Der Synodale Prozess in der Schweiz steht an einem wichtigen Kreuzungspunkt. Entscheidend wird sein, welche Pfade er einschlägt und welche (Pfad-)Abhängigkeiten sich daraus ergeben. Eine Beobachtung im Namen der Allianz Gleichwürdig Katholisch* von Moritz Bauer.
«Synodalität ist eine konstitutive und konstituierende Dimension des Lebens und der Sendung der Kirche (…) wir [sollten] Synodalität nicht mit Synode verwechseln (…) Synodalität betrifft nicht nur Mentalitäten, die verändert und erneuert werden müssen, sondern auch Strukturen und Beziehungen zwischen allen kirchlichen Subjekten und auf allen Ebenen, von den Bischöfen bis zu den Laien, von den Pfarreien bis zur Kurie und von den Basisgemeinden bis zur akademischen Theologie.»[1]
Dieser kurze Definitionsversuch des deutungspluralen Begriffs «Synodalität» von Rafael Luciani imponiert und stimmt zugleich nachdenklich. Nachdenklich, weil die Frage im Raum steht, ob wir als Kirche in der Schweiz diesen in seiner theologischen Tiefendimension bereits verstanden oder gar realisiert haben. So gelesen, lässt er sich zugleich als ein Orientierungsmarker unseres bisherigen Denkens und Handelns verstehen: Hat sich unsere Mentalität gewandelt? Verändern wir Strukturen? Gestalten wir Beziehungen anders? Und, gelingt es uns dies auf allen Kirchenebene zu verwirklichen – in der Horizontale wie Vertikale?
Hat sich unsere Mentalität gewandelt?
Der Synodale Prozess in der Schweiz, scheint aus meiner Sicht an einer Art Kreuzungspunkt zu stehen. Verschiedene Pfade haben verschiedene Akteuer*innen an diesen geführt. Manche waren klar und einfach. Andere verzweigter und schwerer zu bewältigen. Offen ist, welche wir in Zukunft gehen und welche Pfadabhängigkeiten sich hieraus ergeben.
Die aktuelle Situation in der Schweiz
Stand heute ist die von Rom ausgerufene nationale Phase in der Schweiz in einem ersten Schritt abgeschlossen. Die Befragung im «Volk Gottes» bzw. bei denjenigen, die für diese gewonnen werden konnten, hat eindeutige Ergebnisse zu Tage gefördert: Mehrheits- und Minderheitsmeinungen stehen sich gegenüber – teilweise diametral. Jedoch sollte man anerkennen, dass die grosse Mehrheit sich für Veränderungen ausspricht. Auf theologischer, struktureller, aber auch kommunikativer Ebene. Die Einzelthemen überraschen hierbei wenig. Die klassischen «heissen Eisen» werden auch in der Schweiz immer wieder genannt. Kurz gesagt: Ein Grossteil der Befragten wünscht sich eine gleichwürdige Kirche mit synodalem Stil. Auch die Eben der Schweizer Bischofskonferenz hat dies erkannt und möchte den Prozess schweizweit und in den einzelnen Bistümern fortsetzen.
eine gleichwürdige Kirche mit synodalem Stil
Auf diesem Weg haben alle Akteuer*innen dazugelernt – inklusive wir als Allianz Gleichwürdig Katholisch. Immer wieder ist es wichtig geworden, in einen Austausch zu kommen. Verständnisbereitschaft für das jeweilige Gegenüber ist hierbei die Grundvoraussetzung. Als ein positives Ergebnis wurden neue Gefässe geschaffen oder bestehende umgenutzt. Auch scheint man von kirchenamtlicher Seite verstanden zu haben, dass es zu diesem Zweck im Volk Gottes viele Expert*innen gibt, die in diesen Prozess einbezogen werden können und nur zu Unrecht als «Lai*innen» bezeichnet werden sollten. So ist es gelungen, über strukturelle und weitere Reformanliegen in ein gemeinsames Gespräch zu kommen. Fortsetzung allerdings noch offen.
«Kultur des Streitens»
Also alles gut in der Schweiz? Mitnichten. Wie geschrieben, waren (und sind) manche Pfade verzweigt und schwer zu bewältigen. Tragisch ist dies an sich nicht. Wäre es doch auch schade, würden Unterschiede und Meinungsdifferenzen in Bezug auf Inhalte, Gefässe oder Geschwindigkeit nicht zu Tage treten. Zu einer synodalen Mentalität gehört m. E. auch eine «Kultur des Streitens»; nicht «des Streits»! Diese gilt es, noch weiter zu lernen und zu inkulturieren. An solchen Auseinandersetzungen wächst die Beziehung zwischen den Reformkräften untereinander und mit dem jeweiligen Gegenüber. Sie macht deutlich, was schon lange Realität ist: Als katholische Kirche bilden wir eine Einheit in Vielfalt. Welcher der beiden Aspekte hierbei stärker betont wird, ist Auslegungssache und vermutlich zukunftsweisend. Macht es aber auch spannend!
Pfadabhängigkeiten
Wie geht es nun weiter in der Schweiz? Gemäss dem Konzept der Pfadabhängigkeit[2], werden Prozesse durch (vorherige) Ereignisse entscheidend beeinflusst. Entwicklungsrichtungen können beispielweise gefestigt werden, eine Vielfalt von Zuständen ist möglich, es kann zu kritischen Verzweigungen (wie der gegenseitigen Blockade von Prozessen) kommen oder auch das Verharren in einem eher suboptimalen Zustand kann eintreten.
Entwicklungsrichtungen
In der Schweiz scheint diese Entwicklung gegenwärtig offen. Jüngste Ereignisse wie der Neujahrsbrief der Bischöfe der Bistümer Basel, St. Gallen und Chur[3] an die Seelsorger*innen erwecken eher den Eindruck, man verharre im suboptimalen Zustand. In recht unsynodalem Tonfall stellen die Bischöfe in diesem Brief die geltenden liturgischen und sakramententheologischen Regelungen klar. Das Beziehungsgeschehen der Protagonist*innen ist hierdurch sicherlich nicht gefestigt worden. Grosse Fragezeichen stehen zu Recht im Raum. Gleichzeitig gibt es in der Schweiz bereits gelebte Gefässe, die helfen können, Synodalität konstitutiv zu verankern.[4] Auch positive Erfahrungen werden erlebt. Setzen wir diese Pfade fort und passieren sie kritische Überschneidungen, so scheinen Änderungen möglich. Hierfür braucht es aber auch verbindliche und authentische Zeichen sowie Zugeständnisse. Ganz nach dem Motto «und sie bewegt sich doch».
Stabilität auf Dauer bei gleichzeitig konstanter Entwicklung
Bei alldem scheint mir eine der grossen Chancen im Schweizer Konkordanzprinzip zu liegen: Stabilität auf Dauer bei gleichzeitig konstanter Entwicklung. Auf faszinierende Weise werden Ungleichzeitigkeiten vereint. Dies gelingt jedoch nur unter der Voraussetzung, dass der ekklesiologische Einheitsgedanke nicht zur Immunisierungsstrategie verkommt. Das nebeneinander Existieren unterschiedlicher Farben spricht noch nicht gegen ein einheitliches Kolorit. So erweist sich auch DIE Gesellschaft als plural und mitunter diffus. Und doch besteht sie und entwickelt sich. Schlussendlich ist es also denkbar, dass auch in der Kirche verschiedene Pfade wieder an ein Ziel führen. Dies ist möglicherweise ein eher eschatologischer Gedanke.
Nächster Halt Prag
Im Synodalen Prozess steht nun die nächste Phase an: Die kontinentale Etappe beginnt. Die Schweizer Delegation für Prag inklusive der Online-Begleitgruppe zeigt ein vielfältiges Gesicht. Inwieweit es gelingen wird, dies auch in Prag einzubringen ist offen. Ein weiterer Pfad also, dessen Richtung und Abhängigkeiten jetzt noch nicht abschätzbar sind. Hoffen wir das Beste!
* Die Allianz Gleichwürdig Katholisch ist eine reformkatholische Bewegung in der Schweiz, die sich für eine gleichberechtigte, glaubwürdige und solidarische Kirche einsetzt. Als offene Projektgemeinschaft verstanden ist unser gemeinsames Ziel, die #gleichwürdigkeit in der Kirche zu verwirklichen. Wir sind sowohl als Organisation wie auch über einzelne unserer Mitglieder Teil des Synodalen Prozesses in der Schweiz. Dies auf gesamtschweizerischer wie auf der jeweiligen Bistumsebene.
Moritz Bauer, Mag. theol., hat in Mainz Katholische Theologie studiert und arbeitet seit November 2021 als Bundespräses von Jungwacht Blauring Schweiz. Er ist Mitglied der Steuergruppe der Allianz Gleichwürdig Katholisch.
Beitragsbild: Peter H /Pixabay
Foto des Autors beim Ranfttreffen: Christian Reding.
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[1] Luciani, Rafael: Unterwegs zu einer synodalen Kirche. Impulse aus Lateinamerika, Luzern 2022, 24f.
[2] Vgl. Beyer, Jürgen: Art. Pfadabhängigkeit. In: Staatslexikon8 online: https://www.staatslexikon-online.de/Lexikon/Pfadabh%C3%A4ngigkeit (abgerufen am 13.01.2023).
[3] Der Brief ist auf dem Portal kath.ch veröffentlicht worden: https://www.kath.ch/newsd/bischoefe-rueffeln-seelsorgende-die-glaeubigen-haben-ein-recht-auf-gottesdienste-die-den-regeln-der-kirche-folgen/ (abgerufen am 13.01.2023).
[4] Vgl. die Anmerkungen von Kosch, Daniel: Mitverantwortung heisst Mitentscheiden (II): https://www.feinschwarz.net/mitverantwortung-heisst-mitentscheiden-ii/ (abgerufen am 13.01.2023).