Die Theologin Pia Arnold-Rammé übernimmt als Teil einer Doppelspitze die Leitung der katholischen Kirche in Frankfurt. Ein Interview von Wolfgang Beck.
Feinschwarz: Liebe Pia, zum Beginn des neuen Jahres haben das Bistum Limburg und die katholische Kirche in Frankfurt am Main mit der Meldung, dass Du nun die Co-Leitung der Stadtkirche übernimmst, für Aufmerksamkeit gesorgt. Es gibt zwar auch in der Leitungsebene der Bistumsverwaltungen oder auch in der Gemeindeleitung in der Schweiz nicht-ordinierte Theolog*innen in Leitungsämtern. Aber als Reaktion auf die MHG-Studie und parallel zum Synodalen Weg ist das jetzt schon eine Entwicklung, mit der das Bistum Limburg den übrigen Diözesen etwas voraus hat. Bist du jetzt eine kirchliche Chefin? Oder eine „Dekanin“?
Arnold-Rammé: Ich habe in jüngeren Jahren mal gesagt, ich würde gerne „Stadtdekanin“ werden. Insofern ist es ganz schön, auch wenn ich den Titel jetzt nicht haben werde, dass sich mein Wunsch am Ende meiner beruflichen Laufbahn noch mal etwas erfüllt. Die mittlere kirchliche Ebene zwischen Pfarrei und Bistum ist im Kirchenrecht ja nicht genau definiert. Deshalb ist es da möglich, auch etwas mehr und anders zu gestalten. Deshalb ist da auch die Möglichkeit, Dinge anders zu machen und Frauen in Leitungsposition zu bringen. Diese Spielräume nutzt das Bistum Limburg jetzt.
Teamwork als Konsequenz aus der MHG-Studie
Feinschwarz: Wie ist es im Bistum Limburg dazu gekommen?
Arnold-Rammé: Wir haben im Bistum Limburg einen Transformationsprozess, der einerseits auf die veränderten Strukturen reagieren sollte. Da wird es also größere Regionen statt der bisherigen Bezirke geben, die der geringeren Zahl von Pfarreien eher entsprechen. Aber es wird eben auch vor dem Hintergrund der MHG-Studie und deren klaren Aufträgen die bisherigen Machtstrukturen, diese Bündelungen in einer Person, dieses Männerbündische aufzulösen, zu sehen sein. Es sollen also Strukturen verändert werden, die bislang eher Machtmissbrauch begünstigt haben. Das war auch ein Grund, weshalb über neue Strukturen in der Diözese nachgedacht worden ist. Zum einen gibt es dabei das Bemühen um eine Dezentralisierung, damit nicht alles vom Ordinariat des Bistums verwaltet wird. Wir haben jetzt also nicht nur die Doppelspitze, sondern als neue Leitung auch eine stärkere Beteiligung.
Auch in der diözesanen Verwaltung wird die Leitung künftig immer als Doppelspitze besetzt und das setzt sich eben in den Regionen fort. Das sind natürlich komplizierte Prozesse, dafür braucht es eine Übergangszeit, bis Mai 2024. Bis dahin wird es eine Übergangslösung geben In Frankfurt hat die Wahl zu dieser Übergangsregionalleitung nun schon stattgefunden. Und so sind Johannes zu Eltz und ich jetzt die Übergangsregionalleitung bis Mai 2024.
Übergangsphase gestalten;
Subsidiarität realisieren.
Feinschwarz: Es gibt also eigentlich zwei Prozesse: das Anliegen größerer Dezentralität und das Aufteilen von Machtpositionen. Das ist für das Bistum Limburg ein ziemlich komplexer Reformprozess, weil ja gerade in Krisenzeiten schnell eine Tendenz zu Zentralisierung und zu wenigen „Machertypen“ entsteht. Wie wird denn das Verhältnis der beiden Personen in der Co-Leitung dann definiert?
Arnold-Rammé: Die beiden Personen der Doppelspitze werden nach der Wahl beide vom Bischof ernannt und sie müssen sich beide einigen, wer welche Aufgabenfelder übernimmt. Ich werde die Region Frankfurt im neuen Bistumsteam, also auf diözesaner Ebene, vertreten. Ich habe lange überlegt, ob ich diese Aufgaben so übernehmen soll, weil ich dann in zwei Jahren auch in Rente gehe und mein Berufsleben eigentlich jetzt sanft auslaufen lassen wollte (lacht). Aber gut, das hat natürlich einen besonderen Reiz, diese Übergangsphase zu gestalten. Da gibt es noch viele Details, die zu klären sind. So ist eigentlich die Idee, dass kirchliche Einrichtungen, muttersprachliche Gemeinden und vieles andere nicht mehr zentral auf Ebene der Diözese, sondern in den Regionen organisatorisch angebunden sein sollen. Da braucht es noch viel Klärung, um das Anliegen der Dezentralität wirklich im Sinne einer kirchlichen Subsidiarität zu realisieren. So wurden bislang Finanz- und Personalfragen immer zentral entschieden und vor Ort hatte man Glück, wenn die Besetzung einer Pfarrei oder einer Einrichtung vor Ort überhaupt mitgeteilt wurde. Das soll es so eigentlich nicht mehr geben. All diese Fragen sehen künftig eigentlich eine Mitsprache durch die Akeur*innen vor Ort vor. Aber natürlich gibt es da in der Verwaltung auch erhebliche Widerstände, denn wo Macht neu verteilt wird, verliert natürlich auch jemand Macht.
Mischung unterschiedlicher Kompetenzen.
Feinschwarz: Die Widerstände sind natürlich spannend. Gab es die auch gegenüber der Form einer Doppelspitze?
Arnold-Rammé: Ja, es gab vor allem Widerstand aufgrund der befürchteten Mehrkosten beim Personal. Dabei gibt es dann im Gegenzug an anderen Stellen durchaus relevante Einsparungen. Außerdem gab es die Sorge, dass überhaupt nicht genügend Bewerber*innen gefunden werden könnten. Aber da sage ich immer: Ich allein kenne schon sechs Kolleg*innen, die aktuell im Bistum Basel arbeiten, weil sie dort die Möglichkeit hatten, Leitungsaufgaben zu übernehmen und hier keine Chance auf Leitung hatten. Ich glaube schon, dass das alles möglich sein wird, auch wenn es zunehmend schwierig sein wird. Es gibt allerdings bislang auch noch keine/n „Bischöfliche/n Bevollmächtigte/n“ als Pendant zum Generalvikar, wie das ja schon in anderen Bistümern üblich ist. Das ist scheinbar auch nicht so ganz einfach da jemanden zu finden. Die Stellen müssen allerdings auch erstmal öffentlich ausgeschrieben werden. Bei den Regionalleitungen gibt es gibt es zukünftig auch nur die Auflage, dass eine der beiden Doppelspitzen aus pastoralen Berufsgruppen kommen soll. Der oder die andere könnte also auch aus anderen Berufen kommen. Gerade, wenn diese Doppelspitzen dann auch Finanz- und Personalverantwortung haben sollen, könnte das sogar wünschenswert sein, auf den Stellen nicht nur Theolog*innen zu haben, sondern eine Mischung unterschiedlicher Kompetenzen.
Bei dem ist fast
eine Welt zusammengebrochen.
Feinschwarz: Gibt es Widerstände oder Probleme, die sich daraus ergeben, dass bislang diese Leitungspositionen nur durch Ordinierte, also Priester, übernommen wurden?
Arnold-Rammé: Also viele Aufgaben eines Stadtdekans setzen doch keine Weihe voraus. Das Priesterliche in so einer Funktion beschränkt sich eigentlich auf einzelne Gottesdienste, viele Gottesdienste auf Stadtebene zu bestimmten Anlässen der Stadtgesellschaft sind ökumenische Veranstaltungen und Gottesdienste. Doch die evangelischen Geschwistern haben die größten Probleme damit. Denn wenn ich irgendwohin komme und repräsentiere die katholische Kirche, bin ich in deren Augen meist eine Notlösung. Die wollen irgendwie immer einen Ordinierten. Viele sind da eigentlich klerikaler, als wir auf katholischer Seite. Das ist schon jetzt immer wieder ein Problem. Da haben wir viele schöne Anekdoten, weil es dann heißt, mit so einem Pastoralreferenten geben wir uns doch nicht ab. Auch in ökumenischen Kontaktgruppen lässt sich das zwar ansprechen, aber das Problem hält sich. Manchmal gibt es dann da auch noch eine gewisse Frauenfeindlichkeit. Bei einem städtischen Referenten habe ich neulich erläutert, dass bei uns jetzt eine Frau die katholische Kirche vertritt, da ist bei dem fast eine Welt zusammengebrochen. Viele wenden sich mit Anfragen auch erstmal an den Stadtdekan. Deshalb gab es auch vielfach die Meinung, diese Position und diesen Titel nicht so schnell aufzugeben, weil damit eine öffentliche Wahrnehmung der Kirche verbunden sein könnte. Aber ich finde, die müssen sich auch außerhalb der Kirche mal an solche Veränderungen gewöhnen. Die können ja nicht permanent von der katholischen Kirche Reformen fordern und dann, wenn sie sich langsam vom Klerikalismus verabschiedet, sagen: nein, wir wollen hier jetzt aber Priester haben. Das ist außerkirchlich manchmal schwieriger als innerkirchlich! Neulich habe ich hier im Dom am Silvesterabend die Predigt gehalten und ich war da zurückhaltend. Denn das ist eigentlich ein Gottesdienst, zu dem der Bischof kommt und predigt und viele kommen da seinetwegen. Aber das wurde vorher anders bekanntgeben und nach dem Gottesdienst gab es viele positive Rückmeldungen. Das wurde gut akzeptiert, zumindest von denen, die trotz der Veröffentlichung gekommen sind
Mit Bildern
Veränderungen erzeugen.
Feinschwarz: Das ist ja auch eine Frage der Sichtbarkeit, weil Priester durch ihre Rolle in Gottesdiensten in binnenkirchlichen Bereichen eine herausgehobene Präsenz haben. Müssen dann nicht auch Formen gesucht werden, als Frau in kirchlicher Leitungsposition erlebbar zu sein. Das ist ja ein Problem bisheriger Leitungspositionen von Frauen, dass das irgendwelche Stellen in der Verwaltung sind, so dass Kirchenmitglieder diese Veränderung kaum wahrnehmen können und Frauen dabei trotzdem kaum sichtbar sind.
Arnold-Rammé: Ja, so etwas ist wichtig, auch wenn ich mein persönliches Charisma nicht in liturgischen Aufgaben sehe. Also, wenn diese Veränderungen für Kirchenmitglieder wahrnehmbar sein sollen, dann muss es auch bei Gottesdiensten so eine Rolle und Funktion geben. Das hat durchaus Wirkung und dafür braucht es dann auch liturgische Gewandung. Da darf ich halt auch nicht nur daran denken, ob das für mich stimmig ist. Da muss man auch daran denken, mit solchen Bildern Veränderungen längerfristig im Bewusstsein zu erzeugen. Klar, das setzt auch eine erhebliche Portion Selbstbewusstsein voraus.
Nicht hinter denen verstecken,
die Verantwortung übernehmen.
Feinschwarz: Ja, vielleicht sind da ja auch jenseits der Gottesdienste auch für die breitere Öffentlichkeit der Kirche und auch über die Kirche hinaus Formate zu finden, mit denen das neue Amt als Repräsentation der katholischen Kirche Sichtbarkeit erlangt.
Arnold-Rammé: Ja, ich habe vor ein paar Jahren auch von der These gelesen, dass die Pastoralreferent*innen ja qua Amt eigentlich so in der zweiten Reihe stehen. Und das suchen viele angeblich auch, weil ihnen das eher entspricht. Das würde ich von mir zwar nicht unbedingt sagen. Aber natürlich kann ich mich in dieser Berufsgruppen auch gut hinter denen verstecken, die Verantwortung übernehmen. Man muss halt auch das lernen und sich aneignen. Das gilt auch für die Beschäftigung mit Finanzen und Zahlen oder eben mit repräsentativen Aufgaben, die mir schon auch eher unangenehm oder fremd sind.
Dezentralität gewährleisten.
Feinschwarz: Bislang warst Du in Frankfurt für die Sozialpastoral zuständig. Inwiefern bringst Du diese Erfahrungen in die neue Leitungsaufgabe mit ein. Gibt es da überhaupt mögliche Verbindungen?
Arnold-Rammé: Ja, ich behalte mit 50% auch diese Zuständigkeit für die Sozialpastoral in Frankfurt. Aber wie das gehen kann, müssen wir erst noch sehen. In der neuen Position gehöre ich auch zum neuen Bistumsteam, in dem jetzt die Bereichsleitungen des Bischöflichen Ordinariates und die Vertreter*innen aus den Regionen paritätisch vertreten sind, um auch da Dezentralität zu gewährleisten. So kommen für mich auch auf Bistumsebene Aufgaben dazu. Aus meiner bisherigen Arbeit würde ich aber schon ein Bewusstsein für bestimmte Themen und Fragen einbringen. Das gilt z.B. für die riesige Frage von günstigem Wohnraum und Sozialwohnungen. Das ist in Frankfurt, wie in allen Ballungsräumen eine riesige soziale Frage. Da gibt es bislang auf Ebene des Bistums bei der Nachnutzung und Vermarktung von Immobilien aber fast ausschließlich das Interesse, finanzielle Gewinne einzufahren. Und es gibt kein Bewusstsein dafür, mit kirchlichen Gebäuden und Grundstücken auch inhaltlich etwas für die Stadtgesellschaft beizutragen. Da werden Grundstücke meistbietend vermarktet und das gemeinnützige Siedlungswerk, eine katholische Wohnungsbaugesellschaft, freut sich auch noch, wenn Gebäudebestand aus der Bindung für Sozialwohnungen rausfällt. Es ist also bislang sehr wenig Bewusstsein für solche sozialen Querschnittthemen. Da gibt es viel Bedarf, um bei vielen Themen eine sozialpastorale Betrachtung einzubringen. Auch das ist eine Form, mit den Themen vor Ort subsidiär Impulse in Entscheidungen der Diözese einzubringen. Natürlich bin ich nicht unrealistisch und weiß, dass das sehr träge Prozesse sind. Aber ich sehe es eher sportlich und versuche eben, die Themen einzubringen.
Im Gefängnis trainiert,
Menschen mit ihren unterschiedlichen
Facetten sehen zu können.
Feinschwarz: Du warst auch lange Zeit als Seelsorgerin im Frauengefängnis tätig. Inwiefern hat dich diese Aufgabe geprägt? Hilft dir die Erfahrung bei der neuen Aufgabe sogar?
Arnold-Rammé: Ja, das hat mich sehr geprägt. Und eigentlich wollte ich das bis zur Pension machen. Aber ich habe mich auch intensiv an diesem System des Strafvollzugs abgearbeitet. Gerade meinen Blick auf Biografien und mein Umgang mit Menschen hat dadurch sehr gewonnen, glaube ich. Denn ich habe wirklich gelernt, eine Frau z.B. nicht nur als Kindsmörderin zu sehen, sondern als die Frau B., die auch ihr Kind umgebracht hat, die aber auch andere Seiten hat und sympathisch sein kann. Die Menschen also nicht auf eine Tat oder ein Verbrechen zu reduzieren, trainiert ja wahnsinnig darin, Menschen mit ihren unterschiedlichen Facetten sehen zu können. Und es hat ja auch die Chance, sich den eigenen Abgründen zu stellen. Und ich weiß ja als Mutter, wie sehr die eigenen Nerven blank liegen können. Wenn ich selbst als junge Mutter solche Situationen hatte, dann gab es für mich die Chance meinen Mann ranzuholen oder mir woanders Hilfe zu suchen. Ich kann mir aber gut vorstellen, aus welchen Überforderungen dann so etwas entsteht, wenn keine Unterstützung möglich ist. Oder wenn Menschen immer wieder mit Drogendelikten in den Gefängnissen landen, dann ist man vielleicht anfangs schnell enttäuscht, weil es so eine optimistische Prognose gab. Aber da muss ich als Seelsorgerin auch etwas professionelle Distanz wahren und gelassen bleiben. Diese Gelassenheit ist für die Veränderung und Umgestaltung von kirchlichen Strukturen sicher auch eine wichtige Voraussetzung.
Als dürften wir
nur so ein bisschen
zum Schein mitmachen.
Feinschwarz: Gelassenheit und Beharrlichkeit wären dann zwei grundlegende Kompetenzen für Frauen in katholischen Leitungspositionen?
Arnold-Rammé: Ich war vor einiger Zeit bei einer Veranstaltung mit der Autorin Kübra Gümüsay, die das Buch „Sprache und Sein“ geschrieben hat. Sie hat sich mit so einer Art „gläsernen Wänden“, also sprachlichen Barrieren, beschäftigt. Das ist so eine Erfahrung von Menschen mit migrantischen Erfahrungen, dass nur so getan wird, als dürften Menschen am gesellschaftlichen Leben teilnehmen. Das hat einige Parallelen zur kirchlichen Situation, wo ich ja auch manchmal dein Eindruck habe, dass wir als Frauen nur so vermittelt bekommen, wir dürften so ein bisschen zum Schein mitmachen. Als würde so getan, als dürften wir mitspielen, damit das einen guten Eindruck macht. Gümüsay ist da übrigens ziemlich pessimistisch. Und ich bin da mit meiner Bewertung noch nicht am Ende und beobachte das auch kritisch, um nicht nur eine weitere Stütze eines bestehenden Systems zu sein.
Feinschwarz: Ganz herzlichen Dank für das Gespräch und alles Gute für die neue Aufgabe in der Co-Leitung der katholischen Kirche in Frankfurt am Main!
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Pia Arnold-Rammé, geb. 1958 in Frankfurt, arbeitet seit 1982 als Pastoralreferentin im Bistum Limburg und hatte Stellen als Bezirksreferentin in Frankfurt am Main, in der Gefängnisseelsorge im Frauengefängnis und als Referentin für Sozialpastoral in Frankfurt inne. Sie ist verheiratet und hat drei erwachsene Kinder.
Wolfgang Beck ist Professor für Pastoraltheologie und Homiletik an der PTH Sankt Georgen, Frankfurt/M. und Redaktionsmitglied von feinschwarz.net.
Foto: PTH Sankt Georgen
Buchtipp: Kübra Gümüsa, Sprache und Sein, btb Verlag 2021.
Titelbild: Sinan Erg / photocase.com
Porträtfoto P. Arnold-Rammé: privat
Porträtfoto W. Beck: Angelika Kamlage