Unter dem Titel «Synode als Chance»[1] sorgte eine Tagung in Würzburg für historisch geschärfte, international offene und interdisziplinäre Blicke auf die Wirkung synodaler Ereignisse. Daniel Kosch ordnet ein und zeigt auf, wie auch Reformkatholik:innen um ein gemeinsames Verständnis von Synodalität ringen.
Einleitend zu einem Podium zur Frage, ob der Synodale Weg «innovativ? konstruktiv? effektiv?» gewesen sei, bemerkte die Radio-Jounalistin Christiane Florin, man wisse aus der Forschung, dass Leser:innen Fragezeichen in Titeln überlesen. Fragen werden demzufolge als Affirmationen wahrgenommen. Um also eine echte Frage zu markieren, hätten die Veranstalter:innen der Tagung also Alternativen anbieten müssen: innovativ oder stabilisierend? konstruktiv oder destruktiv? effektiv oder wirkungslos?
Das aber entsprach nicht ihrer Absicht. Denn der Titel der Tagung, die vom 1. bis 3. Juni 2023 in Würzburg stattfand, machte eine klare Ansage: «Synode als Chance. Was Kirche braucht, damit sie weitergeht». Organisiert war sie von vier Professor:innen. Drei sind aktiv am Synodalen Weg beteiligt: Julia Knop (Erfurt), Tine Stein (Göttingen), Matthias Sellmann (Bochum). Der vierte, Matthias Reményi, sorgte als Gastgeber in Würzburg dafür, dass die Veranstaltung in einem für die Geschichte der Synodalität der katholischen Kirche in Deutschland wichtigen Raum stattfand: in der Caféteria der Würzburger Synode, wo zwischen 1973 und 1975 viele Lösungen für knifflige Verfahrensfragen vorbesprochen und eingefädelt wurden.
Von Würzburg und Dresden über Australien und Amazonien nach Frankfurt und Rom
Passender hätte das Setting für eine Tagung kaum sein können, die dem Ereignischarakter und der Performanz synodaler Prozesse gewidmet war. Sie war historisch, interdisziplinär und international angelegt. Und sie spannte einen weiten Bogen von den Synoden in Würzburg (1971-1975) und Dresden (1973-1975) über das Plenarkonzil in Australien (2018-2022), die Amazioniensynode (2019) und die erste Etappe des Synodalen Weges in Frankfurt (2019-2023) bis zur derzeit stattfindenden Weltsynode (2021-2024), deren nächste wichtige Etappe die synodale Versammlung im Oktober 2023 in Rom sein wird.
Was die Veranstalter:innen bei ihrer Planung noch nicht wissen konnten: Nicht nur der Ort, sondern auch der Zeitpunkt war bestens geeignet, um zu diskutieren, was für Dynamiken synodale Ereignisse auslösen und inwiefern sie jenseits der Umsetzung und (römischen) Ratifikation der Beschlüsse performativ wirken und Transformationsprozesse in Gang setzen. Denn zwischen der vorerst letzten Versammlung des Synodalen Weges in Frankfurt anfangs März 2023 und der Tagung in Würzburg lagen nicht nur rund 10 Wochen, sondern auch signifikante Entscheidungen und Ereignisse.
Katholische Widerspruchswelten – drei Beispiele
Erstens die Annahme des Rücktritts von Bischof Franz-Josef Bode durch den Papst. Mit diesem Rücktritt und der darin zum Ausdruck kommenden Übernahme von Verantwortung für im Zusammenhang mit dem Missbrauchskomplex begangene Fehler bestätigte einer der wichtigsten Promotoren des Synodalen Weges dessen Kernanliegen, Missbrauch und dessen Vertuschung nicht nur wortreich zu beklagen, sondern daraus Konsequenzen zu ziehen. Dass der Bischof von Rom gleichzeitig die Zukunft eines der einflussreichsten Kritiker des Synodalen Weges, Kardinal Rainer Maria Woelki, trotz begründeter Kritik an dessen Umgang mit dem Missbrauchskomplex in der Schwebe lässt und damit nachhaltige Schäden für die katholische Kirche über Deutschland hinaus in Kauf nimmt, erzeugt einen performativen Widerspruch, mit dem wichtige Chancen des Synodalen Weges verspielt werden.
Beraten und Entscheiden verknüpfen
Zwei weitere, ebenfalls auf «katholische Widerspruchswelten» (Gregor Maria Hoff) hinweisende Entwicklungen in der Zeit zwischen der letzten Synodalversammlung in Frankfurt und der Tagung in Würzburg betreffen das wichtige Verhältnis von «beraten» und «entscheiden». Einerseits hat Papst Franziskus entschieden, für die ursprünglich als Bischofsversammlung konzipierte Synode im Oktober 2023 in Rom 70 nicht-bischöfliche Mitglieder mit Stimmrecht zu ernennen. Damit verknüpft er die Synode in Rom wenigstens anfanghaft mit den partizipativ angelegten Prozessen auf der Ebene der Diözesen, Bischofskonferenzen und kontinentalen Versammlungen, und überwindet die im geltenden Kirchenrecht strikte Trennung zwischen dem Beraten (decision-making), das viele beteiligt, und dem Entscheiden (decision-taking), das den Amtsträgern vorbehalten ist. Er macht damit in Rom möglich, was Kritiker des Synodalen Weges in Frankfurt für unzulässig hielten und entwickelt damit das Verständnis von Synodalität in Richtung von mehr Partizipation weiter. Gleichzeitig aber wurde bekannt, dass die Deutschen Bischöfe sich bisher nicht über die Finanzierung der synodal und mit ihrer Zustimmung beschlossenen Weiterarbeit im Synodalen Ausschuss haben verständigen können, was auf Versuche hindeutet, synodales Miteinander zu erschweren.
Eine dritte Entwicklung betrifft die Umsetzung direkt die Pastoral betreffender Beschlüsse des Synodalen Weges: So erinnerte Rom einerseits an die bereits erteilte Absage betreffend die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare und stellte bezüglich Taufe und Predigt von Laien die Ampel auf Rot. Dennoch geht die Umsetzung in einzelnen Bistümern weiter.
Diese gegensätzlichen, wenn nicht widersprüchlichen Entwicklungen sind insofern aufschlussreich, als sie exemplarisch auf die konkrete Relevanz von Themenstellungen aufmerksam machen, welche die Dynamiken und Diskussionen im Verlauf der Tagung prägten.
Echte Synodalität erfordert systemische Veränderungen
des Bischofsamtes
Von Synodalität kann man nicht sprechen, ohne auch vom Bischofsamt zu sprechen. Eine synodale Ekklesialität ist ohne Transformation des Verständnisses und der rechtlichen Ausgestaltung des Bischofsamtes nicht zu haben. Und vom Bischofsamt kann man nicht nur in Deutschland, sondern auch weltweit nicht sprechen, ohne vom Missbrauch und dessen systemischen Ursachen zu sprechen. Eine «Synodalität», die das Bischofsamt nicht systemisch verändert, verdient ihren Namen nicht. Erforderlich ist ein Übergang «von der bischöflichen Kollegialität zur synodalen Ekklesialität». Dass mit Rafael Luciani ein lateinamerikanischer Theologe dieses Postulat einbrachte, macht deutlich, dass es dabei nicht um einen «deutschen Sonderweg» geht.
Auf dem Synodalen Weg wurde bereits vollzogen,
was zur Debatte stand: echte Gewaltenteilung
Synodale Prozesse entfalten unabhängig von der kirchenrechtlichen Verbindlichkeit ihrer Beschlusstexte Wirkung. Gregor Maria Hoff bezeichnete es als «Weichenstellung, dass nicht nur über Macht und Gewaltenteilung gesprochen wird, sondern dass im Prozess gemeinsamer Beratungen und Entscheidungen sich genau das ereignet, was verhandelt wurde. […] Indem sich die Bischöfe auf die Geschäftsordnung des Synodalen Weges festgelegt haben […] haben sie bereits vollzogen, was zur Debatte stand: echte Gewaltenteilung».
Etwas Ähnliches hat sich im Laufe der Weltsynode ereignet: Vorerst ohne die rechtlichen Grundlagen zu verändern, hat Papst Franziskus das Verhältnis von Beraten («decision-making») und Entscheiden («decision-taking») neu konfiguriert, indem er Nicht-Bischöfe an zwar nicht abschliessenden, aber doch sehr bedeutsamen Entscheidungen über das Synodendokument beteiligt. Diese auch als «revolutionärerer Millimeter» bezeichnete Entscheidung macht allerdings – ähnlich wie bischöfliche (Nicht-)Umsetzung – die Fragilität von im Prozess errungenen «Weichenstellungen» sichtbar. Solange sie nicht in verbindliches Recht transformiert sind, in dem Mitsprache nicht mehr nur optional ist, kann die «Weiche» jederzeit wieder umgestellt werden. Allerdings hat die Bereitschaft, diese Art von «Mensch ärgere dich nicht auf katholisch» mitzuspielen, im Vergleich mit der Zeit der Synoden in Würzburg und Dresden deutlich abgenommen. Viele verlassen das Spielfeld, manche, die sich engagiert haben, fühlen sich missbraucht, wieder andere sind nicht mehr bereit, solche Spielregeln zu akzeptieren.
Synodale Ekklesialität verträgt Differenzen,
nicht aber unvereinbaren Gegensätze
Auch wenn auf dem Weg zu einer synodalen Ekklesialität Differenzen, Spannungen und uneindeutige Signale unvermeidlich sind, erreichen diese – und damit auch das Vertrauen in die Performanz synodaler Prozesse – dort ihre Grenzen, wo Unterschiede als unvereinbare Gegensätze oder (Selbst-)Widersprüche interpretiert werden, die nicht mehr miteinander vermittelt werden können.
Welche Anforderungen müssen erfüllt sein,
damit sich «Synodalität als Chance» erweist?
Obwohl das Tagungskonzept nicht auf Kontradiktion und Kontroverse angelegt war und auch unter den Tagungsteilnehmenden ein unausgesprochenes, aber weithin spürbares Einverständnis mit dem Titel «Synode als Chance» bestand, gab es durchaus Momente und Wortmeldungen, die erahnen liessen, dass selbst im von Journalisten als «Klassentreffen» bezeichneten Kreis aller Teilnehmenden der Weg zu einem gemeinsamen Verständnis von «Synodalität auf katholisch» zwar vielleicht kein «schweres», aber doch ein «Ringen» und keineswegs ein «Spaziergang» wäre, wie es John Warhurst eindrücklich in seinem Bericht über die Vorgänge rund um das Australische Partikularkonzil schilderte. Anders gesagt: Welche Anforderungen erfüllt sein müssen, damit sich «Synode als Chance» erweist, ist nach der Tagung auch unter Reform-Katholik:innen noch nicht ausdiskutiert:
- Unterschiedliche Äusserungen darüber, ob mit dem Synodalen Weg wirkliche Veränderungen in Gang gekommen sind, lassen auch auf stark divergierende Verständnisse von «echter Synodalität» schliessen.
- Mehrfach blitzte auf, dass die Bedeutung des Bischofsamtes als Grundpfeiler für das Selbstverständnis der katholische Kirche im Einzelnen unterschiedlich gesehen wird: Handelt es sich notwendiger Weise um ein hierarchisches Amt, oder ist schon ko-klerikal, wer seine unaufgebbare und fundamentale Bedeutung betont?
- Unterschiedlich wären auch die Antworten auf diese Frage ausgefallen: War es ein Fehler, in der Geschäftsordnung des Synodalen Weges auf das Prinzip «one person – one vote» zu verzichten und das faktische Vetorecht einer bischöflichen Minderheit zu akzeptieren? Oder sind entsprechende Regeln der Anerkennung der besonderen Verantwortung der Bischöfe geschuldet?
Inspirierende Horizonterweiterungen
Der Erkenntnisgewinn der Tagung bezüglich dieser wichtigen Fragen besteht vor allem darin, wie hilfreich es ist, sie über theologische und kirchenpolitische Engführungen hinauszuführen. Es war inspirierend, sie vor dem weiteren Horizont zu diskutieren, der sich auftut, sobald man ihnen historische Tiefenschärfe gibt, den gesellschaftspolitischen Kontext einbezieht, ihren weltkirchlichen und ökumenischen Dimensionen Rechnung trägt, sowie die Beiträge anderer Disziplinen wie der Politologie, der Rechtswissenschaften, der Organisationslehre berücksichtigt. Zu diesem weiteren Horizont gehören auch die geistliche Dimension und die Verankerung des synodalen Hörens in der biblischen Überzeugung, dass nicht nur das kirchliche Miteinander, sondern der Glaube selbst vom Hören kommt (vgl. Röm 10,17). Eine stärkere Berücksichtigung dieses Aspektes hätte den akademischen Charakter der Tagung nicht beeinträchtigt, sondern vielleicht dazu beigetragen, aus dem «Denken» noch tiefer ins «Nach-denken» zu kommen.
Nicht nur weil Leser:innen Fragezeichen in Titeln überlesen, taten die Veranstalter:innen gut daran, den Tagungstitel als Statement zu formulieren: «Synode als Chance». Dennoch nehme ich zusätzlich zum Statement eine Frage mit: «Was braucht Kirche, damit sie weitergeht?»
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Daniel Kosch, Dr. theol., leitete von 1992-2001 die Bibelpastorale Arbeitsstelle des Schweizerischen Katholischen Bibelwerks und war von 2001-2022 Generalsekretär der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz der Schweiz (RKZ) . Von 2020 bis 2023 nahm er als Beobachter aus der Schweiz am Synodalen Weg der katholischen Kirche in Deutschland teil. 2023 publizierte er ein Buch zum Thema «Synodal und demokratisch. Katholische Kirchenreform in schweizerischen Kirchenstrukturen» (Edition Exodus).
[1] https://synode-als-chance.de. Es ist vorgesehen, die Tagungsbeiträge in Buchform zu veröffentlichen.