Mehr als 40% der Mitglieder der katholischen Kirche in der Schweiz haben eine Migrationsgeschichte, was eine starke migrantischen Prägung der Kirche mit sich bringt. Isabel Vasquez ist Nationaldirektorin von migratio, der für Migrationspastoral zuständigen Dienststelle der Schweizer Bischofskonferenz. Sie ist überzeugt, dass die welt- und ortskirchlichen synodalen Prozesse die Türen für eine interkulturelle Pastoral weiter öffnen können, und berichtet wie Seelsorgende, die für Migrationsgemeinden verantwortlich sind, die Synode 2021-2024 wahrnehmen.
Seit 2020 existiert auf nationaler Eben ein Gesamtkonzept für die Migrationspastoral in der Schweiz. Es stammt aus der Zusammenarbeit der Schweizer Bischofkonferenz SBK mit der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz der Schweiz RKZ. Zwei Jahre Pandemie haben die Umsetzung schwierig gemacht. Aber jetzt ist es wichtiger denn je, weil das Konzept viel Synodalität beinhaltet. Weil dieser Prozess nun in vollem Gang ist, sollten wir die Chance nicht verpassen, diesen Weg gemeinsam zu gestalten.
Für viele Missionen und Sprachgemeinschaften weckt der Synodale Prozess eine Hoffnung auf einen gemeinsamen Weg.
Aber sie fühlen sich nicht aufgerufen dabei zu sein und mitzugestalten, denn viele Pfarreien sehen sie immer als Gäste und nicht als Mitglieder ihrer Kirche. Die Kommunikation ist oft kompliziert, weil Priester oder Missionare [die Seelsorgenden der muttersprachlichen Gemeinden, red.] viele Termine haben oder aufgrund der Sprachbarriere. Und am Schluss geht die Einladung vergessen, Alternativen werden nicht gesucht. Es gibt jedoch immer eine Person in der Mission [der muttersprachlichen Gemeinde], die gut integriert ist und die Sprache beherrscht, und auch Mitglieder der zweiten Generation könnten diese Anliegen vertreten.
Wäre jetzt nicht der Moment, partizipativ zu denken und weiter zu versuchen, die Missionen an Bord zu nehmen, um Inklusion und Integration zu erleben?
Das erinnert mich an eine Videobotschaft von Papst Franziskus am 20. Juni 2022. Er hat Synodalität als Weg bezeichnet, «gemeinsames Unterwegssein neu zu lernen» und für ein «unabgeschlossenes Denken» plädiert. Mit viel Geduld einander zuhören, um eine Beziehung aufzubauen.
Nicht alle Migrant:innen sind freiwilig gekommen, und die Traumata, die viele erlebten, machen die Integration sehr schwierig und verlangsamen den Prozess. Diese Situation verlangt mehr Verständnis der Aufnahme-Gesellschaft. Geduld und Hoffnung sind eine gute Basis für einen gemeinsamen Weg. Damit dieser Prozess gelingt, ist es sehr wichtig, dass alle in der Migrationspastoral tätigen Seelsorgenden sich informieren und in der Schweiz integriert fühlen.
Der Synodale Prozess kann nicht nur eine Angelegenheit für Andere sein und nicht für die Migrant:innen.
Wir sollten alle hören und die «Gemeinschaft, Sendung und Teilhabe» erleben, so wie das Motto der Weltsynode lautet.
Am 6. Juni 2023 hat das Frühjahrestreffen der Nationalkoordinatoren [d.h. der Seelsorgenden, welche die Seelsorge für eine Sprachgemeinschaft auf gesamtschweizerischer Ebene koordinieren] in Fribourg stattgefunden. Auf meine Frage, wie sich ihre Gemeinschaften an der Gestaltung der Weltsynode 2021-2024 beteiligen, bekam ich verschiedene Antworten. Viele erwarten eine grosse Veränderung der Strukturen. Sie fühlen sich ausgeliefert, weil sie den Eindruck haben, dass sich sowieso viele Strukturen in der Schweiz verändern werden, ohne die Situation der Migrantinnen und Migranten zu berücksichtigen. Trotzdem sehen viele den ganzen Prozess positiv, denn dank der weltkirchlichen Dimension stehen viele Arbeitshilfen und Dokumente in ihrer Sprache zur Verfügung. Aber, reicht das? Ich denke, dass es unsere Aufgabe ist, sie daran zu erinnern, dass sie Teil unserer Kirche hier vor Ort sind. Lokal, im Alltag.
Wir sind alle Mitglieder der katholischen Kirche, unabhängig von Herkunft, Sprache und Kultur.
Für viele Koordinatoren bietet der Synodale Prozess die Gelegenheit für die Stärkung der Interkulturalität in Pfarreien mit Mitgliedern verschiedener Nationalitäten. Sie wünschen sich, dass nicht nur die offiziellen Missionen eingeladen werden, sondern auch kleine Gemeinschaften, wie z. B Gruppen aus Afrika.
Nach Auffassung von Nassem Asmaroo, chaldäischer Priester und mitarbeitender Priester in Yverdon-les-Bains [einer pastoralen Einheit mit vielen Mitgliedern unterschiedlichster Herkunft] ist es für eine interkulturelle Pastoral sehr wichtig, dass wir die verschiedenen Sprachen in der Schweiz und ihre Bedeutung für die Spiritualität und den Glauben nicht vergessen.
David Taljat, Pfarrer für die slowenische Mission, beobachtet die gute Zusammenarbeit im Kanton Zürich und die grosse Kollegialität zwischen Pfarreien und pastoral Tätigen. Doch als Migrant hat er Angst, etwas falsch zu machen. Diese Befürchtung wird von vielen geteilt, die sich als Migrant:innen in der Kirche engagieren möchten. Die im Bistum Basel für Ende September geplante Synodale Versammlung weckt viel Hoffnung für diesen gemeinsamen Weg. Denn sie findet mit der ausdrücklichen Absicht statt, auf die Stimmen möglichst vieler unterschiedlicher Leute vor Ort zu hören.
Für alle Getauften ist die Synodale Versammlung der Moment, das Wort zu ergreifen und zusammen die Kirche zu gestalten.
Aude Morisod, Mitarbeiterin für die Pastoral der Fahrenden, erzählte, dass das Wort «Synode» auch für die Fahrenden eine Bedeutung hat: Mitgehen, wie aus dem Altgriechischen «gemeinsamer Weg». Das erinnert mich an das bereits erwähnte Gesamtkonzept mit dem Titel ««Auf dem Weg zu einer interkulturellen Pastoral». Dieses lässt mich hoffen, dass wir uns alle auf einem gemeinsamen Weg befinden, in dem wir voneinander lernen. Die Kirche soll ein Ort sein, wo wir Migrant:innen spirituelle Heimat finden.
In der Migrationsphase ist diese Spiritualität und Hoffnung das Einzige, das vielen Migrant:innen aus ihre Heimat und Kultur geblieben ist.
Oft bieten die Zusammenkünfte in der Mission die einzige Möglichkeit, die Muttersprache zu sprechen. Die Religion kann etwas sein, das man seinen Kindern vererben kann. Auch die Integration soll Bestandteil dieses Erbes werden. Ein gemeinsames Miteinander und ein wertschätzendes Nebeneinander. Viele Pfarreien arbeiten schon bewusst mit interkulturellen Projekten, was spürbar zur Lebendigkeit des Pfarreilebens beiträgt.
Partizipation und Willkommenskultur sollten uns begleiten, nicht nur im Gottesdienst und bei liturgischen Angeboten, sondern auch in den kirchlichen Gremien und Strukturen.
Kirchenbehörden und Pfarreiräte könnten schon mehr Migrant:innen als Mitglieder haben und so gewährleisten, dass wir alle teilhaben am Leben in diesem gemeinsamen Haus, unserer Kirche, in der nur zählt, dass wir Menschen sind und dass wir Christus folgen.
Isabel Vasquez ist Nationaldirektorin von migratio und Verantwortliche für die Umsetzung des Gesamtkonzeptes für die Migrationspastoral in der Schweiz. Als Dienststelle der Schweizer Bischofskonferenz ist migratio für die Pastoral für Migrantinnen und Migranten auf nationaler Ebene zuständig. Sie trägt auch Mitverantwortung für die Seelsorge in Bundesasylzentren, die Seelsorge der Fahrenden sowie neu für die Seelsorge der Schaustellenden und Zirkusleute.
Titelbild: Isabel Vasquez. Kirche San Francisco, Antigua Guatemala, 2021.
Gruppenbilder: Sidney Alonso/migratio. Koordinatoren-Treffen, Freiburg/Schweiz 6. Juni 2023
Porträt Isabel Vasquez: migratio, 2022.