moral gemacht. In Wort und Sinn fällt die Verschärfung in ein Strafdenken psychologischer “Erpressung”, die eine Drohkulisse staatlicher, wie sozialer Kontrolle und Repression aufbaut. Frauen tragen in jedem Fall die Last, einer vorbildlichen mütterlichen Moral entsprechen zu müssen. Die gesetzliche Manifestierung des „Herzschlagprinzips“ bedeutet einen hoheitlichen Eingriff in die weibliche Entscheidungsfreiheit und physisch-psychische Integrität. Zugleich wird die Abtreibungsentscheidung auf eine vorbestimmte Art öffentlich gemacht und seines höchstpersönlichen Charakters beraubt.
Drohkulisse staatlicher, wie sozialer Kontrolle und Repression
Zum dritten wird mit der Formulierung „Lebensfunktionen zur Kenntnis bringen“ im Grunde jedweder wissens-philosophische Diskurs über den Beginn von Leben erstickt. Einem liberalen gesamtgesellschaftlichen Aushandlungsprozess, der Abtreibung als Topik von verschieden Standpunkten her betrachtet, soll kein Raum gegeben werden. Die gesetzliche Intonierung wird im Ergebnis nicht nur in der medizinischen Alltagspraxis, sondern auch diskursiv zu einer grundlegenden Tabuisierung von Abtreibung führen. Zudem wird unter dem Vorwand allgemeinen Lebensschutzes einer rassistischen Geburtenpolitik Nährboden gegeben.
Zuletzt mündet dies zu einem fatalen Dualismus zwischen Menschen mit und ohne Gebärmutter. Dabei büßen jedoch auch alle Männer in dieser eindimensionalen Drohkulisse eine gleichberechtigte Kommunikationsebene ein. Sie kommen in der Rolle des vielschichtig, ethisch und emotional un-/mittelbar an einer Abtreibungsentscheidung Beteiligten überhaupt nicht mehr vor. Die Verantwortungsverlagerung auf die Frau ist durch den Einzug eines vordefinierten, normierenden und disziplinierenden Sittensystems ein vielfach exkludierender Mechanismus.
Dabei büßen auch alle Männer eine gleichberechtigte Kommunikationsebene ein.
Lauter als wissenschaftliche Evidenz
Die mit der Gesetzesnovelle vollzogene Pervertierung des Mutterinstinkts, kann nur als Ergebnis seiner mehrdimensionalen Instrumentalisierung innerhalb der gegenwärtigen (Rechts-)Politik nachvollzogen werden. Damit offenbart sich ebenso, dass misogyne Politik Anschluss an die Mechanismen und Logiken einer hybrid kommunizierenden Gesellschaft gefunden hat. Der kommunikative Brückenschlag zwischen digitaler und analoger Wirklichkeitswahrnehmung wird derart vollzogen, dass misogyn gefärbte Narrative und Themen auf eine Schicksalsgemeinschaft projiziert werden, in der sich der Einzelakteur* gleichsam individuell repräsentiert sieht.
Misogyn gefärbte Narrative und Themen werden auf eine Schicksalsgemeinschaft projiziert.
Dies geschieht häufig unter dem „Framing“ des Kampfes der Minderheiten/Mindermeinung, ganz gleich welche (zahlenmäßig großen und finanzstarken) Institutionen und Lobbys bestimmte frauenfeindliche Vorhaben vorantreiben. Die internationale Vernetzung des Anti-Abtreibungs-Aktivismus (z.B. „World Congress of Families“) weist einen hohen Organisationsgrad und finanzielle Kontingente auf. Unlängst wurde die polit-ökonomische Verstrickung zwischen sog. Lebensschutz-Organisationen wie „CitizenGo“ und der AfD nachgewiesen. Die sexistischen Agenden werden zumeist verdeckt transportiert und finden durch die Verbindung zu liberal anmutenden Anliegen (wie z.B. dem allgemeinen Schutz des Lebens) breiten Zuspruch.
Der Unwillen oder die Unfähigkeit, diese Verzerrungen wahrzunehmen, folgt meines Erachtens auch aus dem Umstand, dass westliche Industriegesellschaften nach wie vor im Säkularisierungsnarrativ leben. „Rational“ und „emotional“ werden bewusst und unbewusst als Gegensatzpaare gelebt. Nur damit wir bei Themen wie Abtreibung, Organspende und Sterbehilfe unsere heimliche Religiosität entdecken? Wie wird wissenschaftliche zu emotionaler Evidenz in einem Mentalitätskollektiv und umgekehrt?
Säkularisierung – aber bei Themen wie Abtreibung, Organspende und Sterbehilfe entdecken wir unsere heimliche Religiosität?
Die mediale Präsenz von Themen wie „Regretting motherhood“, Sterilisation unter 30 Jahren oder der Antibabypille für den Mann lässt nicht auf strukturellen Wandel schließen. Gegenteilig bewirkt sie, etwa durch Mechanismen der Aufmerksamkeitsökonomie, teilweise sogar, dass Akzeptanz in ihrer „Sickerungsrate“ verzögert wird. Gerade auf Sprachebene finden sich schier unerschöpfliche Anlehnungen naturalistischer Codierung von Mutterschaft. (Wikipedia zum “Rabenvater” sagt: siehe unter “Rabenmutter”).
Dabei konnte in den letzten Dekaden beweiskräftige Klarheit zum „Instinkthaften“ im Menschen geschaffen werden. Der Begriff wird von Seiten der Wissenschaft konsensual – wenn überhaupt – nur noch eingeschränkt auf den Menschen angewandt. In Zusammenführung verschiedener Studien (u.a. zu postnataler Depression und Oxitozinausschüttung als Reaktion auf Neugeborene) lässt sich Dr. C. Monk in einem Interview mit „healthline“ (23. April 2020, Übersetzung LB) wie folgt zitieren: „Die Idee des mütterlichen Instinkts ist weitgehend ein Mythos. Dieses […] Gespür für das eigene Kind und für das, was es braucht, entsteht durch intensive Nähe und tiefe Liebe, indem man Stunden mit dem Kind verbringt und über es nachdenkt. Es geht darum, die Zeichen zu erkennen, weil man eine Verbindung zu seinem Kind aufgebaut hat, nicht um ein instinktives Verständnis von Mutterschaft. Und das ist nicht auf Mütter beschränkt.“ Messbare physische Reaktionen auf Geburt und Elternschaft, z.B. ein ansteigender Oxytocinwert, konnten mithin bei Männern wie Frauen nachgewiesen werden. Das psycho-emotionale Verhältnis zwischen Eltern und Kind lässt sich nicht auf eine Hormonreaktion reduzieren. Das „Instinkthafte“ stellt, auch fernab wissenschaftlicher Evidenz, eine unzulässige Komplexitätsreduktion dar.
„Die Idee des mütterlichen Instinkts ist weitgehend ein Mythos.“
Das Zirkeln geht weiter
Der Frauenhass, mit dem sich Rosa Luxemburg konfrontiert sah, ist nicht derjenige Friederike Nadigs, ist nicht derjenige Alice Schwarzers. Misogynie ist zugleich Produkt und Zeugnis der Eigentümlichkeiten der Zeiten und Personen, die in ihr leben. Und so schwer sich einerseits raum-zeitliche Unmittelbarkeiten festmachen lassen, so schwer können andererseits tradierte Layer ignoriert werden. Das Ringen um die Überwindung bekannter und die Verhinderung neuer Sexismen ist ein systemisches Zirkeln.
Die Bedeutungsschwere dieses Aushandlungsprozesses darf nicht den rechts-radikalen Kräften preisgegeben werden.
Gegenwärtige Formen gesellschaftsfähigen Sexismusses, heben sich vielleicht insofern von vergangenen ab, als dass sie nicht entgegen, sondern entlang der hybriden Kommunikationsgesellschaft funktionieren. Der rechtliche, medizinische, politische, diskursive Umgang mit Abtreibung impliziert eine gesamtgesellschaftliche und übergeschlechtliche Betroffenheit. Die Bedeutungsschwere dieses stets weiterzuführenden Aushandlungsprozesses darf nicht den rechts-radikalen Kräften preisgegeben werden. Dies würde sein Ende bedeuten und damit zugleich ein Ende einer unter der Verfechtung von Gleichberechtigung hervorgebrachten Generationennachfolge.
Laura Brauer lebt und arbeitet seit nunmehr sechs Jahren in Berlin. Ihre Passion für verschiedenste Arten der Textproduktion spiegelt sich auch in ihren Fächern Geschichte und ev. Theologie wider, die sie an der Humboldt-Universität studiert.