Josephine Furian erinnert an das Grunddatum des heutigen Internationalen Tages gegen Rassismus und skizziert die Aufgabe für Christ*innen, die sich aus der Geschichte weißer-christlicher Überlegenheit ergeben.
In Erinnerung an Ferhat Unvar, Mercedes Kierpacz, Sedat Gürbüz, Gökhan Gültekin, Hamza Kurtović, Kaloyan Velkov, Vili Viorel Păun, Said Nesar Hashemi und Fatih Saraçoğlu.
Mit dem Gedenktag am 21. März riefen die Vereinten Nationen zu einem Ende des Rassismus auf und zum Gedenken an das Massaker in Sharpeville (Südafrika) im Jahr 1960, zum Gedenken an die Befreiungskämpfer*innen, an ihren Mut und ihre Entschlossenheit: Keine Entmündigung mehr hinzunehmen, keine Erniedrigung mehr zu ertragen. Vor genau 60 Jahren demonstrierten tausende Schwarze Menschen in Sharpeville gegen die rassistischen Apartheidgesetze. Die Polizei schoß in die Menge der Demonstrant*innen und tötete 69 Menschen. Mindestens 180 weitere wurden zum Teil schwer verletzt. Es folgten landesweite Streiks und weltweite Demonstrationen: Sharpeville wurde zu einem Wendepunkt in der Geschichte Südafrikas.
Das Massaker in Sharpeville – Wendepunkt südafrikanischer Geschichte
Aber der Kampf gegen Rassismus ist längst nicht vorbei. Die Attentate in Kassel, Halle und Hanau machen das bitter deutlich. Zu dem Attentat auf John F. Kennedy 1963 meinte Martin Luther King Jr.: „Our nation should do a great deal of soul-searching. While the question ´Who killed President Kennedy?´ is important, the question ´What killed him?´ is more important.“[1] Wenn es überhaupt irgendwann Gerechtigkeit für die Toten gibt, dann sollten wir uns sehr viele Gedanken machen. Nicht über irgendwelche vermeintlichen Einzeltäter. Sondern über die toxische Kultur weißer-christlicher Überlegenheit.
Soul searching
Christliche Diskurse leisteten ihren Beitrag zu dieser Kultur. Ein Beispiel aus der Reformationszeit:[2] Unter der christlichen Elite war es eine Schlüsselfrage, ob Schwarze und indigene Menschen in den Amerikas Seelen hätten. Somit also Menschen wären. Die katholische und die reformatorischen Kirchen brauchten unterschiedlich lange zu einer positiven Entscheidung. Das hatte Auswirkungen auf die Bedingungen, in denen die Versklavten in den USA lebten: Die katholische Kirche war die Erste, die ihnen eine Seele zugestand. In den katholischen Kolonien in den USA war es damit nicht erlaubt Sklav*innen grundlos zu töten. Die protestantischen Kirchen, in ihrem Abgrenzungsbedürfnis zur katholischen Kirche, waren deutlich langsamer in der Anerkennung der Menschlichkeit. Die Einstellung der Kirchen zur Sklaverei änderte sich erst als immer mehr Menschen of Color Christ*innen wurden.
Diskussion, ob Schwarze und indigene Menschen Seelen hätten
Zwar mag sich die christliche Einstellung zur Sklaverei geändert haben. Die Institutionalisierung weiß-christlicher Überlegenheit in Kirche und Gesellschaft besteht fort. Immer noch wird die Gottesebenbildlichkeit alltäglich rassistisch infrage gestellt und beschädigt. Der koloniale Blick sieht in der Anderen nur die Spiegelung der eigenen rassistischen Kategorien. Rassismus schließt die gegenseitige Menschlichkeit aus. Und widerspricht damit fundamental dem Glauben an die Gottesebenbildlichkeit aller Menschen. Diese zu achten bleibt ein Werkzeug gegen Rassismus. Um aber der Verdinglichung, Festschreibung und Hierarchisierung von Menschen vorzukommen, braucht es zugleich das Bilderverbot. Sonst kann ich der Anderen nicht als einzigartiges Gottesebenbild begegnen. Sondern nur einem Ebenbild der Gesellschaft, die „ihre Mitglieder nicht nur mit Haut und Haaren beschlagnahmt, sondern nach ihrem Ebenbild erschafft“.[3]
Gottesebenbildlichkeit und Bilderverbot zugleich
Begegnen wir anderen Menschen, tun wir das nicht außerhalb von Raum und Zeit. Wir sind auch nicht unabhängig voneinander, sind nicht autonom. Wir sind Teil eines unendlichen Netzes der Beziehungen zu anderen Menschen, anderen Orten, Toten, noch nicht Lebenden, zur Schöpfung und zu Gott. Und begegnen wir uns, ist das nicht unberührt von der Geschichte der Missachtungen und Misshandlungen. Es begegnen sich, so die Anthropologinnen Gloria Anzaldúa und Cherríe Moraga, immer auch die Gemeinschaften, die Toten und die Kommenden, und ihre Geschichten. Es gibt keine Begegnung vor der historisch geschehenen.[4] Das „Worlding“ ist schon passiert. Und das zu Gunsten weniger, privilegierter, weißer Menschen.
„What killed him?“
Martin Luther King stellt die Aufgabe des Soul Searchings, der kritischen Selbstprüfung. Rassismus beenden ist auch eine theologische und spirituelle Aufgabe. Es geht darum, das Unbehagen an der Kompliz*innenschaft zu spüren. Die Trauer um den Verlust von Leben, Sprachen, Liturgien und Spiritualität durch Jahrhunderte lange rassistische Ausbeutungsverhältnisse. Es geht darum die Beschädigung wahrzunehmen, wieder empfindsam zu werden gegenüber der Verletzung an Gott und den Menschen. Es geht darum zu versuchen, den Verletzungen zu widerstehen.
das Unbehagen an der Kompliz*innenschaft spüren
Wie sich der Aufgabe Martin Luther Kings gestellt werden könnte, macht die United Church of Christ in den USA mit ihrem Glaubenskurs „Sacred Conversations to end Racism“ vor.[5] In acht Treffen geht es darum, den eigenen christlichen Rassismus zu erkennen und sich gemeinsam auf einen Weg der transformativen Gerechtigkeit zu begeben. Schaut ihn euch an. Wer mag mitmachen?
Interessierte an „Sacred Conversations to end Racism“ können sich bei der Autorin melden: J.Furian@ekbo.de
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Josephine Furian ist Seelsorgerin in der Erstaufnahme Eisenhüttenstadt und Pfarrerin für Flüchtlingsarbeit im Sprengel Görlitz.
Bild: Aktion des Kirchenkreises Berlin-Stadtmitte, tut-der-seele-gut.info
[1] In Kelly Brown Douglas, Stand your Ground. Black Bodies and the Justice of God, 2018, S. xiif.
[2] Vgl. zum Folgenden https://www.racialequitytools.org/resourcefiles/Western%20States%20-%20Construction%20of%20Race.pdf
[3] Theodor W. Adorno, Reflexionen zur Klassentheorie, 1942, 149.
[4] Vgl. Mayra Rivera, Touch of Transcendence, 2007, 94f.