Seit 2021 sind die ersten Folgen von The Chosen – einer Jesus-Verfilmung im Serienformat – verfügbar. Kira Beer, Sophie Zawodnik, Anna Viktoria Knorreck und Christian Gers-Uphaus ziehen nach einem gemeinsamen Seminar im Sommersemester ein kritisches Fazit im Hinblick auf die 1. Staffel.
„Kein Bibelfilm, sondern eine Jesus-Erfahrung“[1] – so will die Serie The Chosen das Wirken Jesu vor allem im Licht derer darstellen, die ihn in seinem Leben begleitet haben. Sieben Staffeln sollen die Geschichte auf Basis der vier Evangelien mit einer fiktiven Ausgestaltung einiger Charaktere erzählen. Regisseur der Serie ist der US-amerikanische Filmemacher Dallas Jenkins.
Die Serie entwickelt eine immer größere Reichweite und wird derzeit auch verstärkt im Religionsunterricht genutzt. Gleichzeitig ist (noch) wenig Literatur zur Reflexion und theologischen Einordnung derselben vorhanden. Daher möchten wir mit drei Aspekten zu einer kritischen Auseinandersetzung mit der Serie und den damit vermittelten theologischen Aussagen und Annahmen anregen.
Eindruck, dass hier ein „Evangelium nach Jenkins“ entsteht.
Exegetische Einordnung
Das Drehbuch zu einer Folge entsteht in mehreren „Redaktionsstufen“: Dallas Jenkins und seine Entourage ziehen sich zurück und überlegen, welche Elemente sie für eine Folge in den Fokus stellen möchten. Dieser Prozess ist nicht nur ein künstlerischer, sondern im evangelikalen Kontext natürlich auch ein geistlicher, in dem Gebet und Bibellektüre eine zentrale Rolle spielen. Aus wissenschaftlicher Perspektive erscheint dieses Procedere aber zugleich auch hochgradig intransparent hinsichtlich einer Kriteriologie der ausgewählten Stoffe. Anschließend wird das Drehbuch von theologischen und historischen Berater*innen gegengelesen. Letzte Änderungen erfolgen dann mitunter auch noch am Set im Zusammenspiel mit den Schauspielenden. Das letzte und bestimmende Wort hat aber – natürlich – der Regisseur. Des Eindrucks, dass hier ein „Evangelium nach Jenkins“ entsteht, kann man sich nicht erwehren.
Dabei bewegt sich die Serie meistens sehr nah am Text, weicht mitunter aber auch bewusst von ihm ab, wenn beispielsweise Maria Magdalenas Leben als das einer Prostituierten versteckt gezeichnet wird.[2] Durch den von Jenkins de facto angewandten „Evangeliensynkretismus“ gehen ferner die einzelnen theologischen Schwerpunkte der Texte verloren. Auch einige weitere Fehler und Ungenauigkeiten haben sich eingeschlichen. So sind sich Historiker*innen z.B. einig, dass um das Jahr 30 keine Römer in Galiläa stationiert waren.[3] Trotzdem spielen diese in der ersten Staffel eine prägende Rolle in Kafarnaum. Auch über die Auswahl und Gestaltung der Kostüme ließe sich streiten, ebenso die Zuordnung von people of color zu bestimmten gesellschaftlichen Gruppierungen.
Die Frauen in The Chosen
Regelmäßiger Anlass unserer kritischen Auseinandersetzung waren zudem die Frauendarstellungen, die sich in den Folgen der 1. Staffel präsentierten. Jenkins selbst sagt im Gespräch mit den Frauendarstellerinnen der Serie, er habe Frauen hervorheben wollen, weil sie eine entscheidende Rolle innerhalb der Jünger*innenschaft eingenommen haben. (Das wirkt fast ironisch angesichts des Interview-Settings, das exakt das Gegenteil darstellt: Jenkins am Ende eines Tischs stark beleuchtet und neben ihm in schlechtem Licht die vier Frauen.)
Frauen bekommen viel Sendezeit – aber: nicht bereit, klassische Rollenbilder zu sprengen.
Man muss der Serie zugestehen: Frauen bekommen durchaus viel Sendezeit in den einzelnen Episoden. Und das nicht nur durch biblisch überlieferte Rollen, wie die der Maria Magdalena, sondern auch durch eine Ausgestaltung der Frau des Petrus (Eden) oder gänzlich neu erfundenen Frauen, wie z.B. der Frau, die die Hochzeit zu Kana mit bewirtet und damit zur Zeugin des ersten öffentlichen Wunders Jesu wird (S1/E5). Bei jeder dieser Szenen wiederholt sich allerdings ein Muster: Frauen sind in allen Wunder- oder Heilungsszenen diejenigen, die zuerst glauben, während die Männer zunächst skeptisch bzw. ungläubig sind. Trotzdem sind es am Ende die Männer, die Jesus in seine Nachfolge ruft, die Frauen bleiben (zunächst) zurück. Auch Elizabeth Tabish, Darstellerin der Maria Magdalena, sagt, sie habe vor allem in Staffel 2 mit dem Dazustoßen weiterer Frauen zur Gruppe eine traditionellere Rollenverteilung wahrgenommen (Frauen kochen, Männer machen Handwerk).
Natürlich kann man einwenden, dass es eben dem biblischen Zeugnis und den damaligen gesellschaftlichen Verhältnissen entspricht, dass Frauen keine zentralen Rollen einnehmen und dass es das realistischerweise auch abzubilden gilt. Dennoch irritiert es, dass die Macher*innen den Anspruch haben, die Rolle der Frau in The Chosen aufzuwerten und sich dafür auch nicht davor scheuen, neue Szenen und Figuren zu erfinden, dann aber nicht bereit sind, klassische Rollenbilder zu sprengen, sondern in ihnen verhaftet bleiben.
Theologische Prägung und Anspruch von The Chosen
„Reaching a billion people with the authentic Jesus.” Mit keinem geringeren Anspruch, als das Erleben eines authentischen Jesus wirbt die Stiftung Come and See, die das Fundraising für The Chosen organisiert. Auch wenn die Serie in den Augen der Macher*innen nicht als Ersatz für die Bibellektüre genutzt werden sollte, ist der missionarische Anspruch, möglichst vielen Menschen den Zugang zu einem „authentischen Jesus“ zu gewähren, nicht zu übersehen. Nicht zuletzt deshalb wird sie auch in zahlreiche Sprachen übersetzt. Die Serie fokussiert auf Jesus als Mensch. Hinter die Frage, ob es sich um eine authentische Jesusdarstellung handelt, gehört jedoch ein deutliches Fragezeichen gesetzt. In der Serie blitzen immer wieder theologische Konzepte auf, die eine evangelikale Theologie im Hintergrund vermuten lassen. Besonders deutlich wird das nach der Berufung des Simon (S1/E4, 45:00), wenn Jesus diesen zum Menschenfischer möglichst vieler Menschen beauftragt. So weit so bekannt. Jesus schiebt in der Serie aber den Satz hinterher: „Ich werde sie später sortieren.“ In diesem Kontext wirkt diese Aussage wie eine Drohung und exegetisch scheint hier eine durchaus fragwürdige Vermischung von Lk 5,1-11 mit Mt 13,47-50 (Sondergut!) vorzuliegen.
Nicht vergessen: Es handelt sich hier um eine vereindeutigte Darstellung der Evangelien und nicht um diese selbst.
Als Theolog*innen blieben wir so immer wieder mit der Frage zurück, wen die Serie denn nun als ‚the chosen‘, betrachtet, ob nicht sogar exklusivistische Tendenzen sichtbar werden.
Die Ästhetik kommt bei einem jungen Publikum von heute gut an und ist interessanter als die gute alte Bibel. Trotzdem darf man nicht vergessen, wer dahintersteht. Die Serie kommt aus einem evangelikalen Kontext. Das bedeutet nicht, dass sie nicht rezipierbar ist, dennoch sollte man sich immer wieder Gedanken darüber machen, welche Inhalte und Schwerpunkte vermittelt werden und wieso. In der Serie wird ein bestimmtes christologisches Bild entwickelt und wie bei allen Christologien muss die (historische, soziale, …) Einbettung beachtet werden. Nicht zu vergessen, dass die Serie die bereits biblisch angelegte Spannung zwischen der Christologie der Synoptiker und der von Johannes in problematischer Weise de facto nivelliert.
Bei einem Serienformat wie diesem lässt sich nur allzu schnell vergessen, dass es sich hier um eine vereindeutigte Darstellung der Evangelien und nicht um diese selbst handelt.
Aber: Komm, und sieh selbst!
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Autor*innen: Kira Beer und Sophie Zawodnik studieren Theologie in Tübingen, Anna Viktoria Knorreck und Christian Gers-Uphaus promovieren und arbeiten dort als Wissenschaftliche Mitarbeiter*innen und boten im Sommersemester 2023 ein Hauptseminar zu The Chosen an.
Bildquelle: @thechosentvde
[1] https://www.youtube.com/watch?v=wGrMb86_epY (18.08.2023, 11:10 Uhr)
[2] Vgl. Burnette-Bletsch, Rhonda: ‚Tis Pity She’s (Still) a Whore: Mary Magdalene in The Chosen, in: Journal for the Study of the Historical Jesus 20 (2022), 192-201, hier S. 194.
[3] Vgl. Rastoin, Marc: ‚The Chosen‘. Quando Gesù entra nel mondo delle serie, in: La Civiltà Cattolica 2022, 605-613, hier S. 609. Ferner wird in S1/E6 angenommen, dass Jesus der ägyptischen Sprache mächtig war, was als hier behauptetes historisches Faktum schon fast lächerlich anmutet. Vgl. ebd. 610.