Eine Wortmeldung von Daniel Kosch zum Beitrag von Moritz Bauer, Synodalität pfadabhängig gelesen.
Das von Moritz Bauer in die Diskussion um synodale Wege in der Schweiz eingebrachte Konzept der Pfadabhängigkeit finde ich sehr hilfreich. Es ermöglicht, die Eigenheiten synodaler Wege in verschiedenen Regionen und auf unterschiedlichen Ebenen zu verstehen und sie nicht vorschnell zu bewerten. Zugleich macht es bewusst, wie wichtig es ist, Synodalität als Weg bzw. als Netz von Wegen und nicht als Folge einzelner synodaler Episoden zu verstehen.
Sollen diese Wege nicht in Sackgassen enden oder sich irgendwo im Wald oder im Dickicht verlieren, müssen sie systemisch miteinander verbunden werden. Und so wichtig offene Suchprozesse ohne vorab fixierte Ziele sind: Auch für synodale Wege ist so etwas wie eine Wanderkarte zumindest hilfreich, vielleicht sogar notwendig, um zu verhindern, dass man permanent die gleichen Schlaufen dreht und um eine Basis für eine Verständigungen über Etappen und Zwischenziele zu haben.
eine Wanderkarte, zumindest hilfreich, vielleicht sogar notwendig
Zudem müssen die Pfade, insbesondere wenn sie neu sind, von einer relevanten Zahl von Menschen und Gruppen begangen, mit der Zeit auch befestigt, unterhalten und markiert werden, damit sie mit zunehmender Selbstverständlichkeit und Gewohnheit begangen werden können. Sonst wachsen sie zu, verlieren sich im Wald oder im Gestrüpp. Da das erhebliche Kräfte bindet, müssen dafür bisherige «klerikale» wie auch «duale» Wege entweder verlassen oder so angepasst werden, dass sie künftig «synodal» genutzt werden können. Das erfordert unter anderem die Entfernung mancher Verbotsschilder und Tafeln mit der Aufschrift «nur für Bischöfe», «nur für Männer», «nur mit Missio» oder «nur für staatskirchenrechtliche Behörden». Manche Einbahnstrassen sollten künftig in beiden Richtungen befahren werden dürfen, Einfahrten in klerikale Sackgassen müssen entweder verbaut oder mit Warnschildern versehen werden, bisherige «Schleichwege» sind offiziell zu anerkennen und möglichweise auszubauen. Auch das Budget für den Unterhalt und Ausbau von Wegen, Pfaden und Strassen muss neu verhandelt werden, damit der synodale Umbau nicht nebenbei betrieben werden, sondern mit den nötigen Mitteln ausgestattet wird.
planerische und strategische Entwicklungen angehen
Solche planerischen und strategischen Entwicklungen anzugehen, ist im oft allzu pragmatischen schweizerischen Katholizismus zurzeit eher unpopulär, weil sie dem Dogma «Jeder Kanton, jedes Bistum, jede Region ein Sonderfall» widersprechen und mit so lästigen und anstrengenden Arbeiten wie Verständigung auf gemeinsame Zielsetzungen, Aushandeln von Rechten und Pflichten, Verschriftlichung von Regeln, verbindlichem Planen oder gerechte Verteilung finanzieller Lasten verbunden sind. Da haben es punktuelle synodale Events mit einem spirituellen und einem medienwirksamen «touch» und ohne geklärte Verbindlichkeiten leichter. Auch der Synodalitäts-Diskurs aus Rom ist diesbezüglich wenig hilfreich, weil er zwar zu Recht die spirituelle Dimension hervorhebt, aber die strukturellen und kirchenrechtlichen Aspekte von Synodalität systematisch – und wohl bewusst – unterbelichtet.
Besinnung auf bereits begangene Pfade
Um so wichtiger ist die Besinnung auf bereits begangene Pfade für den Ausbau synodaler Wege in der Schweiz. Ich denke ist dabei etwa an folgende:
- die Stärkung synodaler Elemente im «dualen System» des Miteinanders von hierarchischen kirchenrechtlichen Strukturen und demokratischen staatskirchenrechtlichen Instanzen[1];
- die Synode 72, deren 50-Jahr-Jubiläum derzeit in Erinnerung gerufen wird und die über taugliche Mechanismen verfügte, um die thematische Arbeit auf diözesaner und schweizerischer Ebene intelligent zu verknüpfen[2];
- den Pfad der Öffnung der kirchlichen Dienste für Nicht-Geweihte, der weiterzuentwickeln und nicht unnötig einzuengen ist;
- die gut eidgenössische Tradition, auch im kirchlichen Kontext genossenschaftliche Körperschaften, zivilrechtliche Vereine und (Zweck-)Verbände – und damit gleichzeitig demokratische und flexible Gebilde – zu gründen, um übergeordnete Aufgaben mit Hilfe verlässlicher partizipativer Strukturen wahrzunehmen; dies nicht gegen das kirchliche Recht, sondern ausserhalb desselben (non contra, sed praeter legem);
- das immer neue dynamische Aushandeln des Gleichgewichts zwischen Subsidiarität, wo vielfältige Lösungen Spielräume erweitern, und Solidarität, wo die Bündelung von Kräften Lösungen ermöglicht, die in dezentralen Einheiten nicht möglich wären.
bestehende Ansätze für die Synodalisierung der Kirche weiter entwickeln
Meines Erachtens stehen die wichtigen Akteure im synodalen Prozess, d.h. die an Reformen in Richtung Partizipation interessierten staatskirchenrechtliche Körperschaften (auf lokaler, kantonaler, diözesaner und nationaler Ebene), die grossen Verbände und Reformgruppen wie die Allianz Gleichwürdig Katholisch vor einer zweifachen Aufgabe:
Es gilt einerseits, im Dialog und in Auseinandersetzung mit den Bischöfen und pastoral Verantwortlichen im Sinne hilfreicher Pfadabhängigkeiten die bestehenden Ansätze für die Synodalisierung der Kirche weiter zu entwickeln.
Und anderseits gilt es, zur Transformation hinderlicher, nicht synodaler Muster eine roadmap zu entwickeln und umzusetzen, den Umbau und die Umnutzung der bisherigen Wege in Richtung eines synodalen Wegnetzes an die Hand zu nehmen und dabei die neuen oder anders als bisher genutzten Wege mit den entsprechenden Markierungen, Befestigungen und Wegbeschreibungen zu versehen[3].
Ich vermute, dass die Kirche in anderen Ländern und auf anderen Ebenen vor grundsätzlich vergleichbaren Aufgaben stehen, auch wenn sich die Pfadabhängigkeiten und das «Gelände», durch welches die synodalen Wege führen sollen, stark voneinander unterscheiden. In diesem Sinn ist zu hoffen, dass die am kontinentalen und weltweiten synodalen Prozess Beteiligten nicht nur schweizerische Erfahrungen in die Weltkirche einbringen, sondern ebenso kraftvolle Impulse aus anderen Ortskirchen in die Prozesse und Suchbewegungen in die Schweiz zurückbringen[4].
Beitragsbild: Peter H / Pixabay
[1] Vgl. dazu Daniel Kosch, «Synodal» ist mehr als «dual» – Stärken und Entwicklungsbedarf der schweizerischen Kirchenstrukturen auf dem Weg zu einer synodalen Kirche: https://www.unifr.ch/ius/religionsrecht/de/forschung/publikationen/irpapers.html.
[2] Vgl. dazu Felix Senn, 50 Jahre Synode 72 in der Schweiz: https://www.feinschwarz.net/50-jahre-synode-72-in-der-schweiz/ ; Tagsatzung.ch https://www.tagsatzung.ch/synode22/; Salvatore Loiero u.a., Synode 72 – im heute gelesen (Praktische Theologie im Dialog 60), Basel 2023.
[3] Vgl. dazu die Hinweise von Daniel Kosch, Mitverantwortung heisst Mitentscheiden, Teile I und II: https://www.feinschwarz.net/mitverantwortung-heisst-mitentscheiden/; https://www.feinschwarz.net/mitverantwortung-heisst-mitentscheiden-ii/.
[4] Für Pfade weltkirchlichen Lernens steht auf gesamtschweizerischer Ebene vor allem das Hilfswerk Fastenaktion (www.fastenaktion.ch). Im Hinblick auf den deutschen Synodalen Weg ist dafür auf die Publikation «Weltkirche im Aufbruch. Synodale Wege» (Sonderpublikation aus dem Verlag Herder), Freiburg 2022 hinzuweisen, die auch für die Schweiz sehr brauchbare Impulse enthält.