Die PfarrCaritas ist in Österreich ein wichtiges Standbein caritativer Arbeit. Frank Sauer, Mitarbeiter der Caritas Wien, führt – ausgehend vom Beispiel der „Klimaoase“ – aus, wie sich PfarrCaritas immer stärker sozialräumlich orientieren muss.
Eine Pfarre im Weinviertel als Ort der Begegnung
Es ist ein Mittwochnachmittag im Juli diesen Jahres und ich stehe zusammen mit der für die Caritasarbeit in der Pfarre Verantwortlichen in der katholischen Pfarrkirche in Katzelsdorf, einem Ort mit 367 Einwohner*innen. Mit viel Gespür für die Geschichte dieses Ortes führt sie mich durch das Kirchengebäude, das die Menschen dort als Dom des Weinviertels bezeichnen. Für den kleinen Ort in der Nähe der österreichisch-tschechischen Grenze ist es eine große Kirche. Das reich ausgemalte Gebäude aus dem Beginn des 20. Jahrhunderts lässt noch den Glanz der österreichisch-ungarischen Monarchie erahnen. Mittlerweile hat sich das ehemals vielfältige Pfarrleben auf einige Gottesdienste mit wenigen älteren Besucher*innen reduziert. Die freiwilligen und bereits älteren Mitarbeiter*innen der Pfarre bemühen sich, das Gebäude, den umliegenden Garten und das Pfarrleben in Schuss zu halten, solange es noch geht.
Nach der kurzen Privatführung geht es zurück zum Pfarrhof, dem ehemaligen Wohnhaus des Pfarrers mit angrenzendem Innenhof und weiteren Wirtschaftsgebäuden. Die zuständigen indischen Priester wohnen nicht mehr vor Ort, sondern in einem der Nachbarorte. Beim Pfarrhof sitzen bereits ca. 20 zumeist ältere Personen. Sie alle treffen sich zur „Klimaoase“, einem Projekt der PfarrCaritas (einer Abteilung der Caritas in der Erzdiözese Wien), das Pfarren einlädt, ihre Pfarrgärten im Sommer für Menschen als kühlende Orte zu öffnen. Die ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen servieren Kuchen, Kaffee und kalte Getränke. Als zuständiger Regionalbetreuer der PfarrCaritas ist die Klimaoase das eigentlich Ziel meines Besuches.
Die ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen freuen sich über den Besuch der Caritas aus Wien. Und die Besucher*innen erzählen, dass es im Ort mittlerweile weder einen Arzt noch ein Wirtshaus gibt. Viele Wiener*innen haben sich im Ort Ferienwohnungen gekauft, beteiligen sich aber nicht am Leben des Ortes, so dass der Kreis der eigentlichen Bewohner*innen immer kleiner wird. Die Pfarre ist trotzdem noch ein Ort, wo geselliges Beisammensein möglich ist.
Der Bedarf nach Hilfe und Unterstützung scheint größer zu werden.
Karitative Arbeit als pastorale Chance
Insgesamt wandelt sich die kirchliche Landschaft in Österreich in den letzten Jahrzehnten spürbar. Die Anzahl der Gottesdienste, Gottesdienstbesucher*innen und Kirchenmitglieder geht zurück, nicht nur in den Städten und nicht nur in der römisch-katholischen Kirche. Hauptamtliche Stellen bleiben unbesetzt. Immer weniger Seelsorger*innen sind für immer größere Seelsorgeeinheiten zuständig. Kirchengebäude werden für andere Nutzungsmöglichkeiten umgewidmet. Kirche ist in Österreich noch deutlich präsent, scheint aber auf dem Rückzug zu sein. Aber es schrumpfen nicht alle Bereiche. Die kirchlichen Hilfsorganisationen werden nach wie vor wahrgenommen. Der Bedarf nach Hilfe und Unterstützung scheint größer zu werden, was sich auch an der wachsenden Kolleg*innenschaft in der Caritas zeigt.
Aus dem dreifachen kirchlichen Grundauftrag (Verkündigung, Liturgie, und Diakonie)[1] wird vor allem der diakonisch-karitative Auftrag von Kirche nach wie vor nachgefragt. Eine Beobachtung, die ich aus meiner Tätigkeit als Berufsberater bestätigen kann. Klient*innen begegnen kirchlichen Hilfsorganisationen oft mit einem Vertrauensvorschuss. Das ist doch ein Zeichen der Hoffnung: Zwar schwinden die volkskirchlichen Strukturen, aber es gibt den karitativen Bereich, der Kirche schon in den ersten Jahrhunderten attraktiv gemacht hat, der nach wie vor lebendig ist, der über die Grenzen der gewohnten pfarrlichen Strukturen hinausgeht und der auch Menschen außerhalb der Pfarren etwas von der befreienden Liebe Gottes zu seiner Schöpfung vermittelt.[2] Das ist eine unglaubliche pastorale Chance im Hinblick auf die Botschaft Jesu, der die Kirche(n) insgesamt und die Pfarren vor Ort verpflichtet sind.
In den Blick genommen werden alle Menschen eines Sozialraums.
PfarrCaritas als Servicestelle für pfarrliche und sozialräumliche Caritasarbeit
Nachfolge Jesu braucht sowohl das Loslassen liebgewordener kirchlicher Identitäten als auch das mutige Annehmen von mühevollen Herausforderungen in der Gegenwart („Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.“ Mk 8,34). Die Wahrnehmung und Umsetzung des karitativen Auftrages von Kirche ist vielleicht jene Herausforderung der Gegenwart oder, theologisch gesprochen, der Zeichen der Zeit[3], die es zu erkennen gilt. Jetzt ist das entschlossene Anpacken von Aufgaben, die sich aus dem derzeitigen Wandel in Kirche(n) und Gesellschaft ergeben, gefragt.
Das neue Strategiepapier Pfarr- und RegionalCaritas in Österreich formuliert entsprechend: „Die Pfarr- und RegionalCaritas als diözesane Service- und Projektstelle für pfarrliche und sozialräumliche Caritasarbeit unterstützt Pfarren, Gemeinden und kirchliche Orte wie Ordens- und Bildungshäuser, christliche Gemeinschaften und Bewegungen sowie sozial engagierte Personen in deren Wahrnehmen der christlichen Grunddimension Diakonie. Die Nöte, Bedürfnisse und Hoffnungen der Menschen sind die Grundlage des gemeindediakonischen Auftrages.“[4]
Die Regional- und PfarrCaritas in Österreich versteht sich also als eine Unterstützung und Begleitung von kirchlichen Orten für die Umsetzung eines unverzichtbaren kirchlichen Auftrages, nämlich des Dienstes im Kontext notleidender und bedürftiger Menschen. In den Blick genommen werden alle Menschen innerhalb eines Sozialraumes, in dem Pfarren und kirchliche Orte wichtige Gesellschaft transformierende Akteure sind.
Karitatives Engagement ist der Ort, an dem Menschen Gott … am einfachsten und eindrücklichsten … begegnen können.
Bewusstsein für die Zentralität des diakonischen Auftrages
Um die gegenwärtigen pastoralen Chancen zu nutzen, braucht es Pfarren und kirchliche Orte, an denen Menschen ein Bewusstsein für die Zentralität des diakonischen Auftrages haben und die bereit sind, sich zu engagieren. Karitatives Engagement ist gelebte Nachfolge Jesu. Nächstenliebe und -hilfe ist das zentrale Vermächtnis Jesu[5], das sich an die ganze Kirche und alle ihrer Glieder richtet und ist nicht das private Hobby einiger weniger. Eine Beobachtung in den Weiterbildungen der PfarrCaritas ist oft, dass sich dies noch nicht in allen kirchlichen Kreisen herumgesprochen hat.
Aufgabe der Servicestelle PfarrCaritas ist in diesem Kontext die Begleitung, Koordination und Unterstützung der vielen ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen in den Pfarren, Schaffung gezielter Weiterbildungsmöglichkeiten, die Moderation sozialräumlicher Initiativen und vieles mehr.
Die PfarrCaritas unterstützt mit ihren Angeboten gerade auch dort, wo Pfarren ihren diakonischen Auftrag im Sozialraum wahrnehmen. Die Angebote der PfarrCaritas umfassen neben den Klimaoasen u.a. auch Wärmestuben, Hilfe für Ukrainer*innen, Spendensammlungen, Weiterbildungen für pfarrliche Ehrenamtliche sowie Vernetzungsmöglichkeiten oder auch Begegnungsorte wie das offene Wohnzimmer in Wr. Neustadt.
Karitatives Engagement als Zeichen ökumenischer Verbundenheit
Und worin liegt aktuell die Chance für die Kirche(n) in ihrer Gesamtheit? Karitatives Engagement ist womöglich der Ort, an dem Menschen Gott, der sich aus Liebe den Menschen zugewendet hat, am einfachsten und eindrücklichsten und über konfessionelle Grenzen hinweg begegnen können. Der diakonische Auftrag verbindet alle Christ*innen schon jetzt.
[i] Vgl. Apg 2,42-47; vgl. Benedikt XVI. Deus Caritas est. Abschn. 25.; Zum Teil findet sich Gemeinschaft (Koinonia) als zusätzlicher vierter Grundauftrag. Vgl. https://www.martinus.at/dl/qNuOJKJNoLmJqx4KJK/Aufgaben_der_Kirche_pdf
[ii] Aus dem Leitbild der Caritas Wien: „Gott sagt ‚Ja‘ zu jedem Menschen. Er liebt ihn wie seine ganze Schöpfung. Gott hat sich von Anfang an als der gezeigt, der die Menschen befreit. Wir glauben, dass auch unser eigenes Handeln diese befreiende Liebe Gottes sichtbar machen kann.“ https://www.caritas-wien.at/ueber-uns/ueber-die-caritas-wien/unser-auftrag/leitbild (09.09.2024)
[3] Vgl. Lk 12,54 ff.
[4] Zit. n. https://www.caritas-wien.at/hilfe-angebote/zusammenleben/pfarrcaritas-und-naechstenhilfe/ (09.09.2024)
[5] Vgl. Mt 25,34-36
Beitragsbild: Frank Sauer