Die Öffentlichkeit war einst Leitkonzept und Verheißungsmotiv der Aufklärung. Besonders in den neuen Medien scheint die Öffentlichkeit jedoch vergiftet. Das Material der Aufklärung ist ermüdet. Ist sie deshalb aber auch gescheitert? Martin Dürnberger macht neugierig auf das Thema der diesjährigen Salzburger Hochschulwoche.
„Pöbeleien und Ausfälle gibt es auch im echten Leben. Aber der bevorzugte Ort des Hasses ist das Internet. Nirgendwo sonst wird in solcher Deutlichkeit gemobbt, geätzt, niedergemacht. … Das Netz produziert keine schlechteren Menschen. Und doch ist es bestenfalls die halbe Wahrheit. Denn das Netz trägt mit seiner Struktur durchaus zur großen Vergiftung bei.“[1] Was die ZEIT 2013 über den Hass im Netz zusammenträgt, ist mehr als eine Sammlung biographisch belastender Einzelepisoden. Es ist zeitdiagnostisch brisant: Zwar mögen die Berichte vom endgültigen Kollaps der Aufklärung und ihres emanzipatorischen Erbes verfrüht sein, aber der Verdacht auf Verschleißerscheinungen in tragenden Strukturen lässt sich kaum von der Hand weisen.
Ein toxisches Gemisch aus post-fact-policies, hate speech und filter bubbles greift die Ideale von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit an und frisst sich in die Infrastruktur der Demokratie.
Eine solche Materialermüdung betrifft den Topos der Öffentlichkeit: Einst Leitkonzept und Verheißungsmotiv der Großtheoretiker der Moderne, scheint Öffentlichkeit nicht nur in den neuen, den sog. sozialen Medien vielfach vergiftet. Ein toxisches Gemisch aus post-fact-policies, hate speech und filter bubbles (weitere englische Labels ließen sich anführen) greift die Ideale von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit an und frisst sich in die Infrastruktur der Demokratie. Das legt mehrere Fragen nahe: Was hat dich bloß so ruiniert?[2] Aber auch: Was heißt das für Theologie, Glaube, Kirche?
Am Beginn tut ideengeschichtliche Anamnese not. Aufklärung, so hatte Kant konstatiert, erfordert nichts anderes als „von seiner Vernunft in allen Stücken öffentlichen Gebrauch zu machen. … der öffentliche Gebrauch seiner Vernunft muß jederzeit frei sein, und der allein kann Aufklärung unter Menschen zu Stande bringen“.[3] Vernunft und Öffentlichkeit sind als normativ kommunizierende Gefäße konzipiert, gerade darin liegt ihr Humanitätsversprechen: Im freien Austausch der Gründe und Gegengründe wird sich das bessere Argument durchsetzen – oder zumindest das schlimmste verhindert.
Die kleinste Münze der Öffentlichkeit ist eben nicht das Argument, sondern die Aufmerksamkeit
Das vielzitierte Forum der Vernunft ist eben tatsächlich dies: ein Forum – kein Vor- und Hinterzimmer absolutistischer Herrscher, sondern Ort des öffentlichen Austauschs. Das emanzipatorische Moment dieser Konzeption liegt auf der Hand. Gerade emanzipationsorientierte Philosophien notieren mit Blick auf realgeschichtliche Entwicklungen aber auch Kippeffekte und Ernüchterungsschübe, gerade in den Geschichtskatastrophen des 20. Jahrhunderts. Die Analysen von Horkheimer und Adorno zur Kulturindustrie sind einschlägig,[4] aber auch Habermas, der deren Defätismus bekanntlich nicht teilt, konstatiert nüchtern „eine Medienmacht, die, manipulativ eingesetzt, dem [normativen] Prinzip der Publizität seine Unschuld raubte.“[5] Die kleinste Münze der Öffentlichkeit ist eben nicht das Argument, sondern die Aufmerksamkeit: der Schau- und Klickwert, in Geldwert konvertibel.
Neue Medien partizipieren an aufklärerischen Verheißungen des Öffentlichkeitsmotivs.
Das medientheoretische Reflexivwerden der Moderne vollzieht sich in anderer Weise auch in jenen Entwicklungen, die unter den Labels Digitalisierung, social media u.a. verhandelt werden. Dabei erfüllen gerade die Neuen Medien ein altes Desiderat: Beklagten Horkheimer und Adorno noch das inhärent autoritäre Moment von Radio und TV bzw. das Fehlen einer „Apparatur der Replik“[6], so liefert das Internet endlich genau dies: Im Netz kann jeder eigene Positionen artikulieren, Missstände kritisieren, Widerstand organisieren – und diejenige erhält eine Stimme, der Präsenz in klassischen Massenmedien verwehrt ist.
Neue Medien partizipieren so an aufklärerischen Verheißungen des Öffentlichkeitsmotivs: Sie ermöglichen AutorInnenschaft, Diskurs, Partizipation, sie transzendieren nationale Grenzen und Zeitzonen – in ihnen scheint nun doch irgendwie jene Weltinfrastruktur der Vernunft antizipiert, die eine formal auf Universalität hin angelegte kommunikative Rationalität fordert.
Aber auch dieses Versprechen ist kontaminiert: Öffentlichkeiten der Neuen Medien erweisen sich keineswegs als space of reasons.
Aber auch hier schlagen erbarmungslos Kippeffekte durch, auch dieses Versprechen ist kontaminiert: Öffentlichkeiten der Neuen Medien, so die Erfahrung der digital reflexiven Moderne, erweisen sich keineswegs als allgemein zugänglicher, sich egalitär organisierender space of reasons (Sellars). Weltöffentlichkeit, so Thomas Assheuer pointiert, ist zwar „unser Alltag. Aber ihr Gemeinsames ist nicht die ‚Vernunft‘, es ist der Irrsinn. Es ist nicht Verständigung, sondern die Infamie“[7] – und sie hat tausend Gesichter: von Verschwörungstheorien und Empörungsexzessen über alternative facts-Behauptung-en, die populistische Kontaminierung von Glaubwürdigkeitsstrukturen[8] und subtile silencing-Mechanismen bis hin zu Vergewaltigungsdrohungen und Hinrichtungsvideos. Freilich, all das ist schwerlich in einheitliche Schemata zu systematisieren, weil die Phänomene heterogen und vor allem nicht freischwebend sind: Es ist eine offene Frage, wie genau aktuelle Vergiftungserscheinungen in Öffentlichkeiten auf unterschiedlichen Niveaus mit identity politics, ökonomischen Unsicherheiten, Inszenierungstechniken des Selbst u.a.m. korrelieren.
Eine Versuchung besteht darin, aus dem toxikologischen Erstbefund bereits den Exitus abzuleiten, das finale Scheitern der Aufklärung.
Nicht zuletzt deshalb ist es keine leichte Übung, sich theologisch zu den skizzierten Ambivalenzen zu verhalten: Das Gelände ist noch zu unruhig und mit zu vielen anderen Symptomlagen verwoben. Zumindest einige Versuchungen scheinen evident, sie gelten auch für diesen Beitrag selbst. Eine erste ist das aktionistische Hantieren mit Schablonen suggerierter Souveränität – Kirche muss hier, Theologie darf nicht, Glaube hat hier…. Selbst wer nicht offenkundig ins moralisch Appellative verfällt, gerät nicht selten unters Regime der Modalverben – und in die Gefahr, mit prophetischem Gestus und spe-kulativem Blingbling Durchblick zu signalisieren, wo nüchtern Nichtwissen zu markieren wäre: Noch ist der Hang in Rutschung, was das für Kirche, Theologie und Glaube oder gar Gesellschaften bedeuten wird – who knows?
Eine zweite Versuchung besteht darin, aus dem toxikologischen Erstbefund bereits den Exitus abzuleiten, das finale Scheitern der Aufklärung: Das Konzept kritischer Öffentlichkeit funktioniert nicht, es ist obsolet, freier Diskurs ist eine Fiktion. Entsprechend kann er dann auch nicht als Korrektiv für innerkirchliche Abläufe dienen und auch die kritisch solidarische Zeitgenossenschaft[9] mit Zivilgesellschaft und Moderne ist aufzukündigen – eine Allianz mit repräsentativ verkürzten Öffentlichkeitskonzepten populistischen Zuschnitts läge auf der Hand.
Nicht an der Menschheit zu verzweifeln… genau das ist eine genuine Frage des Glaubens.
So komplex Fragen der Anamnese, Diagnose, Medikation und Therapie im Detail sind, vielleicht liegt genau in dieser doppelten Versuchung eine zentrale Herausforderung (nicht nur) für die Kirche: Im scharfen Bewusstsein dysfunktionaler Momente, im nüchternen Wissen auch um innerkirchliche Defizite sowie ohne Patentrezepte am Ideal einer kritischen Öffentlichkeit festzuhalten – und dem Defätismus nicht nachzugeben. Das hieße freilich nichts anderes, als nicht an der Menschheit zu verzweifeln. Aber genau das ist bekanntlich eine genuine Frage des Glaubens.
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Martin Dürnberger ist Assistenzprofessor für Fundamentaltheologie und Ökumenische Theologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Salzburg. Er ist Obmann der Salzburger Hochschulwochen.
Mediale und nicht-mediale ÖFFENTLICHKEIT ist das Thema der diesjährigen Salzburger Hochschulwoche (31.07.–06.08.2017)
Weitere Infos unter:
http://www.salzburger-hochschulwochen.at/
https://www.facebook.com/SalzburgerHochschulwochen/
Programm 2017:
Online: http://www.salzburger-hochschulwochen.at/programm/uebersicht/
Als Pdf: https://www.sbg.ac.at/syt/news/2017-SHW-Broschuere.pdf
[1] Pauer, Nina/Pham, Khuê/Wefing, Heinrich, Die große Vergiftung, auf: http://www.zeit.de/2013/21/internet-teilhabe-debattenkultur/komplettansicht]
[2] Vgl. Die Sterne, Was hat Dich bloß so ruiniert?, Album ‚Posen’ (1996). https://www.youtube.com/watch?v=_fkdSPz5nvQ
[3] Kant, Immanuel, Beantwortung der Frage: Was heißt Aufklärung?, in: ders., Werkausgabe, Band 9, hg. von Wilhelm Weischedel, Darmstadt 1971, A484-485.
[4] Horkheimer, Max/Adorno, Theodor W., Kulturindustrie. Aufklärung als Massenbetrug, in: Adorno, Theodor W., Gesammelte Schriften, hg. von Rolf Tiedemann (Band 3), Darmstadt 1998, 141-183.
[5] Habermas, Jürgen, Strukturwandel der Öffentlichkeit, Frankfurt am Main 1990, 28.
[6] Horkheimer/Adorno, Kulturindustrie, 143.
[7] Assheuer, Thomas, Der Gott des Gemetzels, auf: http://www.zeit.de/2012/40/Weltbuergerkrieg-Religion-Mohammed/komplettansicht]
[8] “If everybody always lies to you, the consequence is not that you believe the lies, but rather that nobody believes anything any longer. … And a people that no longer can believe anything cannot make up its mind. It is deprived not only of its capacity to act but also of its capacity to think and to judge. And with such a people you can then do what you please.“ (Hannah Arendt im Interview mit Roger Errera 1974, auf: http://www.nybooks.com/articles/1978/10/26/hannah-arendt-from-an-interview/)
[9] Vgl. Kreutzer, Ansgar, Kritische Zeitgenossenschaft. Die Pastoralkonstitution Gaudium et spes modernisierungstheoretisch gedeutet und systematisch-theologisch entfaltet (Innsbrucker Theologische Studien 75), Innsbruck/Wien 2006.
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