Lukas Moser ist beides: Theologiestudent und Fitnesstrainer. Warum das für ihn hervorragend zusammenpasst, erfahren Sie im heutigen Beitrag.
Ich arbeite als Personal Trainer in einem Fitnessstudio. Zugleich bin ich aber auch Theologiestudent. In dem Fitnessstudio, in dem ich tätig bin, verhält es sich weniger anonym wie in dem einen oder anderen Fitnessbunker. Entsprechend zügig kommt man mit den Leuten ins Gespräch. Dann dauert es meistens auch nicht lange und die obligatorische Frage wird gestellt: „Und was machst du, wenn du nicht hier arbeitest oder trainierst?“ Auf meine Antwort, dass ich Theologie studiere, reagieren viele mit Irritation. Meistens kann man es schon am Runzeln der Stirn erahnen, dass das Bild eines Theologen oder einer Theologin nicht mit einem Ort wie dem Fitnessstudio verbunden wird. Viele vermuten naheliegender Weise einen Sportstudenten vor sich zu haben.
Es passt einfach.
Doch das Fitnessstudio und die Theologie harmonisieren besser als man es auf den ersten Blick vermutet. Für mich selbst war es nie eine Frage, ob es zusammenpasst. Es passt einfach. Die Frage müsste meiner Meinung nach eher lauten: Warum passt es?
Ich kenne zwei Modi, diesen Ort – oder etwas zynischer formuliert, den Tempel des Narzissmus – wahrzunehmen: Als Fitnesstrainer und als trainierender Theologiestudent. Vormittags wird Theologie studiert. Nachmittags wird der Körper trainiert. Ich brauche meine regelmäßige Dosis Krafttraining und damit einen Ausgleich zur geistigen Anstrengung in Hörsaal und Seminarraum. Die körperliche Belastung befreit meinen Geist. Es ist mir unmöglich während intensiver Übungen zu denken. Wenn ich viel Gewicht bewege, bin ich zwar voll konzentriert, denke aber nicht. Ich existiere einfach. Die Entwicklungen, die der Körper im Laufe der Monate und Jahre nimmt, kosten Kraft, machen ihn zugleich aber physisch stärker.
Es braucht Zeit und geschieht nicht von heute auf morgen.
In Zeiten der Fast-Food-Generation muss alles möglichst unmittelbar eintreten. Aber gerade im Fitnessstudio muss man einen langen Atem haben. Egal ob Fettreduktion oder Muskelzuwachs, beides braucht seine Zeit und geschieht nicht von heute auf morgen. Vor allem während des Trainings beobachte ich zwischen meinen Übungen wie die Fitnesstempelbesucher dem Körperkult huldigen. Sie sitzen an den Geräten, drücken und pressen die Gewichtsscheiben nach oben, schwingen die Hanteln und bringen die Cardiogeräte zum Tönen. Sie strengen sich an. Die einen mehr, die anderen weniger. Doch jeder und jede versucht den eigenen Körper, egal ob in Sachen Ausdauer, Kraft oder Beweglichkeit, ein Stück zu verbessern, und das jede Woche aufs Neue.
Das körperliche Training bietet jedoch mehr als nur den gesundheitlichen Aspekt. Es sorgt dafür, sich nicht gehen zu lassen, sich aufzuraffen und etwas für sich selbst zu tun. In der Herrenumkleide fällt Woche für Woche derselbe Satz: „Das beste am Training ist, wenn es vorbei ist.“ Weil dann die Belohnung einsetzt. Das Gefühl den inneren Schweinehund überwunden zu haben und sich ein kleines Stück besser/wohler zu fühlen. Kurzfristig geht es weniger darum, den Umfang am Arm zu steigern, als mehr darum, mit einem guten Gefühl nach Hause zu gehen.
Es gibt natürlich auch einen nicht geringen Anteil an Menschen, die diesen Ort nicht aufsuchen, um dem Körperkult zu huldigen, sondern um Begegnung zu erfahren. Für diese Menschen steht nicht unbedingt der eigene Körper im Mittelpunkt des Trainings, sondern die Gelegenheiten mit anderen ins Gespräch zu kommen; um nach dem Training und der obligatorischen Saunarunde einen Kaffee zu trinken und zu plaudern.
Querschnitt der gesamten Breite der Gesellschaft
Neben all den Beobachtungen, die man an diesem Ort erlangen kann, liegt das Besondere von diesem Ort in der Fülle der unterschiedlichsten Menschen, die er in sich vereint. Er bildet einen Querschnitt der gesamten Breite der Gesellschaft ab. Dies wird mir immer wieder aufs Neue bewusst. Denn bei uns im Gym trainieren alle: Von der Putzfrau oder dem Krankenpfleger, über den Zuhälter, bis hin zur Professorin oder dem Richter. Die Herausforderung, der ich mich als Personal Trainer jedes Mal neu stellen muss, ist es, mich auf die so vielen verschiedenen Typen neu einzustellen.
Die meisten Theologinnen und Theologen kennen diese Herausforderung – dem einzelnen individuell und authentisch zu begegnen. Im Fitnessstudio geht es nicht darum bei jedem und jeder das gleiche einstudierte Programm abzuspielen, die standardisierten Ausdauer- und Körperfett-Checks abzuspielen und die immer gleichen Geräte und Übungen zu empfehlen; vielmehr geht es zunächst darum zu erfahren, welcher Mensch vor einem steht und entsprechend ein spezielles Fitnessprogramm zu entwerfen. Die Person sollte weder über- noch unterfordert werden. Jeder Mensch ist einzigartig. Jeder Körper ist anders. All diese Dinge gilt es zu beachten, wenn sich die Frage stellt: Was kann ich tun, damit die Person vor mir möglichst gut ihre Ziele erreicht?
Es geht um Empathie, das Einlassen auf die andere Person.
Als Trainer ist es für mich wichtig, mich jedes Mal neu auf mein Gegenüber und seine Lebenswelt einzulassen, mich nicht zu verstellen und Zeugnis zu geben, aber auch eigene Schwächen eingestehen zu können. Ausschlaggebend ist es nicht, mit bloßen Gesundheitspredigten und Fachvokabular um sich zu werfen. Wichtiger ist es, eine Sprache zu verwenden, die die Menschen verstehen. Nur so kann mein Gegenüber nachvollziehen, weshalb wir jene Übung ausführen und was es im Bewegungsablauf zu beachten gilt. Wichtig ist es für mich, bei jedem Kundengespräch, bei jeder Zielsetzung, die weder zu utopisch noch zu kleinschnittig sein darf, die Person vor mir in ihrer Lebenswirklichkeit abzuholen. Es geht folglich um Empathie, das Einlassen auf die andere Person. Nur so kann eine Basis geschaffen werden, mit der die angepeilten Ziele erreicht werden können. Gleiches findet sich auch im Slogan unseres Fitnessstudios wieder „Wir gehen mit dir“.
Was mich bei meiner Arbeit im Fitnesstempel am meisten erfüllt, ist, wenn ich die Fortschritte und die Bemühungen der Menschen sehe. Dabei spielt es keine Rolle wie groß oder klein die Fortschritte sind. Hauptsache ich sehe, dass sich etwas in die richtige Richtung entwickelt. Oft reicht es auch schon nur durch kleine Hinweise und Tipps oder ein paar aufmunternde Worte zum Erfolg der Menschen beizutragen. Als Theologe ist es mir wichtig, neue, fremde Orte zu erkunden und an Orte zu gehen, die wir bisher noch nicht als Kirche kennen.
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Lukas Moser studiert Theologie und Geographie in Tübingen und beginnt demnächst ein pastoralgeographisches Promotionsprojekt in Innsbruck.
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