Thorsten Dietz hat ein Buch zu Religion und »Gott in Game of Thrones« geschrieben. Ihm gelingt eindrücklich aufzuzeigen, was die Serie als Spiegel unserer Welt zeigt. Eine Rezension von Konstantin Sacher.
›The night is dark and full of terrors‹. Dieser Satz hallt immer noch in mir nach, wenn ich an Game of Thrones denke. Immer wieder wird er wiederholt. Der andere Satz, der sich mir tief eingeprägt hat, ist ›valar morghulis‹, ›all men must die‹. Er wird in der Serie zum Gruß oder Abschied gesprochen oder einfach, um sich und anderen die Tatsache der menschlichen Endlichkeit noch einmal ins Bewusstsein zu rufen. Zwei Sätze, die auf die Dunkelheit und Grausamkeit der Serie verweisen, die von vielen Menschen geliebt wird, aber von ebenso vielen auch wegen genau dieser Dunkelheit und Grausamkeit abgelehnt wird.
Dabei sind beide Sätze ja eher Weisheiten, die nicht nur sprichwörtlich, sondern tatsächlich jedes Kind kennt. Es gilt zwar nicht so sehr für unseren Kulturraum, aber für viele Gegenden dieser Welt, dass man nachts am besten zuhause bleibt, wenn man denn überhaupt eines hat. Und die zweite Weisheit, sie rückt uns gerade jetzt besonders ins Bewusstsein.
Nichts in Game of Thrones könnte nicht durch die Wirklichkeit unserer Welt überboten werden.
Und so gibt es auch nichts in Game of Thrones, keine noch so grausame Szene, die nicht durch die Wirklichkeit unserer Welt überboten werden könnte. Es gibt zwar Fantasy-Elemente wie Untote und Drachen, aber es zeigt sich im Laufe der Serie immer mehr und beweist sich am Ende, dass sie nicht der größte Feind sind. Es sind die Menschen selbst, die die allerschlimmsten Grausamkeiten begehen.
Jeder kennt den Wunsch, sich nicht auch noch in seiner Freizeit mit all dem Grausamen zu umgeben, das uns ja schon in den Nachrichten über die Wirklichkeit stets verfolgt. Aber dennoch braucht es einen Ort, an dem wir die Schrecklichkeiten, den terror, und den uns alle stets umgebenden Tod bearbeiten können. Klassischerweise ist das auch Aufgabe von Religion. Zwar ist heutzutage die Botschaft in Gottesdiensten und kirchlichen Verlautbarungen eher ›Gott liebt dich wie du bist‹ als ›all men must die‹. Doch das war nicht immer so.
„Wenn ihn in der Nacht plötzlichen zwei dämonische Augen anstarren …“
Vor etwa hundert Jahren beschrieb der lutherische Theologe Werner Elert, der später wegen seines Verhaltens in der Zeit des Nationalsozialismus zu Recht in Verruf geraten ist, das religiöse Urerlebnis so:
Der ›Mensch [fährt] plötzlich zusammen. Ihn packt das Grauen. Wovor? Mit einem Grauen fängt vielleicht jede Religion an. Aber hier ist es nicht ein bloßes Gefühl weltlichen Unbehagens, das Gefühl für die Unheimlichkeit, Rätselhaftigkeit, Rationalität der Umwelt. Auch nicht die bloße Furcht vor der eigenen Unzulänglichkeit, vor Altern und Sterbenmüssen. Und auch nicht nur das Gefühl vom Unendlichen erdrückt zu werden. Es ist vielmehr das Grauen, das einer empfindet, wenn ihn in der Nacht plötzlichen zwei dämonische Augen anstarren, die ihn zu Unbeweglichkeit lähmen und mit Gewissheit erfüllen: es sind die Augen dessen, der dich in dieser Stunde töten wird.‹
In dem Zitat finden sich die Grundaussagen der beiden Serien-Zitate vom Anfang direkt wieder: die dunkle Nacht, die voll des Schreckens ist und der Hinweis, dass wir alle einmal sterben müssen. Elerts religiöses Urerlebnis erinnert Theologinnen und Theologen an Rudolf Otto und dessen Buch ›Das Heilige‹, wonach Religion vor allem auch im mysterium tremendum begründet liegt, also in einem ängstigenden Geheimnis. Auch Luthers Rede vom deus absconditus, dem verborgenen Gott, den wir nicht verstehen können, steht bei Elert, wie auch bei Otto, im Hintergrund.
Ein gelehrtes und anregendes Gespräch zwischen Fiktion und Wirklichkeit.
Und so ist es sicher auch kein Zufall, dass der Rudolf Otto- und Luther-Experte Thorsten Dietz nun ein Buch über die Religion in Game of Thrones geschrieben hat. Er geht den Religionen der Welt von Game of Thrones nach, erzählt dabei immer wieder Teile des Epos nach (besonders schön für Serienfans, die sich so wieder an Einzelheiten erinnern, die schon in Vergessenheit geraten waren). Dietz verfolgt einzelne Charaktere besonders und bringt in deren Leben das Religiöse ans Licht. Dabei versteht er die Serie als eine Art Spiegel der Welt, wie er es nennt, und bringt Fiktion mit der Wirklichkeit in ein gelehrtes und anregendes Gespräch.
Nun heißt das Buch aber ›Gott in Game of Thrones‹, was zugegebenermaßen auch besser klingt und mehr Interesse weckt als Religion in Game of Thrones. Aber, dass es nicht nur Marketinggründe waren, die für diesen Titel gesorgt haben, blitzt immer wieder auf, in diesem Buch, das wirklich empfehlenswert ist.“
In Game of Thrones geht es um Götter oder den ›Lord of Light‹. Doch Dietz erzählt uns etwas von Jesus Christus.
Denn eigentlich geht es in Game of Thrones ja nirgends um ›Gott‹ im Singular, der für Thorsten Dietz immer der christliche Gott ist. Höchstens geht es um Götter, alte und neue, oder den ›Lord of Light‹. Doch Dietz erzählt uns etwas von Jesus Christus und wie er Vorbild gestanden haben muss für Jon Snow, einen der Helden der Serie. Er zitiert das Alte und das Neue Testament und reflektiert von dort über die Endlichkeitsvorstellungen der Serie.
Dietz vergleicht und deutet die Serie mit den Beständen der christlichen Tradition aus. Und hier zeigt sich der Fehler, den dieses Buch macht: Es vergisst, dass es für die meisten der Serienfans längst anders herumlaufen müsste: Sie kennen die Geschichte von Jon Snow. Sie wissen genau, wann er was getan und gesagt hat, wen er liebte und wen er hasste. Wem gegenüber er barmherzig war und wem gegenüber er hart, aber (vielleicht) gerecht war. Ja, sie wissen von seinem Sterben und seiner Auferweckung.
Game of Thrones wird selbst zu einer Erzählung mit religiösen Momenten.
Von Jesus aus Nazareth aber haben sie zwar sicher schon gehört. Was genau er in seinem Leben aber so gemacht hat, wie es mit seinem Sterben und seiner Auferweckung war, das ist ihnen höchstens noch als kulturprägendes Hintergrundrauschen irgendwie im Kopf.
Das gleiche gilt für Fragen nach der eigenen Endlichkeit. Die meisten Serienfans werden wissen, wie Jon Snow und die anderen Helden der Serie darüber denken und vielleicht schreiben sie sich selbst zumindest unterbewusst auch hier ein. Aber was die christliche Tradition darüber sagt, das dürfte nicht zum Bestand ihres aktiven Wissens gehören. Und so ist in Bezug auf Religion das eigentlich Interessante an der Serie nicht, wo sie christliche Vorstellungen aufnimmt und weiterdenkt oder wiederbelebt, sondern wie Game of Thrones selbst zu einer Erzählung mit religiösen Momenten werden kann – nicht im theoretischen, sondern im praktischen Sinne.
Wo verfasste Religion vom Dunklen in unserem Leben schweigt, müssen die Menschen sich eben andere Medien suchen.
Gerade in Zeiten und in einer Gegend der Welt, in der die verfasste Religion vom Dunklen in unserem Leben eher schweigt oder simplifizierende Antworten gibt, müssen die Menschen sich eben andere Medien suchen, um nach dem Sinn im Angesicht von Schrecken und Tod zu fragen. Und das geht mit Game of Thrones besonders gut, gerade das zeigt auch das Buch von Thorsten Dietz.
Und trotzdem liest sich das Buch über weite Teile wie eine lange Predigt über Game of Thrones, was eben auch der tiefere Sinn des Titels ›Gott in Game of Thrones‹ sein dürfte. Immer wieder geht Dietz vor wie in einer erzählenden Predigt. Es wird die Geschichte der Serie erzählt und diese dann theologisch ausgedeutet und zwar in einer Weise, die ganz offensichtlich, um es einmal mit diesem altmodischen Wort zu sagen, einen erbaulichen Charakter hat.
Hier und da findet sich ein Drachenei [d.h. ein Hinweis auf Gott].
Dieses erbauliche Programm zeigt sich auch, wenn Dietz in einer Art Regieanweisung schreibt: „Nun sind wir alle auf unser Leben zurückgeworfen. Als Gläubige oder Ungläubige, Skeptiker oder Suchende. Vielleicht mit ein wenig mehr Verständnis für andere Wege. Gläubige können in dieser Serie verstehen lernen, warum Religion auf manche so abschreckend wirkt. Skeptiker können eine Ahnung bekommen, warum Glaubensfragen trotz allem immer wieder aufbrechen.“
Ganz zum Schluss heißt es dann: „Glauben heißt: immer wieder neu mit Gott anfangen. Hier und da findet sich ein Drachenei [d.h. hier ein Hinweis auf Gott, KS]. In alten Bildern und Kirchen. In Liedern und Büchern. Auch dieses Buch will so etwas sein. Ein Drachenei.“
Die dunklen Seiten des Lebens können nicht wegerklärt werden. Sie bleiben und verlangen nach Bearbeitung.
Und es gelingt Dietz in eindrücklicher Weise klar zu machen, dass die Serie als Spiegel unserer Welt zeigt, dass das Geheimnis, das alles umgibt und eben oft sehr dunkel ist, mysterium tremendum, nicht einfach ignoriert werden kann. ›All men must die‹, auch das muss Gottes Wille sein, wenn wir denn an ihn glauben wollen.
Diese dunklen Seiten des Lebens können nicht wegerklärt werden. Sie bleiben und verlangen nach Bearbeitung. Auch unsere Welt ist bestimmt von Mechanismen, die sich rational nicht völlig erfassen lassen und vor denen es uns zu Recht graut. Das zeigt sich in diesem März 2020 besonders deutlich. Es bleibt ein unerklärlicher Rest. Schrecken in jeglicher Form, Tod und Seuchen, wie gehen wir damit um? Eine uralte Frage, die immer aktuell bleibt und gerade, weil sie eben unbeantwortbar ist, ihren Ort auch in der Religion hat. Das zeigt die Serie und das zeigt wunderbar auch Thorsten Dietz.
Was wir der Bibel zuschreiben, kann auch mit anderen guten Geschichten gelingen: das Deuten von Leben und Machen von Mut.
Und Dietz zeigt gleichzeitig, ob bewusst oder aus Versehen, wie das, was wir der Bibel immer zuschreiben, eben auch mit anderen guten Geschichten gelingen kann: das Deuten von Leben und Machen von Mut. Das ist kein Argument gegen die Bibel, keineswegs, aber eines für alle guten Geschichten und deren religiöses Potential.
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Konstantin Sacher ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Systematische Theologie der Universität Leipzig und Schriftsteller.
Bild: Ausschnitt, Buchcover von:
Thorsten Dietz, Gott in Game of Thrones. Was rettet uns, wenn der Winter naht? Überraschende Erkenntnisse über die Religionen von Westeros, Asslar 2020.
Von Konstantin Sacher bereits auf feinschwarz.net erschienen: