Während die Kirche in Deutschland derzeit um eine effektive synodale Praxis bemüht ist, trägt der weltkirchliche „synodale Prozess“ vor allem appellative Züge. Einige begriffliche und systematische Unterscheidungen von Eva-Maria Faber und Daniel Kosch.
Katholizität und Synodalität
Synodalität basiert auf zwei Wesensbestimmungen von Kirche. In einer ersten Hinsicht konkretisiert sich in der Synodalität die Katholizität der Kirche, in der «die einzelnen Teile ihre eigenen Gaben den übrigen Teilen und der ganzen Kirche hinzu[bringen], so dass das Ganze und die einzelnen Teile zunehmen aus allen, die Gemeinschaft miteinander halten und zur Fülle in Einheit zusammenwirken» (LG 13). Das so beschriebene Zusammenwirken der Ortskirchen hat seit den Anfängen der Kirche synodale Formen (z.B. in Synoden und Konzilien) angenommen. In einer zweiten Hinsicht richtet sich das Augenmerk auf die gemeinsame Würde und Verantwortung aller Glieder der Kirche. Da diese Perspektive lange Zeit vernachlässigt war, thematisiert der Begriff Synodalität im gegenwärtigen Sprachgebrauch primär diesen gemeinsamen Weg des ganzen Volkes Gottes mit den verschiedenen Charismen, Einsichten sowie Lebens- und Glaubenserfahrungen.
Dabei ist es aber durchaus aufschlussreich und notwendig, beide Hinsichten miteinander zu verbinden. Die Katholizität unter dem Aspekt des Zusammenwirkens von Ortskirchen scheint teilweise eher mit dem Thema der Kollegialität zu konvergieren, insofern es die bischöflichen Repräsentanten der Ortskirchen sind, welche in ihrer gesamtkirchlichen Verantwortung in wechselseitiger Beziehung zueinander stehen (vgl. LG 22). Nicht zu vernachlässigen ist jedoch die Einsicht, dass an überregionalen Synoden und Konzilien in der Vergangenheit auch andere Teile des Volkes Gottes repräsentiert waren und künftig repräsentiert sein sollten.
Zudem ist das Ringen um ein qualitatives Verständnis von Katholizität im Verhältnis von Ortskirchen und Universalkirche auch auf die Neuentdeckung der Synodalität im Einbezug des ganzen Volkes Gottes zu beziehen. Die römisch-katholische Kirche hat noch vermehrt zu lernen, dass ihre Katholizität sie auf eine Pluralitätskompetenz verpflichtet. Dies gilt für die Weise, wie die Ortskirchen sich innerhalb der Universalkirche zueinander und zum Ganzen verhalten. Nicht umsonst ist eine der grossen Herausforderungen im gegenwärtigen synodalen Prozess, wie sich dessen verschiedene Ebenen (diözesan, zwischen den Ortskirchen im Gebiet einer Bischofskonferenz, kontinentalkirchlich und weltkirchlich) zueinander verhalten. Dieselbe Herausforderung zur Pluralitätskompetenz gilt aber auch und vielleicht noch schwieriger für die Synodalität innerhalb der Ortskirchen.
Herausforderung zur Pluralitätskompetenz
Somit ist eine klärende Reflexion auf das Ziel synodalen Handelns bzw. die Gestalt einer synodalen Kirche dringlich. Synodal ist eine Kirche, deren Leben sich aus vielfältigen Wurzeln speist. Die Metapher des gemeinsamen Weges oder gar der synodia, der «Reisekarawane», sollte deswegen nicht überzogen werden. Jedenfalls dürfte das Einschwenken auf einen einzigen Weg nicht primäre Zielrichtung sein. Synodal ist eine Kirche, die verschiedene und verschiedenartige Ausdrucksformen und Lebensgestalten des Christseins füreinander aufschliessen kann. Die lateinische Begrifflichkeit für den Glaubenssinn des Volkes Gottes unterscheidet sensus fidelium und consensus fidelium. Das Ideal des consensus fidelium wirft die Schwierigkeit auf, dass dieser Konsens weder eruierbar noch erreichbar ist. Von Bedeutung ist aber auch der sensus fidelium, aus dem sich Lebensformen, Ausdrucksformen des Glaubens und der Glaubenspraxis plural entwickeln.
Synodaler Prozess, synodaler Stil und synodale Strukturen
Vor diesem Hintergrund gilt es zu fragen, welche Bedeutung der gegenwärtige synodale Prozess hat und wie sich synodaler Stil und synodale Strukturen zueinander verhalten.
Der gegenwärtige synodale Prozess dürfte, auch wenn dies im Vademecum wenig explizit gemacht wird, vor allem der Einsicht entspringen, dass die Kirche ihre Synodalität lange Zeit nur unzureichend realisiert hat. Der synodale Prozess soll die Aufmerksamkeit für die Würde und den Beitrag aller Glieder der Kirche sowie die damit existierende Vielfalt fördern und vernachlässigte Partizipationsformen entwickeln.
Das Vademecum des synodalen Prozesses unterscheidet mit Recht einen synodalen Stil und synodale Strukturen. Synodalität ist ein Vorzeichen für die Gestaltung des Zusammenlebens in der Kirche in all ihren Vollzügen. Auf das Ganze des kirchlichen Lebens bezogen steht die Entwicklung eines synodalen Stils im Vordergrund. Gemeint ist eine Haltung des Respekts und des gegenseitigen Zuhörens, verbunden mit der Bereitschaft, die verschiedenen Perspektiven und Einsichten ernst zu nehmen. Dieser Stil muss das Leben der Kirche in formellen und informellen Begegnungen, Gemeinschaftsformen und Handlungsfeldern durchwirken.
Synodaler Stil muss sich in Zusammenhängen von Beratung und Entscheidung konkret auswirken.
Der synodale Stil darf nicht unverbindlich und dem Zufall überlassen bleiben und muss effektiv in den Zusammenhängen von Beratung und Entscheidung wirksam werden. Deswegen braucht es die Verstetigung des in synodalen Prozessen entwickelten synodalen Stils. Für die Synodalität im Kontext der Vorbereitung und des Treffens von Entscheidungen sind Strukturen, verbindliche Rechte und definierte Prozesse zentral. Würde man Synodalität in diesem Kontext auf Stilfragen reduzieren, würde der Begriff unrechtmässig spiritualisiert.
Explizite und implizite synodale Strukturen
Die gegenwärtige Diskussion fokussiert mit Recht stark auf die offenen kirchenrechtlichen Fragen, wie synodale Strukturen im Kontext von Entscheidungen eine echte Mitwirkung von Personen, die nicht Amtsträger sind, vorsehen könnten und welche Veränderungen des kirchlichen Rechtes dafür vonnöten wären. Der Blick richtet sich auf synodal verfasste Gremien, wie sie bereits existieren, wie sie vermehrt eingerichtet werden müssen und wie sie in ihrer effektiven Mitwirkungsmöglichkeit auf Entscheidungsebene gestärkt werden müssen. Das Pochen auf eine gesetzliche Verankerung solcher Mitwirkungsmöglichkeiten steht vor dem Hintergrund von Erfahrungen: Es bedarf eines Schutzes der Stellung der Getauften, damit deren Mitverantwortung nicht beliebig ausgesetzt werden kann.
An dieser Stelle soll das Augenmerk gleichwohl auch darauf gerichtet werden, dass explizit synodale Strukturen mit einem hohen Aufwand verbunden sind. Einem synodalen Vorgehen für Entscheidungen stehen darum nicht nur die hierarchische und zentralistische Struktur der Kirche im Weg, sondern auch die Tatsache, dass partizipative Strukturen langsam arbeiten. Gerade für Alltagsentscheidungen, manchmal auch für grössere Richtungsentscheide steht aber nicht immer die entsprechende Zeit zur Verfügung. Zudem haben die Professionalisierung und Ausdifferenzierung des kirchlichen Handelns zu einer Komplexität geführt, in der die (repräsentative) Beteiligung aller an Entscheidungen durchaus nicht immer adäquat ist. Synodales Vorgehen steht also nicht nur zu den hierarchischen Strukturen in Spannung, sondern auch zu den Anforderungen an Entscheidungsprozesse im Kontext von Beschleunigung und Professionalisierung.
Synodales Vorgehen steht auch in Spannung zu Anforderungen an Entscheidungsprozesse im Kontext von Beschleunigung und Professionalisierung.
Gerade deswegen wäre es wichtig, neben der Entwicklung explizit synodaler Strukturen Ausschau auch nach anderen, einfacheren Formen der Rückbindung der Weltkirche an die Ortskirchen und der amtlichen Vorgaben an das ganze Volk Gottes zu halten. Sie sollen hier implizit synodale Strukturen genannt werden. Die Kirche müsste ihr synodales Wesen auch darin verwirklichen, dass sie sich aus Lebensprozessen im ganzen Volk Gottes entwickelt. Dies aber dürfte nicht nur ein Stil sein. Vielmehr müssten die Strukturen und die darin getroffenen Entscheidungen eine Durchlässigkeit für Aufbrüche oder Verweigerungen im Volk Gottes behalten. Die heutige römisch-katholische Kirche ist aufgrund ihrer engmaschigen Vorgaben und Kontrollmechanismen kaum mehr in der Lage, sich von bisher nicht vorgesehenen, experimentellen Lebensvorgängen bereichern und verändern zu lassen. Keine Chance hat das Gewohnheitsrecht (vgl. Can. 23–28 CIC/1983), zumal wenn es bei gesetzwidrigen Neuentwicklungen eine 100jährige unwidersprochene Praxis vorweisen müsste. Wechselseitige Rezeptionsverhältnisse sind verkümmert auf die Erwartung, dass Autoritätsentscheidungen in Gehorsam zu rezipieren sind. Dabei wäre Rezeption auch die Aufnahme von Lebensvorgängen in der Kirche durch Entscheidungsträger. Zudem könnten Rezeptionsprozesse reinigende Wirkung haben, wenn modifizierende, ausbleibende oder verweigerte Rezeption von Autoritätsentscheidungen im Volk Gottes oder in den Ortskirchen beachtet würden. Insofern mit solchen Vorgängen verschiedene Akteure in der Kirche in ihrer Würde und Verantwortlichkeit zusammenwirken würden, wären dies implizit Ausdrucksformen einer synodalen Kirche.
Zur Synodalität gehört auch die Beachtung ausbleibender oder verweigerter Rezeption von Autoritätsentscheidungen.
Synodalität erfordert Subsidiarität und Eigenverantwortung
Darüber hinaus ist zu beachten, dass eine Stärkung synodaler Strukturen und Entscheidungsprozesse zwingend mit einer Dezentralisierung der Kirche und einer Selbstbeschränkung des kirchlichen Lehramtes einhergehen müssen. Dies nicht nur aus theologischen Gründen, weil anders der Sensus fidelium und der «eigene Spürsinn der Herde» nicht wirklich ernst genommen werden, sondern auch aus Gründen der praktischen Umsetzbarkeit: Eine Kirche, die alle Ebenen des kirchlichen Lebens von der Familie über die Pfarrei, die Region, das Bistum, die nationalen und kontinentalen Bischofskonferenzen bis nach Rom synodal strukturieren und aufeinander abstimmen möchte, wäre kaum mehr entscheidungs- und handlungsfähig; sie würde an der Komplexität ihrer Strukturen zu Grunde gehen. Daher müssen in einer synodalen Kirche das Subsidiaritätsprinzip und die Eigenverantwortung deutlich stärker ausgeprägt sein als heute. Das fordert nicht nur jene heraus, die Macht und Einfluss abgeben müssen, sondern auch jene, die auf ihrer jeweiligen Zuständigkeitsebene mehr Verantwortung übernehmen müssen. Sie können nicht mehr «Rom» die Schuld geben oder heikle Fragen nach oben delegieren, sondern müssen selbst entscheiden und selbst für die Folgen ihres Tuns und Lassens einstehen.
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Eva-Maria Faber ist Professorin für Dogmatik und Fundamentaltheologe an der Theologischen Hochschule Chur.
Daniel Kosch ist Theologe mit Schwerpunkt Neues Testament und Generalsekretär der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz der Schweiz (RKZ)
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