Über die aller Orten unterschiedlichen Bezeichnungen bei Gemeindezusammenlegungen wundert und ärgert sich Pastoralreferent Konstantin Bischoff, München.
Jeden Tag in Deutschland. Ein mehr oder weniger junger Katholik, der schon länger nichts mehr mit seiner Kirche zu tun hatte, sucht Kontakt mit der Kirche. Er will heiraten, sein Kind taufen, eine Patenbescheinigung erhalten oder vielleicht auch ein Gespräch in einer schwierigen Lebenssituation führen. Noch vor weniger Jahren konnte er sich beinahe sicher sein, dass er neben dem nächsten Kirchturm seine zuständige Pfarrgemeinde oder Pfarrei finden und ihm dort in einem Pfarrbüro geholfen werden kann.
Freunde der Wortakrobatik
Heute ist das nicht mehr so klar, denn nicht nur, dass es an vielen Orten kein Büro mehr gibt, auch die Bezeichnungen, die durch den Strukturwandel entstanden sind, lassen alle außer bestens vernetzte Profikatholiken oder Freunde der Wortakrobatik meist ratlos zurück. Oder woher soll man wissen, was ein PV, eine PG oder eine GdG ist und dass das auch Kirche ist? Die Situation ist eigentlich überall die gleiche: Priester, Seelsorger, Kirchbesucher, Geld: Alles wird weniger. Zusammenlegen ist das Zauberwort. Und hier macht jeder Bischof, was er will.
In München müssen sich die Gläubigen daran gewöhnen, dass die Nachbarkirchtürme jetzt zum gleichen Pfarrverband (PV) gehören, vielleicht soll der Wortbestandteil Verband zeigen, dass bei Fusionen immer auch Verletzungen entstehen, die es zu versorgen und zu heilen gilt. Rund um Augsburg hält man institutionelle Koinonia in Pfarreigemeinschaften (PG) hoch. Angst vor zusammengesetzten Substantiven hatten die Aachener, als sie sie das Wortungetüm der Gemeinschaft der Gemeinden erfanden. Diese GdGs sollen wohl zeigen, dass jeder Ort auch seine Eigenständigkeit behalten soll. Deutlich anders und selbstbewusst muten da die Großpfarreien in Limburg an, die nun „Pfarreien neuen Typs“ heißen werden. Eher an ein Gebäude als an eine Gemeinde erinnert der an verschiedenen Orten eingeführte Begriff Stadtteilkirche.
Unverständlich für kirchliche Outsider
Endgültig unverständlich für kirchliche Outsider ist aber wohl der in Hamburg verbreitete Pastorale Raum, von mancher österreichischen Diözese etwas eleganter als Seelsorgeraum bezeichnet. Leicht militärisch oder mathematisch wirkt die Seelsorgeeinheit (SE), wie sie der Wanderer durch den kirchlichen Sprachdschungel in den Bistümern Freiburg oder Rottenburg-Stuttgart findet, sprachlich noch übertroffen von Großen Seelsorgeeinheiten. Eher im Radio als auf der kirchlichen Landkarte würde man wahrscheinlich den Sendungsraum vermuten, der nun in Köln in der Planung ist und wiederum ein Zusammenschluss mehrerer Seelsorgebereiche ist.
Diese zweite Runde der Strukturveränderung kann aber auch eine sprachliche Rolle rückwärts einleiten. So gibt es Kirchengemeinden nicht nur im evangelischen Kontext, sondern auch als neue Form der Fusion von zwei noch gar nicht alten größeren SEs im Schwarzwald. Ein wenig an Lagerfeuer und Jugendarbeit erinnert die Pfarrgruppe in Mainz. Wer es lieber betriebswirtschaftlicher hat, greift ebendort zum Begriff Pfarrverbund, wie er aber auch in Fulda verbreitet ist.
Jedes Bistum kocht seine eigene Suppe.
Diese lange nicht vollständig aufgezeigte sprachliche Dezentralisierung mag sich ja ganz amüsant lesen, aber sie ist ein Anzeichen dafür, dass in der wichtigen Frage des Strukturwandels, der alle deutschen Bistümer betrifft, jedes Bistum seine eigene Suppe kocht.
Natürlich sind auch die hinter den Namen steckenden Strukturen durchaus unterschiedlicher Art. Werden in manchen Bistümern die ursprünglichen Gemeinden fusioniert, bleiben sie in anderen Bistümern rechtlich selbstständig und kooperieren lediglich in Haushaltsverbünden. Selbstverständlich steckt auch in jeder Bezeichnung ein Konzept und eine Wahrheit, denn die beispielsweise im Verband ausgedrückte Zusammenarbeit ist ebenso wichtig, wie der Bezug zu Welt und Gesellschaft, der sich im Sendungsraum ausdrückt. Aber rechtfertigt das diese Ansammlung von Wortungetümen und Neologismen?
Mit Blick auf die vielen Katholikinnen und Katholiken, die nicht Tag für Tag mit der Kirche in Kontakt stehen, kann man diese Frage eigentlich nur mit NEIN beantworten, denn sie zeigt, wie sehr sich die Kirche mit sich selbst beschäftigt. Als Kirchenvertreter reden wir Tag für Tag darüber, dass wir eine Relevanz für die Gesellschaft haben und diese auch zeigen müssen. So kann aber niemand, keine Zeitung, keine Tagesschau, kein Kommentator, aber auch kein Vorsitzender der Bischofskonferenz über die aktuelle Lage der Gemeinden berichten, es sei denn er erfindet einen neuen Begriff, wie „Das-was-entsteht-wenn-man-Gemeinden-zusammenlegt“.
Ruf nach einer Synode in Deutschland
So anstrengend es sein mag, allein die Frage nach einer zukunftsfähigen Bezeichnung für die Kirche vor Ort, rechtfertigt für mich den Ruf nach einer Synode in Deutschland. Da könnten dann auch die anderen noch viel wichtigeren Fragen des Strukturwandels offen und auf Augenhöhe zwischen Bischöfen, Priestern, haupt- und ehrenamtlichen Laien diskutiert werden.
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Konstantin Bischoff, Pastoralreferent im Pfarrverband St. Clemens und St. Vinzenz München.
Bildquelle: Ch. Bauer