Feministische Theologie und die Auseinandersetzung mit Gender-Studies müssen sich in ganz unterschiedlichen Kontexten immer neu Gehör verschaffen. Mario Trifunovic berichtet über die kroatische Franziskanerin Sr. Rebeka Anić.
Am frühen Nachmittag des 21. November 2018 warten Professoren und StudentInnen der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen gespannt auf den Vortrag der Franziskanerin Dr. Jadranka Sr. Rebeka Anić. Eingeflogen aus Split, an der dalmatinischen Küste Kroatiens, soll die in kroatischen konservativen Kreisen umstrittene feministische Theologin einen Vortrag zur Anti-Gender Bewegung am Beispiel Kroatiens halten. Im deutschsprachigen Raum ist die Gender-Thematik schon lange nichts Außergewöhnliches mehr, im kroatischen aber hochexplosiv.
Gender-Thematik: im kroatischen Raum hochexplosiv
Denn für die meisten Bischöfe Kroatiens ist diese Thematik eine Ideologie, die zur Bekämpfung von traditionellen Werten dient. Besonders die Ehe zwischen Mann und Frau sowie die Familie sieht man gefährdet. Für den Feminismus und dessen Theorien zur Gleichstellung und Gleichberechtigung hat man ebenfalls wenig übrig.
Herzensanliegen: die Gleichstellung der Frau
Zwischen Mittagessen und Vortrag konnte ich die Gelegenheit nutzen, um mit der Ordensschwester und Expertin für Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu sprechen. Rebeka Anić ist Franziskanerin und Theologin. Eigentlich wollte sie Kunst studieren, denn die Malerei war, wie sie selbst sagt, ihre „erste große Liebe“. Doch dann kam ganz plötzlich die Theologie ins Spiel. Sie erinnert sich an ein Ereignis aus ihrer Schulzeit während des Kommunismus, das zum Wendepunkt in ihrem Leben wurde. Der Geschichtslehrer hatte skandalös über Jesus gesprochen, erzählt sie, was ihr gar nicht gefiel. Schon damals stand sie unerschrocken und impulsiv auf und protestierte gegen den Lehrer. Doch sie stieß schnell an ihre Grenzen. Auch wenn sie diesen, wie sie ihn nennt, „Zweikampf“, mit dem damaligen Lehrer nicht für sich entscheiden konnte, nahm sie dennoch etwas für ihr Leben mit: den Berufswunsch. Andere Kinder träumten von Astronauten, der NASA, space shuttles, oder auch vom Beruf des Arztes, sie aber wollte nur eines: Theologie studieren.
Rebeka Anić: schon früh unerschrocken
Unter anderem erinnert sich die Theologin an das Jahr 1979. Trotz des massiven Widerstands ihrer Eltern, trat sie ins Kloster ein. Sichtlich berührt spricht sie von diesen Ereignissen, scherzt dann aber über ihre Künstlerkarriere. „Malerin kann ich immer noch werden, wenn ich in den Ruhestand trete.“ Dass es bis dahin noch ein steiniger Weg wird, ist sie sich bewusst.
Auf die Frage nach ihrem Herzensanliegen, antwortet sie prompt mit der Gleichstellung von Frauen und erzählt von den Konflikten in ihrem Heimatland. „Es eskalierte,“ beschreibt sie eine Situation und berichtet von der schweren Zeit an der katholischen Fakultät in Split. Ein Theologieprofessor forderte den Entzug des Lehrauftrags aufgrund ihrer feministischen Thesen, die zur Gleichstellung und Gleichbehandlung der Frau beigetragen hatten.
„Es war unmöglich unter diesen Bedingungen zu arbeiten.“
Der Konflikt zog sich weiter, besonders nach Veröffentlichung ihres Buches Kako razumjeti rod? (dt. Wie ist Gender zu verstehen?). Der wissenschaftliche Ausschuss der katholischen Fakultät in Split prüfte das Buch und kam letztendlich zum Entschluss, dass es keine dogmatischen und moralischen Irrtümer enthalte. Den Lehrauftrag legte sie trotzdem nieder. „Es war unmöglich unter diesen Bedingungen zu arbeiten“, erklärt die feministische Theologin.
Frauen im frühen Christentum
Heute arbeitet Rebeka Anić am Institut für Sozialwissenschaften Ivo Pilar in Split und schreibt wissenschaftliche Artikel und Bücher; zuletzt ein Buch über Maria Magdalena, gemeinsam mit Irena Sever Globan, die für die Kulturanalyse im Buch zuständig war. Zur Zeit des Gesprächs kam das Buch gerade frisch aus dem Druck, weswegen ich gleich zum Thema der Frau in der Kirche übergegangen bin. Auf die Frage nach der Rolle der Frau im frühen Christentum, greift sie Paulus auf: „In seinen Briefen bezeichnet er Frauen als seine ‚Mitarbeiter in Christus Jesus‘, die am Aufbau der Gemeinden mitgearbeitet haben.“ Weiterhin erwähnt sie Lidia, die am Beginn des Christentums in Europa eine Hauskirche leitete, ebenso Martha, deren Glaubensbekenntnis laut der Theologin gleich, wenn nicht sogar stärker war als das des Petrus. „Heute ist uns Marta allerdings nur als Hausfrau bekannt,“ erklärt sie.
Die Macht des Diskurses
Von Lidia, Martha und anderen Frauen im frühen Christentum, führt der Blick zu Maria Magdalena. Ich will wissen, wie sehr die Geschichte dieser Maria ein Paradigma ist, wenn wir heute über die Marginalisierung der Frau in der Kirche reden. „An ihrer Person kann man die Macht des Diskurses sehen bzw. wie bestimmte Auslegungen verdrängt und andere in den Vordergrund gestellt werden,“ erklärt die Theologin. „Die synoptischen Evangelien berichten, dass Maria aus Magdala und andere Frauen, in den Momenten von Jesu Leid und Tod mit ihm waren und nicht wie die männlichen Jünger geflohen sind,“ erzählt sie weiter. „Sie haben ihr Leben riskiert, denn die Römer haben nicht nur Aufständische bestraft, sondern auch ihre Sympathisanten verfolgt; Frauen wurden zu der Zeit auch gekreuzigt.“
Erst später kam es während des ersten Jahrhunderts zu verschiedenen Auslegungen. Die Theologin nennt zum einen Hippolyt, der Frauen noch Apostelinnen nennt, während Ambrosius eine ganz andere Sprache spricht. „Er [Ambrosius] verneint zwar nicht, dass Maria aus Magdala den Jüngern von der Auferstehung erzählte, meint aber, dass für die Verkündigung eine Standhaftigkeit nötig sei, die das ‚schwache Geschlecht‘ der Frau nicht hat,“ erklärt sie und fügt gleich hinzu: „Im Neuen Testament aber auch in der gesamten Heiligen Schrift, ist nirgendwo vom ‚schwachen Geschlecht‘ die Rede.“
Maria Magdalena – Auslegungsgeschichte als Diskriminierungsgeschichte
Und Maria Magdalena? War sie den nun eine Prostituierte oder Heilige? Auf diese Frage antwortet die Ordensschwester so: „Mit Papst Gregor dem Großen kommt es zu einer Verschmelzung von Maria Magdalena mit zwei anderen neutestamentlichen Frauen: der namenlosen Sünderin, die Jesu Füße wäscht und Maria aus Betanien, der Schwester von Martha und Lazarus. Sie ist von nun an nicht mehr die Apostelin und Jüngerin, sondern eine große Sünderin, der viel vergeben wurde aufgrund ihrer Bereitschaft zur Umkehr. Sie diente vor allem für seelsorgliche Zwecke als Beispiel einer großen Sünderin, die umkehrwillig war. Während der Geschichte kommt es zu weiteren Verschmelzungen mit anderen weiblichen neutestamentlichen Personen, beispielsweise der namenlosen Frau, die des Ehebruchs bezichtigt war.“
Neues wagen
Für die kroatische Theologin hat eine solche Auslegung von neutestamentlichen Texten erheblich zur Diskriminierung der Frau beigetragen. Dazu gehört auch die Kirchenpraxis durch die Geschichte hinweg. Auch wenn die katholische Kirche gegenüber feministischen Theologinnen skeptisch ist und zahlreiche (katholische) Autorinnen wie beispielsweise Dale O’Leary hinter der Gender-Thematik einen Komplott von Gender-Feministinnen sehen, ist für die Theologin Rebeka Anić eines vollkommen klar: „Gott ruft uns immer wieder auf, Neues zu wagen.“
Gegen Ende ihres Vortrags zur Gender-Thematik an der theologischen Fakultät Sankt Georgen zieht die Ordensschwester und Theologin ein Fazit: „Mit Regina Ammicht Quinn plädiere ich dafür, dass die Verunsicherung, die durch die Gender-Thematik ausgelöst wurde, als eine Chance in der Kirche wahrgenommen wird. Die Verunsicherung bedeutet nicht, dass alles, was Menschen wertvoll ist, negiert wird oder abgeschafft werden soll.
Verunsicherung durch die Gender-Thematik als Chance sehen!
Vielmehr kann es eine Herausforderung sein, die Würde eines jeden Menschen ganz anzuerkennen und somit gerechte gesellschaftliche und kirchliche Strukturen zu erschaffen, welche die Würde schützen und ermöglichen, dass sie sich in Gemeinschaft mit anderen entfaltet. Viele theologische Aufsätze deuten bereits darauf hin, sodass nur die Frage bleibt, wann etwas davon in kirchliche Dokumente und die Gesetzgebung einfließt.“
„Point of no Return“
Theologinnen aus den verschiedensten Disziplinen der Dogmatik, Fundamentaltheologie oder der Bibelwissenschaft haben bereits genügend wissenschaftlich-fundierte Argumente für Veränderungen vorgelegt. Dennoch fehlt, so die Kroatin, der Reformwille, ebenso die Freiheit in der Kirche zu leben und sich einzubringen, sich zu engagieren. Über Themen zur Rolle der Frau in der Kirche, den Zölibat oder das Frauenpriestertum ist es nicht immer einfach zu sprechen, sagt sie, und hofft auf einen Richtungswechsel, besonders in ihrem Heimatland. In Deutschland ist der Stein schon seit geraumer Zeit ins Rollen gekommen, in Kroatien aber sind die bereits genannten Fragen und Reformen noch immer ein Tabu.
Tabu und Tabubruch – in Kroatien und in Deutschland
Ein halbes Jahr später blicken wir zurück auf den Vortrag an der Theologischen Hochschule Sankt Georgen. Fast zeitgleich sorgte im vergangenen Herbst das Ausbleiben des nihil obstat für Rektor Dr. Ansgar Wucherpfennig für Furore. Ähnliche Erlebnisse machte auch Rebeka Anić während ihrer Zeit an der katholischen Fakultät in Split. Was wir daraus lernen können? Die von der Ordensschwester genannte Freiheit, sich offen in der Kirche zu engagieren und über viele strittige Fragen zu diskutieren, ist und bleibt noch immer, besonders in ihrem Heimatland, ein Abenteuer. Nach der MHG-Studie und der Causa Wucherpfennig ist die Kirche, wie Wucherpfennig in einem Interview mit katholisch.de sagte, an einem „Point of no Return“ angekommen. Es muss offen diskutiert werden, ohne Tabus und ohne Angst. Dass Wucherpfennig sich nicht einschüchtern ließ, konnte jeder mitverfolgen, vor allem auch mit Hinblick auf den offenen Brief von neun Theologinnen und Theologen an Kardinal Reinhard Marx. Auch Rebeka Anić ließ sich nicht verdrängen und fordert: „Gottes Reichtum soll fruchtbar und in den Dienst der Menschen gestellt werden.“
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Mario Trifunovic studiert Katholische Theologie in Frankfurt, St. Georgen; er stammt wie Sr. Rebeka Anić aus Kroatien. Bild: Mario Trifunovic.