James H. Cone (1938–2018) erkannte im Schwarzen Ringen um Befreiung eine Wahrheit des Evangeliums und formulierte eine tiefgreifende Kritik weißer Theologie. Ein Nachruf von Dominik Gautier.
Am 28. April 2018 ist James H. Cone, Mitbegründer der Schwarzen Theologie, im Alter von 79 Jahren gestorben. Zentral für sein Werk war es, die Verwicklung christlicher Theologie in weiße Vorherrschaft aufzudecken und eine Theologie zu entwickeln, die – ausgehend von der Schwarzen Erfahrung der Marginalisierung, des Überlebens und des Widerstands – Rassismus in unserem Zusammenleben den Kampf ansagt. Seine Stimme wird im Ringen um das unabgeschlossene Projekt einer solchen Theologie nun fehlen.
Verwicklung christlicher Theologie in weiße Vorherrschaft
Cone wurde 1938 in Arkansas, in den segregierten Südstaaten, geboren. Er wollte – wie er sagte –, einen Teil der Wahrheit der christlichen Botschaft zur Sprache bringen. In seinem ersten Buch, „Black Theology and Black Power“, das er in nur wenigen Wochen in einem Zimmer der Schwarzen methodistischen Kirche seines Bruders als Reaktion auf die Ermordung von Martin Luther King Jr. verfasste, klang dies so: Die christliche Botschaft in den U.S.A. des 20. Jahrhunderts heißt „Black Power“. In der Selbstbehauptung Schwarzer Menschen und in ihrem Eintreten für Freiheit kommt zum Ausdruck, was Grundmotiv der biblischen Überlieferung überhaupt ist: Gottes Aktivität ist mit der Befreiung der Degradierten identisch.
Gottes Aktivität ist mit der Befreiung der Degradierten identisch.
In einer Aneignung der Theologien Karl Barths und Dietrich Bonhoeffers, die das Evangelium immer auch als einen „Angriff“ auf den Menschen verstanden, entwarf Cone die Schwarze Theologie als einen „Angriff“ auf das weiße Christentum. Dieses könnte nur christlich werden, wenn es sich der Herausforderung stellte, sich in seiner Herrschaftsposition selbst abzuschaffen und sich so dem Ringen um Freiheit anzuschließen. Cone hat diese Gedanken im Laufe seines Lebens weiterentwickelt – in Auseinandersetzung mit der Schwarzen Kirche, Schwarzen Liedtraditionen, dem Aktivismus von Martin Luther King Jr. und Malcolm X, der womanistischen Kritik am Sexismus Schwarzer Theologie und im kritischen Gespräch mit europäischen Traditionen christlicher Theologie.
Schwarze Theologie als einen „Angriff“ auf das weiße Christentum
Seine letzte Arbeit “The Cross and the Lynching Tree” erschien 2011 und kann als eine Vertiefung seines Werkes gelesen werden. Sein ganzes Leben lang habe er über dieses Buch nachgedacht. „The lynching tree is the cross in America“, erklärt er in dieser Arbeit. Um zu verstehen, was das Kreuz bedeute, führe kein Weg daran vorbei, es mit den Lynchmorden an Schwarzen zusammen zu sehen, den Bildern der Gelynchten, die ihn in seinen Träumen heimsuchten. Obwohl die Theologie das Kreuz zum zentralen Symbol des Christentums gemacht habe, sei diese Parallele durch Weiße nie gezogen worden. Für Cone gilt aber: So wie Jesus zum Opfer des Mobs und der staatlichen Gewalt wurde, wurden und werden es auch Schwarzen Menschen – durch Aufknüpfen an Bäumen oder Erschießungen durch die Polizei: „The crucifixion was clearly a first century lynching.“
Das Kreuz mit den Lynchmorden an Schwarzen zusammen sehen.
Es ist das Kreuz Jesu, das Schwarzen die Kraft gibt, nicht aufzugeben, weil – so die Schwarze religiöse Erfahrung – in aussichtsloser Situation Gottes Kraft unter den Unterdrückten erwachse und zum Überleben fähig mache. Nicht aus „Leidenssucht“, sondern aus Protest könnten Schwarze deshalb singen: „Keep me near the cross!“ Für Weiße bedeute das Kreuz damit aber eine Herausforderung: Theologie, die die eigene Eingebundenheit in die Geschichte rassistischer Gewalt ignoriert, ist damit undenkbar. J. Kameron Carter beschreibt Cones letztes Buch als „apokalyptischen Blues“, als ein Buch, dass in der Perspektive des Kreuzes rassistische Verhältnisse aufdeckt und sich eine Zukunft vorzustellen versucht, in der Rassismus wenigstens nicht verschwiegen wird – und die Stimmen derer vernommen werden, deren Stimme immer wieder unhörbar gemacht wird.
„apokalyptischer Blues“
Im Jahr der Veröffentlichung von „The Cross and the Lynching Tree“ habe ich Cone am Union Theological Seminary in New York, an dem er fast 50 Jahre als Professor unterrichtete, als herausfordernden und zugewandten Lehrer erlebt. In seiner Vorlesung zur Einführung in die christliche Theologie, so erinnere ich mich, erklärte er, dass die Theologie aus der Erfahrung des Widersprüchlichen erwachse. Mit James Baldwin, den er neben Martin Luther King Jr. und Malcolm X zu seiner „intellektuellen Trinität“ zählte, brachte er seine widerprüchliche Erfahrung zur Sprache: „If God‘s love was so great, and if He loved all His children, why were we, the blacks cast down so far?“
dass die Theologie aus der Erfahrung des Widersprüchlichen erwachse
Er ermutigte uns, als Studierende unsere eigene Erfahrung des Widersprüchlichen zu artikulieren: „You need to find your contradiction!“ Dies auch im Sinne einer kritischen Wachsamkeit gegenüber Theologie und Kirche, die unsere Erfahrungen allzu gerne übergehen würde, um in ihrer institutionellen Routine nicht gestört zu werden. In seinem Seminar zum weißen US-amerikanischen Theologen Reinhold Niebuhr, den er sehr schätzte und gerade deswegen einer tiefgreifenden Kritik unterzog, ermöglichte er uns, auch darüber zu reflektieren, in welcher Weise unser theologisches Denken von unserer gesellschaftlichen Verortung geformt wird: Wie könnte ich mich als weißer Deutscher zu meiner globalen Privilegierung selbstkritisch verhalten? Wie könnte die Theologie mir hierbei helfen und wie müsste sich die Theologie verändern?
…zu reflektieren, in welcher Weise unser theologisches Denken von unserer gesellschaftlichen Verortung geformt wird.
Wenn ich über diese Fragen nachdenke, ringe ich mit Cones Überlegungen dazu, dass Weiße – wollen sie das Christentum ernstnehmen – ihre Hoffnung darauf setzen müssten, Schwarz zu werden. Dies hatte für Cone nichts mit der Veränderung einer Hautfarbe zu tun, wohl aber mit einem beunruhigenden, möglicherweise bis in die Verzweiflung treibenden Verständnis christlicher Existenz. Cone hinterlässt hiermit eine Herausforderung, der sich die vorherrschende Theologie immer noch nicht gestellt hat: Wie könnte sich weiße Theologie angesichts ihrer Privilegierung, die auf Kosten Schwarzer Menschen gewonnen wird, selbst das Handwerk legen?
In dieser Aufnahme spricht Cone über die Unmöglichkeit von Versöhnung solange „Herren“ als „Herren“ existieren und definiert die Rebellion gegenüber diesen „Herren“ als zentrale christliche Aufgabe.
Neben zahlreichen Artikeln sind folgende Werke James H. Cones, zum Teil auch auf Deutsch, erschienen:
- Black Theology and Black Power, New York 1969
- Schwarze Theologie. Eine christliche Interpretation der Black-Power-Bewegung, München 1971
- A Black Theology of Liberation, New York 1970
- The Spirituals and the Blues. An Interpretation, New York 1972
- Ich bin der Blues und mein Leben ist ein Spiritual. Eine Interpretation Schwarzer Lieder, München 1986
- God of the Oppressed, New York 1975
- Gott der Befreier. Eine Kritik der weißen Theologie, Stuttgart 1982
- My Soul Looks Back, New York 1982
- Zeugnis und Rechenschaft. Christlicher Glaube in Schwarzer Kirche, Fribourg 1988
- For My People. Black Theology and the Black Church, New York 1984
- Für mein Volk. Schwarze Theologie und Schwarze Kirche, Fribourg 1987
- Speaking the Truth. Ecumenism, Liberation, and Black Theology, Grand Rapids 1986
- Martin & Malcolm & America. A Dream or a Nightmare, New York 1991
- Risks of Faith. The Emergence of a Black Theology of Liberation, 1968-1998, Boston 1999
- The Cross and the Lynching Tree, New York 2011
Im Oktober werden James H. Cones Memoiren erscheinen:
- Said I Wasn’t Gonna Tell Nobody. The Making of a Black Theologian, New York 2018
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Dominik Gautier ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Evangelische Theologie und Religionspädagogik der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg.
Bild: © Garrett Evangelical Theological Seminary
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