Am 15. August feiert die katholische Kirche das Fest der Aufnahme Mariens in den Himmel. Schwester Irene Gassmann, Priorin des Klosters Fahr, das mit dem Kloster Einsiedeln ein Doppelkloster bildet, reflektiert aus diesem Anlass ihre Marienfrömmigkeit und jene ihrer Klostergemeinschaft, der auch die Schriftstellerin und Dichterin Silja Walter als Schwester Maria Hedwig (1919 – 2011) angehörte.
Massvoll, biblisch und geerdet – so leben wir Schwestern im Kloster Fahr heute marianische Spiritualität. In der Benediktsregel, unserem spirituellen Handbuch, sucht man vergeblich nach Hinweisen zur Marienverehrung. Die Marienfrömmigkeit ist erst im Mittelalter in Mode gekommen und färbte allmählich ab in die monastische Liturgie.
Wir grüssen dich, Königin des Alls, Maria! – Salve Regina
Täglich grüssen wir Schwestern nach der Vesper Maria mit dem «Einsiedler Salve Regina». Diese Tradition verbindet uns Frauen im Fahr mit unseren Mitbrüdern im Kloster Einsiedeln. Die Salve-Kapelle im Kloster Fahr befindet sich in der Klausur und ist nicht öffentlich zugänglich. Es ist ein mystischer Kraftort. Unsere Madonna – eine Kopie der barocken Einsiedler-Muttergottes – hat eine grosse Ausstrahlungskraft. Sie trägt kein Gewand mit Gold-Brokatstoff, sondern ein schlichtes Kleid, welches der Künstler mit braunroter Farbe auf die Holzfigur malte.
Sie wirkt dynamisch, kraftvoll, nahbar und verkörpert, wie Silja Walter es in einem Bild-Wort verdichtet: «Sterngleiche Demut».
Ich liebe diesen Ort mit unserer Madonna. Seit meinem Eintritt ins Kloster, vor bald vierzig Jahren, zieht es mich morgens und abends für ein kurzes stilles Gebet in diese Kapelle. Maria, diese starke, mutige und gleichzeitig milde Frau, ist für mich eine wahre Schwester im Glauben geworden. Maria kennt das Leben mit all seinen Facetten, die Freude und Hoffnung, den Schmerz, die Angst und Trauer der Menschen. Nichts ist ihr fremd. Hier an diesem verborgenen Ort im Kloster hat sich meine Marienverehrung entwickelt und emanzipiert. In unserer Salve-Kapelle kommt Maria auf mich zu. Wir begegnen einander auf Augenhöhe. Maria nimmt mich mit auf den Weg des Glaubens.
Wir sind Freundinnen geworden. Frauen in der Nachfolge Jesu, die ihre Lebens- und Glaubenserfahrungen teilen.
Wesentlich zu meiner Entwicklung der Marienverehrung haben die marianischen Texte meiner Mitschwester Silja Walter beigetragen. Im Churer Marienbuch (Gesamtausgabe, Band 8) schenkt uns Silja Walter einen wertvollen Marien-Zyklus. Wie eine Bild-Restauratorin löst Silja Walter die übertünchten und verstaubten Schichten der Marienfrömmigkeit und hilft das ursprüngliche Marienbild wieder zu entdecken und für die heutige Zeit lesbar zu machen. Diese lyrischen Meditationen sind für mein spirituelles Wachsen eine wertvolle Fundgrube. So teile ich im Folgenden eine Auswahl dieser Texte.
Wie entstellt
sehen wir dich in den Bildern
der Welt,
Maria
in matten
Farben
schattenhaft nur
Kontur
Brich
die Wand von innen her auf
tritt heraus
sprich
offen zu uns
Maria
lass dich
in deinem wahren
Wesen erfahren
Freudenreich
schmerzvoll glückselig
bist du im Glauben deinen langen Weg
durch das Dunkel Gottes gegangen
Schritt um Schritt
und du nahmst uns immer schon mit
Warten wir
sie wird aus den verwitterten
Fresken
ausbrechen
heraustreten und
zu uns sprechen
dann wissen wir, wer sie ist und ihr Kind
wer wir sind.
Amen.
Es singt in mir – Magnificat
Das Lob Gottes ist unsere erste Aufgabe als Benediktinerinnen. «Dem Gottesdienst soll nichts vorgezogen werden.» (Benediktsregel, Kapitel 43) So schreibt Benedikt in seiner Regel. Fünfmal täglich versammeln wir Schwestern uns in der Klosterkirche für das gemeinsame Stundengebet. An Festtagen erklingt in der Vesper der Lobgesang Mariens (vgl. Lk 1,46-55). Das Magnificat in der Übertragung von Silja Walter und vertont von Barbara Kolberg, gehört zu meinem Lieblingsgesängen:
Es singt in mir
mein Herz zu dir,
mein Gott, ich muss dich preisen.
Du hast auf deine Magd gesehn.
Was du gesagt hast, ist geschehn
nach deinem heil’gen Willen.
Es singt in mir
mein Herz zu dir,
mein Gott, ich muss dich preisen.
Die Stolzen fegst du weg vom Thron.
Den Armen schenkst du Lieb und Lohn,
die ihren Hunger stillen.
Maria ist ganz Ohr und Auge für Gott. Und so fängt es in ihrem Herz an zu singen. Sie muss Gott preisen. In diesem Lobgesang wächst Maria über sich heraus und besingt prophetisch Gottes Gerechtigkeit:
«Die Stolzen fegst du weg vom Thron. Den Armen schenkst du Lieb und Lohn».
Das sind keine frömmlerischen Worte. Es sind mutige Sätze aus dem Mund einer gläubigen Frau. Ja, Maria ist eine zutiefst gottverbundene Frau.
Perlen wie Sterne – Rosenkranz
Das Rosenkranzgebet ist durch den heiligen Dominikus zu Beginn des 13. Jahrhunderts entstanden und verbreitet worden. Heute beten wir Schwestern im Fahr den Rosenkranz alleine und nicht mehr gemeinschaftlich wie in früheren Jahren. Diese meditative Gebetsform, mit dem Abzählen der Perlen in der Hand führt in die Sammlung und Stille. Ich persönlich bete gerne beim Gehen im Garten oder der Limmat entlang betrachtend das eine oder andere Geheimnis des Rosenkranzes.
Du trägst ja meinen Rosenkranz in deinem schwarzen Haar.
Perlen wie Sterne,
ich bete ihn gerne,
denn was sie bedeuten, man sieht,
es geschieht
und ist wahr.
Du trägst die weissen, roten und die gelben Geheimnisse
tief innen.
Ich muss sie beim Zählen besinnen
und im Herzen bewahren
wie du.
Dann kann ich erfahren
und sehn:
sie geschehn
immerzu
weiter auf Erden.
Ora pro nobis– Fürbitterin
Maria sieht die Not der Menschen und fühlt mit ihnen. Ein wunderbares Zeugnis für ihr Mitgefühl ist die Szene bei der Hochzeit in Kana. (vgl. Joh 2,1-12)
Da steht sie
wie nicht da,
kaum mehr ein Umriss,
hinter dem Tisch, dem Altar,
und spricht
zu Jesus:
Sie haben keinen Wein mehr.
Zu uns:
Tut, was er euch sagt.
Und schon verblasst
ihre Gestalt wieder und steht
wie nicht da,
hinter dem Tisch, dem Altar,
im Hochzeitssaal Kirche!
Maria erkennt den Mangel an Wein. Diskret wendet sie sich an ihren Sohn. Gleichzeitig nimmt sie die Diener in Pflicht: «Tut, was er euch sagt.» Das ist wahre Mütterlichkeit. Sie versorgt nicht bloss, sondern fördert und fordert die ihr Anvertrauten. Wenn ich Maria als Fürbitterin anrufe, dann bin auch ich aufgefordert, zu hören, was mein Auftrag ist.
Ora pro nobis
Gestalt geworden hoch über
dem Thron und der
Krone
der eigenen Hoheit.
Da trat sie heraus
aus dem Herrlichkeitsraum
ihrer Krönung.
Kronenlos
kniet sie sich hin,
kleine Magd, Mädchen, Mutter,
Maria,
Fürbitterin.
Unter dem Saum ihres Tuches
ein Gesicht,
ein Mund, Augen und Hände,
die uns hineintragen
in Gottes Erbarmen.
Unsere Madonna in der Fahrer-Salve-Kapelle trägt eine Krone. Diese Krone gehört ihr. Ich kann ihr – der gekrönten Maria – auf Augenhöhe begegnen. Ich bin froh, dass Maria bei uns im Fahr einen Ort hat und uns Schwestern erwartet, wenn wir von der Vesper kommen, oder auch tagsüber. Immer ist sie da und trägt uns hinein in Gottes Erbarmen! Die biblische Maria stellt sich nicht in den Vordergrund, sie versteckt sich jedoch auch nicht hinter der Bühne des Geschehens. Sie ist ganz da für Gott und die Menschen: «Sterngleiche Demut».
Alle Zitate aus: Silja Walter, Lyrik. Gesamtausgabe Band 8, Paulusverlag, Freiburg Schweiz 2003; mit freundlicher Genehmigung der Verlag Herder GmbH, Freiburg i. Breisgau.
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Sr. Irene Gassmann OSB, geboren 1965, trat 1986 in das Benediktinerinnenkloster Fahr bei Zürich ein. Sie ist Fachlehrerin «Hauswirtschaft» und Erwachsenenbildnerin und leitete von 1993 bis 2003 die klostereigene Bäuerinnenschule. Seit 2003 ist sie Priorin der Gemeinschaft im Fahr. Priorin Irene ist Mit-Initiantin vom «Gebet am Donnerstag» und der «Junia-Initiative».
(c) Bild: Kloster Fahr