Michael Berentzen verbindet in seiner Person zwei Welten: einerseits war er einer der Moderatoren des Synodalen Weges in Deutschland und andererseits promoviert er an der römischen Gregoriana über Synodalität. Auf Feinschwarz.net teilt er seine Beobachtungen.
„Was genau ist eigentlich Synodalität?“ werde ich ab und zu gefragt, wenn ich erzähle, dass ich mich gerade intensiver damit auseinandersetze. Eine berechtigte Frage. Die spannendere Frage ist jedoch: Was wird sie? Denn Synodalität ist vor allem eines: Erlebnisorientiert. Sie ist nur in der Praxis und will zuerst dort erlebt und miteinander entwickelt werden. Meine Vermutung ist: Wie gut sie wird, hängt nicht zuletzt am Gespräch der verschiedenen Wege untereinander. Lernbereitschaft scheint entsprechend das kirchliche Gebot der Stunde zu sein.
Debatte des deutschen Bundestags
„Eine Synode ist kein Parlament“, höre ich immer wieder auf der Synode in Rom. „Nicht einmal ein wenig?“ frage ich mich im Stillen. Schließlich verfolgen Synode wie Parlament den Anspruch, durch Gespräch aus verschiedenen Perspektiven, Ideen und Interessen etwas Gemeinsames hervorzubringen. Meine Neugierde ist geweckt und im Anschluss an die Synode schaue ich mal wieder in eine Debatte des deutschen Bundestags hinein. Thema ist das Urteil des Verfassungsgerichts zum Bundeshaushalt. Nach vier Wochen römischer Synode ist das im ersten Moment tatsächlich so etwas wie ein kleiner Kulturschock: Zwischenrufe bei nahezu jedem Redebeitrag, Anschuldigungen und Polemik manchmal haarscharf an der Beleidigung vorbei. Zugegeben: Bisweilen war das rhetorisch originell. Aber am Ende bleibe ich vor allem mit der Frage zurück, wo in dieser sehr ernsten Angelegenheit so etwas wie Nachdenklichkeit oder gar eine Suche nach gemeinsamen Lösungswegen erkennbar wurde.
Ehrliches Ringen in Verbundenheit
Ich frage mich, ob Eindrücke solcher Art der Grund der jüngst wieder in Erscheinung getretenen päpstlichen Skepsis gegenüber dem Synodalen Weg in Deutschland sind. Für ihn und einige andere scheint der Eindruck entstanden zu sein: Hier tagt ein Parlament in Koalitionen, die nicht auf den Geist hören wollen, sondern in der bloßen Verteidigung ihrer Positionen unversöhnlich gegeneinanderstehen. Mein Eindruck hingegen war, dass die Gespräche in vielen Situationen getragen waren von einem gemeinsamen und immer wieder auch neu zugestandenem gegenseitigen Vertrauen. In den Foren – ich kann aus persönlicher Erfahrung für das Forum IV sprechen – war ehrliches Ringen in gemeinsamer Verbundenheit noch spürbarer. Klar war die Gesprächskultur im Synodalen Weg an manchen Stellen emotional, manche Debatten sind mit Härte geführt worden und es gab auch einzelne polemische Ausreißer. Aber nicht nur die Kirche in Deutschland ist herausgefordert besser zu verstehen, wie ein wohlmeinendes Miteinander mit sachlichem Streit und wie Positionierung mit Konsensstreben zusammengebracht werden können. Im kürzlich begonnenen synodalen Ausschuss besteht die große Chance diesbezüglich weitere Lernerfahrungen zu sammeln und auf wachsende Synodalität hin zu reflektieren.
Auch in Rom ein Prozess
Und die Gesprächskultur in der Weltsynode in Rom? Lässt sich sagen, sie war „besser“? Oder gar „geistlicher“? Drei Antworten kommen mir in den Sinn: 1. Nein. 2. Ja. 3. Wer will das beurteilen? Zu erstens: Wie beim Synodalen Weg in Deutschland wurden auch in Rom Stimmen laut, dass der Prozess im Hintergrund gelenkt sei und auf bereits klare Ziele zusteure; auch hier von Personen, denen das Geschehen zu schnell und zu weit ging. Darüber hinaus habe ich Teilnehmende erlebt, die in einzelnen Themen mit einer klaren Agenda angereist und ohne wahrnehmbare Veränderung wieder abgereist sind. Im Plenum hat trotz mehrfacher Ermutigung durch die Moderation kaum jemand Bezug auf den Beitrag eines anderen genommen und es dauerte auffällig lange, bis sich auch Teilnehmende zu Wort meldeten, die kein Bischof waren. Zweifellos markiert die Synode einen Kulturwandel im Vatikan: Sowohl der Versuch, im Vorfeld möglichst viele Stimmen einzubinden, als auch die Erweiterung stimmberechtigter Teilnehmer*innen über Bischöfe hinaus, sind Neuheiten, die Inhalt und Atmosphäre mitgeprägt haben. Zugleich wird deutlich: Wie Synodalität gelingt, zeigt sich auch in Rom erst im Prozess.
Stärke der Synode
Ebenso gilt zweitens: Der Dialog in den gemischt besetzten Kleingruppen – den sogenannten „Circoli minori“ – war die große Stärke der Synode. Kaum jemand sprach nicht positiv davon, manche sogar schwärmerisch. Selbst als Beobachter kann ich sagen: Die Gespräche hinterlassen einen bleibenden Eindruck. Der Gamechanger dabei war jedoch nicht die kleinere Gruppe, sondern die Stille. Hat sie im Plenum noch einen schweren Stand gehabt und wurde schnell gekürzt, wurden Redebeiträge zu lang, war sie in den Circoli minori Strukturelement. Stille: „Was zu dem Thema ist mir so wichtig, dass ich es teilen möchte und wie teile ich es so, dass es aufgenommen werden kann?“ Alle sprechen nacheinander. Stille: „Was hat mein Gegenüber geteilt und was daran hat etwas in mir ausgelöst und warum?“ Alle sprechen nacheinander. Stille: „Wo gibt es Einigkeit, wo kommen wir nicht zusammen und was sind Handlungsperspektiven?“ Gespräch untereinander. Stille.
Haltung der wohlwollende Neugierde
Eine Methode, die bereits bei der Jugendsynode 2018 Anwendung fand und nun noch mehr Raum finden sollte. Die Erfahrung: Wenn sich die Teilnehmenden darauf einlassen, erwächst etwas Konstruktives wie von selbst. Theologisch gesprochen wird es „geistlich“: Es kommt Gnade ins Spiel. Es gibt gewiss viele Möglichkeiten des Innehaltens und noch viel mehr Möglichkeiten, wie Gnade wirken kann. Stille ermöglicht vielleicht in besonderer Weise, einem Verstehen-Wollen Raum zu geben, weil sie nicht den Impuls der unmittelbaren Verteidigung des Eigenen, sondern die Haltung der wohlwollenden Neugierde dem Anderen gegenüber unterstützt. Die Beobachtung mag sich als spiritualisierend abtun lassen, genau wie der Gesprächsprozesse in Gänze als Zeitverschwendung abgetan werden kann; vielleicht gerade von Personen, denen das Geschehen nicht schnell und nicht weit genug geht. Was jedoch wäre eine Alternative in einer Verständigungsgemeinschaft, die so unterschiedliche Herkünfte und Visionen in sich vereint? Wann und wie erhielte explizit das Vertrauen Raum, dass sich in allen Teilnehmenden der Geist Gottes mitteilen kann?
Keine Methode absolut setzen
Damit bin ich bei drittens: Kein synodaler Weg und keine Methode kann absolut gesetzt werden und jede Idee erfordert Inkulturation, will sie wirksam werden. Weder die Synode in Rom, noch einer der nationalen oder internationalen synodalen Prozesse und nicht einmal das sogenannte Apostelkonzil kann als Blaupause für die anderen Wege dienen. Denn auch die bleibende Inspiration des Apostelkonzils liegt nicht in seiner Methodik oder Rollenzuteilung, sondern im biblisch bezeugten unbedingten Willen zum Zusammenhalt und dem historisch offensichtlichen Mut, im Sinne der Gottes- und Nächstenliebe unbekannte Wege zu riskieren. Die Stärke der katholischen Kirche kann sein und werden, dass die ursprüngliche Erfahrung der Synodalität im Vertrauen auf das Mitgehen des Geistes Gottes in unterschiedliche Strukturen und Methoden übersetzt wird und im Austausch der Erfahrungen alle voneinander. Dazu bräuchte es freilich deutlich mehr wohlwollend neugieriges Gespräch unter den jeweiligen Verantwortlichen.
Ein Gespräch, das nichts ausspart außer Feindseligkeit
Keine Struktur oder Methode kann den Geist herbeiführen, genau wie es vermutlich Weniges gibt, das sein Wirken grundsätzlich ausschließt. Wer vermag zu sagen, ob der Geist nicht auch in Parlamenten und parlamentarischen Grundvollzügen wirkt, weht er doch bekanntlich, wo er will? Ob Pfarreiräte, Universitäten, Verbände, nationale oder internationale kirchliche Gremien: Wer Synodalität praktizieren will, steht zum einem vor der grundsätzlichen Frage, wer aus welchen Gründen an Gespräch und Entscheidung beteiligt wird – hier ließe sich einiges aus der Auseinandersetzung mit dem Parlamentarismus lernen – und ist genauso mit der ständigen Frage unterwegs, wie ein Gespräch organisiert werden kann, das nichts ausspart außer Feindseligkeit und das den Anspruch verfolgt, dem Geist Gottes möglichst große Entfaltungsmöglichkeiten zuzuspielen. Und so zeigen wohl alle bisherigen synodalen Gehversuche zweierlei: 1. Es gibt noch viel zu lernen. 2. Es ist der Mühe wert.
Michael Berentzen war Hochschulpfarrer an der KSHG Münster und arbeitet derzeit an der Päpstlichen Universität Gregoriana an einer Dissertation zum Thema Synodalität. An der Versammlung der Weltsynode im Oktober 2023 war er als Helfer beteiligt.
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