Eine aktuelle Ausstellung der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen beleuchtet The Problem of God. Die Folie des Terrors wird in diesen Tagen unfreiwillig über das Thema der Ausstellung gezogen. (Arnd Bünker)
Kunst und das Gottesproblem der Terroristen
Der Katalog ist eindrucksvoll, der die Ausstellung „The Problem of God“ in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen dokumentiert. Vor wenigen Tagen traf er zur Rezension ein. Freitagnacht überdeckten die Terroranschläge in Paris die Auseinandersetzung mit dem Katalog und mit der Ausstellung. Der Terror lässt sich nicht vom problem of God trennen. Er beruft sich schliesslich selbst auf Gott. Der Terror ist übermächtig laut und vereinnahmt nun auch den Blick auf die Bilder und Werke von zahlreichen Künstlerinnen und Künstlern. Deren Werke führen jedoch ihrerseits zu einer neuen Einschätzung des Gottesproblems der Terroristen.
Kunst: säkular aber nicht gottlos
Längst ist die Kunst aus jeder unmittelbaren Religionsbindung hinausgewachsen. Sie hat sich emanzipiert und säkularisiert. Aber sie arbeitet sich nach wie vor an den tradierten christlichen Bildbeständen ab, die jetzt zu einem kollektiven Schatz geworden sind. Dieser Schatz, diese Schätze, sind für jede und jeden offen und können je eigenständig gedeutet und weiterentwickelt werden. The Problem of God liegt in künstlerischer Hinsicht wie aus der Perspektive der Kunstbetrachtenden im eigenen Ermessen.
Die traditionellen (Vor-)Bilder sind aber nach wie vor wirkmächtig. Sie lassen sich leicht in den zeitgenössischen Werken wiederfinden, welche die Ausstellung präsentiert. So führt das „säkulare“ Kunstschaffen jene Themen und Bilder weiter, die seit langem zu allgemeinen Kulturbeständen geworden sind.
Zwei Linien der Säkularisierung, hier genauer: der Verweltlichung Gottes, werden in der Ausstellung sichtbar. Der Ausstellungskatalog weist deutlich auf sie hin: Das Verschwinden Gottes in die Abstraktion auf der einen Seite und auf der anderen Seite die verweltlichende und verleiblichende Konkretisierung Gottes im Menschen, im leidenden, im schmerzverzerrten und im zerstörten Menschenkörper. Das christliche Wort kommt in Erinnerung: Inkarnation, Fleischwerdung.
Bilderverbot und Ironie
Das Verschwinden Gottes in die Abstraktion thematisiert das Problem Gottes als Echo des biblischen Bilderverbotes. „Du sollst Dir kein Gottesbildnis machen.“ Dieses Verbot, das in seinem Kern darauf zielt, den einzigen Gott jeder weltlichen Instrumentalisierung zu entziehen, hallt z.B. in den Arbeiten von Robert Rauschenberg oder Ad Reinhardt nach. Sie lassen „Gott“ mehr oder weniger im Weiss (Rauschenberg) oder im Schwarz (Reinhardt) verschwinden. „Gott“ wird in ihren Kunstwerken zur Leerstelle. Gott ist nicht weg, aber seine Gegenwart wird zu einer offenen Frage, zu einer Möglichkeitsbehauptung vielleicht oder auch nur zu einer fernen Erinnerung, einer Ahnung höchstens. Ad Reinhardt bringt das Problem Gottes aus Künstlersicht so auf den Punkt: „Gott (…) zeigt sich nicht als Kunstliebhaber.“
Gottes Verschwinden aus der Welt zeigt sich auch in den ironischen Arbeiten von Hubert Kiecol, der nur noch einen Heiligenschein zitiert, oder in den Arbeiten von Katharina Fritsch, die Heiligenfiguren als Produkte und Madonnen als Massenware zeigt. Gott verschwindet hinter der ironischen Brechung von Bildern, denen längst der Respekt entzogen wurde.
Gott als Leerstelle oder als ironisch verstandenes Zitat: hier wird das Bilderverbot erfüllt und damit, gewollt oder ungewollt, das „Bekenntnis“ zu einem Gott wiederholt, der/die nicht zur Instrumentalisierung bereit steht.
Verkörperlichungen
Die andere Grundform der künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Problem Gottes zeigt gerade keine Abstraktionen und keine Ironie. Im Gegenteil sind die künstlerischen Auseinandersetzungen sehr ernst und sehr konkret – schmerzhaft konkret. Ein grosser Anteil der präsentierten Kunstwerke zum Problem Gottes zeigt Menschen und verweist auf ihre Leiden. Leidende, schmerzverzerrte Menschen, zerstörte Körper, verzerrte Leiber, zerschnitten, deformiert, verbraucht, tot. Das Echo des Gekreuzigten, des Schmerzensmannes, hallt überdeutlich in der modernen Kunst nach. Die absurd geformten Körper von Berlinde de Bruyckere, die Kreuzigungsbilder von Francis Bacon, die toten und reglosen Menschengestalten von Paloma Varga Weisz, das Blut in den Arbeiten von Hermann Nitsch oder die verstörenden Entblössungsfotos von Boris Mihailov lassen sich als Bilder über die Inkarnation Gottes heute lesen.
Dazu kommen die Darstellungen menschlicher Handlungen wie Gehen, Essen, Tasten und Berühren (z.B. Harun Farocki, Michael Borremans Francis Alys), welche auf die Möglichkeit Gottes bezogen sind. The Problem of God wird angedeutet in den Handlungen konkreter Menschen, die sich auf Gott beziehen, ohne Gott dingfest zu machen. Er/Sie bleibt entzogen. Die Menschen scheinen allerdings gerade angesichts dieser Verborgenheit um so deutlicher in den Kunstwerken auf. Es scheint, als zeige die Kunst den Menschen angesichts der blossen Möglichkeit Gottes noch eindringlicher.
Der Nihilismus des Terrors
Und der Terror? Terroristen, die mit Gottesgeschrei ihr Werk verrichten, negieren Gott – zumindest gemäss den Gottesspiegelungen und Gottesbrechungen, wie sie die Gegenwartskunst zeigt.
Terroristen beantworten das Problem Gottes durch den Versuch seiner totalen Auslöschung. Noch die Leerstellen wollen sie zerstören, so z.B. durch die Schleifung uralter Ruinen des Gottesgedenkens, die längst Leerstellen Gottes geworden waren, in denen sich Gott aber nicht aufgelöst hatte, sondern in denen Gott als offenes problem of God präsent blieb. Die Zerstörung uralter Stätten der Gotteserinnerung ist der Versuch, aus Gott nichts zu machen, Gott endgültig zum Verschwinden zu bringen.
Die Gottlosigkeit der Terroristen zeigt sich schliesslich und vor allem im Terror gegen Menschen. Dieser Terror speist sich aus dem Vergessen oder Verdrängen, vermutlich auch und vor allem aus der Ablehnung der Gegenwart oder doch mindestens des Bildes Gottes im leidenden, im schmerzerfüllten, im geschundenen und gemordeten Menschen.
Terror im Namen Gottes ist – zumindest im Spiegel der „Theologien der Gegenwartskunst“ – ein Selbstwiderspruch. Der Gottesschrei mancher Terroristen zeigt sich so als nichts anderes als der Schrei eines hoffnungs- und perspektivlosen Nihilismus. Das ist die Religion der Terroristen: Nihilismus.
Den anderen bleibt Gott als problem of God. Es zeigt sich in den Opfern des Terrorismus, in den Trauernden und in den Haltungen und Handlungen derer, die zusammenstehen, die einander die Hand reichen, die das problem of God aushalten, verwundbar zwar, aber nicht hoffnungslos.
Arnd Bünker, Bilder: Kunstsammlung NRW
Der Katalog zur Ausstellung: The Problem of God, hg. von der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, Kerber Verlag, 2015, ISBN: 978-3-7356-0150-6
Die Ausstellung der Kunstsammlung in Düsseldorf (K 21) ist noch bis zum 24. Januar 2016 geöffnet.